Endotracheale Intubation bei GCS<9 - Mythos oder Realität?

Intubation mit C-MAC PM Christophh22In der S3 Leitlinie Polytrauma wird die Notfallnarkose, endotracheale Intubation und Notfallbeatmung bei einem Traumapatienten mit einem GCS <9 mit einer GOR-B-Empfehlung versehen. Nun haben Michael Hoffmann und Kollegen anhand der Daten des TraumaRegister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) dieses spezielle Kollektiv näher untersucht:

Hoffmann M et al. The Impact of Prehospital Intubation With and Without Sedation on Outcome in Trauma Patients With a GCS of 8 or Less. J Neurosurg Anesthesiol 2016; online


Seit Einführung der Glasgow Coma Skala (GCS) durch Teasdale und Jenett wird eine kalkulierter Summenscore der GCS <9 als Intubationsindikation angesehen. Durch eine Atemwegssicherung sollen die Risikofaktoren Hypoxämie und Hyperkapnie (durch Hypoventilation) verhindert werden. Zahlreiche nationale und internationale Empfehlungen bneschreiben diese Maßnahme, dabei ist die Evidenz bisher recht übersichtlich.

In einer retrospektiven Kohortenanalyse wurden schwerverletzte Patienten des DGU TraumaRegisters von 2002-2013 erfasst, die lebend ein Krankenhaus erreichten und am Einsatzort eine GCS <9 aufwiesen.  Das beobachtete Überleben wurde mittels der Revised Injury Severity Classification (RISC II Score) beurteilt. Das neurologische Überleben wurde mittels der Glasgow Outcome Skala beurteilt.

Insgesamt 21.242 Patienten mit einem prähospital dokumentierten GCS <9 erfüllten die o.g. Einschlusskritierien. Von dieser erhielten 89,3% (n=18.975) Patienten eine prähospitale Notfallintubation. Dabei wurde ein Anstieg der Intubationsrate mit Abnahme des Summenscore auf der GCS festgestellt.

Abb.1: Glasgow Coma Skala assoziierte Intubationsrate: Mit sinkenden GCS erhöhte sich die Rate an Patienten, die prähospital eine Notfallintubationen erhielten (mod. nach Hoffmann et al. J Neurosurg Anesthesiol 2016)

Der Unterschied zwischen der beobachteten und erwarteten Mortalität war niedriger in der Gruppe der Patienten, welche bereits prähospital intubiert wurden (42,2%, 95%CI: 41,5%-42,9% vs. RISC-II Prognose: 41,4%; SMR 1,020 [95%CI:, 1,003-1,037]) im Vergleich zu nicht-intubierten Patienten (30,0% 95%CI: 28,1-31,9% vs. RISC-II Prognose: 26,6%; SMR 1,128 [95%CI: 1,057-1,199]). Patienten, die eine Sedierung vor der Notfallintubation erhielten, hatten eine signifikant niedrigere beobachtete Mortalität (37,7% [95%CI: 36,7-38,7%, RISCII Prognose 39,0%, SMR 0,967 [95%CI: 0,951-0,983], p<0,001) und eine geringere Rate an neurologisch schlechtem Überleben, als Patienten, die eine Notfallintubation ohne Sedierung zur Einleitung erhalten hatten.

Abb.2: Mortalität der vier Patientengruppen mit beobachteter Mortalität (Balken) inkl. 95%-Konfidenzintervall (rote Fehlerbalken) und erwarteter Mortalität (lila Linie) gemäss RISC-II-Score (mod. nach Hoffmann et al. J Neurosurg Anesthesiol 2016)

Darüber hinaus fanden sich noch folgende Ergebnisse im Vergleich von intubierten (n=18.975) vs. nicht intubierten Patienten (n=2.267):

  • im Mittel 13,3 min längerer Prähospitalzeit der intubierten Patienten (70 vs. 57 min)
  • mehr Volumentherapie bei intubierten Patienten (1.307 vs. 663 ml)
  • mehr Katecholamine bei intubierten Patienten (25,6 vs. 3,1%)
  • mehr Thoraxdrainagen bei intubierten Patienten (8,3 vs. 0,4%)
  • höhere Rate an Sedierungen bei intubierten Patienten (87,6 vs. 34,0%)
  • mehr prähospitale Reanimationen bei intubierten Patienten (15,1 vs. 1,9%)
  • höhere Schockrate bei Klinikankunft bei intubierten Patienten (25,3 vs. 11,0%)
  • höhere Desaturierungsrate am Einsatzort bei intubierten Patienten (86,7 vs. 93.2%)
  • geringere Desaturierungsrate bei Klinikankunft bei intubierten Patienten (95,4 vs. 93.2%)

Diese Unterschiede lassen sich aber leicht durch einen Blick auf die beiden Patientenkollektive intubierte (n=18.975) vs. nicht intubierte Patienten (n=2.267) erklären:

  • schwerer verletzte Patienten in der Intubationsgruppe: ISS: 32,1 vs. 24,0
  • GCS 3 am Einsatzort (schlechtes neurologisches Outcome) in der Intubationsgruppe: 58,9 vs. 26,1
  • schwerere Verletzungen in der Intubationsgruppe:
    • AIS Head ≥3: 81,9 vs. 79,0%
    • AIS Thorax ≥3: 48,8 vs. 29,9%
    • AIS Abdomen ≥3: 14.0 vs. 7,5%
    • AIS Extremitäten ≥3: 26,2 vs. 14,6%

Die intubierten Patienten waren demnach also häufiger mehrfachverletzte Patienten mit einem deutlich höheren Anteil an schwerwiegenden Verletzungen im Vergleich zur nicht-intubierten Gruppe.

Auch hinsichtlich eines guten neurologischen Behandlungsergebnisses (GOS 4+5) ergaben sich interessante Ergebnisse:

  • nicht-intubierte Patienten: 53,7%, Mortalität: 31%
  • intubierte, aber nicht zur Intubation sedierte Patienten: 17,8%, Mortalität: 66,6%
  • intubierte und zur Intubation sedierte Patienten: 38,9%, Mortalität: 39,0%

Die Autoren schlussfolgerten aus ihrer Untersuchung, dass die beobachtete Mortalität bei prähospital endotracheal intubierten Patienten mit einem GCS <9 weniger schlecht war als die vorhergesagt Mortalität und dass eine Sedierung zur Intubation möglicherweise die Sterblichkeit senken und das neurologische Behandlungsergebnis verbessern kann.


Kritische Stellungnahme: Die vorliegende Untersuchung bestätigt die Angaben der S3 Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenbehandlung und auch das Vorgehen gemäß der S1 Leitlinie prähospitale Notfallnarkose beim Erwachsenen. Hier wird klar ausgeführt, dass jeder (Trauma-)Patient mit einem GCS <9 zur Atemwegssicherung eine Notfallnarkose (in der Arbeit von Hoffman et al. als Sedierung bezeichnet) benötigt. Patienten, die eine endotracheale Intubation ohne Notfallnarkose tolerieren, haben eine bedeutend schlechteres Behandlungsergebnis und eine höhere Mortalitätsrate. Darüber hinaus ist die Notfallnarkose wichtig, um Pressen und Würgen im Rahmen der Laryngoskopie zu verhindern und eine potentielle iatrogene Hirndrucksteigerung bei Patienten mit Schädel-Hirntrauma zu vermeiden.

Ergo: Patienten mit GCS <9 (und ≥3) benötigen eine Notfallnarkose zur Atemwegssicherung.

Diese Erkenntnis ist nicht neu und wurde bereits von Adnet et al 1998 beschrieben:

Adnet F, Boron SW, Finot MA et al. Intubation difficulty in poisoned patients association with initial Glasgow Coma Scale Score. Acad Emerg Med 1998; 5: 123-7

Hoffmann et al. ist wirklich sehr für die tolle Arbeit zu danken, die natürlich als Registeranalyse einige Limitationen aufweist, aber wunderbar in das aktuelle Bild zum Vorgehen hinsichtlich Indikation und Durchführung der Notfallnarkose und endotracheale Intubation bei Traumapatienten passt.


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