Trends der prähospitalen Volumentherapie von Patienten mit stumpfem Trauma: eine 15-Jahres-Analyse des britischen (TARN) und des deutschen (TraumaRegister DGU®) Traumaregisters

Ein Gastbeitrag von Stefanie Maier, Ulm                  Die Volumentherapie in der prähospitalen Traumaversorgung ist ein weiterhin sehr kontrovers diskutiertes Thema. Neben der Blutstillung ist die Volumentherapie eine der wichtigsten Maßnahmen zur Kreislaufstabilisierung. Bereits in mehreren Studien konnten zahlreiche Komplikationen im Zusammenhang mit einer aggressiven Volumentherapie mit kristallinen Flüssigkeiten gezeigt werden, darunter eine traumabedingte Koagulopathie, akutes Atemnotsyndrom, Multiorganversagen, Kompartmentsyndrome des Abdomens und der Extremitäten.

Ein Überlebensvorteil eines restriktiven Flüssigkeitsansatzes konnte jedoch noch nicht nachgewiesen werden.

Michael Bath und Jens Schlör untersuchten mit weiteren Kollegen in einer retrospektiven Studie Veränderungen der prähospitalen Volumentherapie bei Patienten mit stumpfen Traumata über einen Zeitraum von 15 Jahren (2004-1018), indem Daten aus den beiden europäischen Traumaregistern, dem Trauma Audit and Research Network (TARN) in Großbritannien und dem TraumaRegister DGU® (TR-DGU) in Deutschland, ausgewertet wurden.

Bath, M.F., Schloer, J., Strobel, J. et al.

Trends in pre-hospital volume resuscitation of blunt trauma patients: a 15-year analysis of the British (TARN) and German (TraumaRegister DGU®) National Registries.

Crit Care 28, 81 (2024)

Die notfallmedizinischen Systeme in Großbritannien und Deutschland stellen unterschiedliche Modelle der prähospitalen Versorgung dar. Das britische System legt den Schwerpunkt auf den schnellen Transport von Patienten in Traumazentren mit minimalen prähospitalen Maßnahmen. Die nationalen Leitlinien für Erwachsene mit stumpfer Gewalteinwirkung empfehlen einen restriktiven Ansatz für die prähospitale Volumentherapie: keine Flüssigkeiten, wenn ein Radialpuls tastbar ist. Falls nicht, werden Volumenboli < 250 ml verabreicht, bis ein peripherer Puls tastbar ist. Zudem sollte die Therapie den Transport der Patienten nicht verzögern. Im Gegensatz dazu wird in Deutschland der Ansatz des „stay and stabilize“ verfolgt, der umfassende prähospitale Interventionen beinhaltet. Die deutschen Leitlinien empfehlen eine Volumentherapie mit balancierten, kristallinen Lösungen zur Stabilisierung der Kreislaufsituation der Patienten.

Daten

Eingeschlossen in die Studie wurden Patienten (≥18 Jahre) mit einem isoliert stumpfen Trauma, die mit einem Injury Severity Score (ISS) >15 zur Erstversorgung in ein Traumazentrum eingeliefert wurden. Die in den einzelnen Registern erfassten Daten umfassten Alter, Geschlecht, Verletzungsmechanismus, ISS, präklinischer Einsatz von kristallinen und kolloidalen Lösungen sowie Blutprodukten, internationaler normalisierter Quotient (INR), Dauer des Krankenhausaufenthalts und Mortalität. Zu den sekundären Messgrößen zählten die traumabedingte Koagulopathie (INR > 1,2 bei Krankenhausaufnahme) und die Sterblichkeitsraten im Krankenhaus.

Ergebnisse

68.510 Patienten aus dem TARN-Register (Durschnittsalter 56,3 (±22,7) Jahre, 65,7 % männlich, mittlerer ISS 25,3) und 82.551 Patienten aus der TR-DGU (Durchschnittsalter 51,7 (±20,2) Jahre, 71,7% männlich, mittlerer ISS 27,6) erfüllten die Einschlusskriterien der Studie.

TARN-Kohorte:

  • 336 Patienten (3,4 % [95 % CI 3,3-3,5]) erhielten während der prähospitalen Versorgung kristalline Flüssigkeiten (medianes Volumen 25 ml (IQR 20-32)); insgesamt nahm das verabreichte Volumen im Jahresvergleich ab (Steigungskoeffizient – 1,12 (95% CI – 1,14 bis – 1,11), p < 0,001)
  • 83 Patienten (0,1 % [95 % KI 0,1-0,2]) wurde Kolloide verabreicht (medianes Volumen 0 ml (IQR 0-0 ml)). Auch die verabreichte Kolloidmenge nahm im Jahresvergleich ab (Steigungskoeffizient – 0,15 (-0,15 bis – 0,14), p < 0,001).
  • 134 Patienten (0,2 %) wurden prähospital Erythrozytenkonzentrate (EKs) transfundiert und 95 Patienten (0,1 %) erhielten gefrorenes Frischplasma (FFPs). Die Mehrzahl der Transfusionen (216/229, 94 %) wurde nach 2012 verabreicht.
  • Keine Gerinnungsdaten verfügbar.
  • Die Gesamtmortalität betrug 16,7% (95 % CI 16,5-17,0) und nahm im Jahresvergleich ab (Steigungskoeffizient -0,003 (95% CI-0,005 bis – 0,001)).

TR-DGU-Kohorte:

  • 70 230 Patienten (91,1 % [95 % CI 90,9-91,3]) erhielten kristalline Flüssigkeiten (medianes Volumen 756 ml (IQR 750-912), p<0,001); insgesamt nahm das verabreichte Volumen im Jahresvergleich ab (Steigungskoeffizient – 15,4 (95% CI – 15,6 bis – 15,3), p<0,001).
  • 410 Patienten (18,7 % [95 % CI 18,4-18,9]) wurde während der prähospitalen Phase der Versorgung Kolloide verabreicht (medianes Volumen 186 ml (IQR 40-379 ml)). Insgesamt ging der Anteil der Patienten während des Studienzeitraums deutlich zurück (58,1 % im Jahr 2004 auf 3,9 % im Jahr 2018 (p < 0,001)) und auch die verabreichte Kolloidmenge nahm im Jahresvergleich ab (Steigungskoeffizient – 34,0 (- 34,0 bis – 33,9), p < 0,001).
  • Prähospital wurden keine Blutprodukte transfundiert.
  • Der mittlere INR-Wert bei Krankenhausaufnahme lag bei 1,24 (±0,66), wobei sich der INR im Jahresvergleich signifikant verbesserte (Steigung – 0,0132 (95% CI-0,0133 bis-0,0130; p<0,0001). Es bestand ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen der Verringerung der präklinischen Volumentherapie und der Verbesserung der Gerinnungsfunktion (r = 0,947 (95% CI 0,845-0,983), p < 0,0001).
  • Die Gesamtmortalität betrug 15,9% (95 % CI 15,6-16,1) und nahm im Jahresvergleich ab (Steigungskoeffizient -0,002 (95% CI – 0,003 bis – 0,001)).

Schlussfolgerung:

Die Autoren zeigen deutliche Unterschiede in der derzeitigen Praxis der prähospitalen Volumentherapie bei Patienten mit isoliertem stumpfem Trauma zwischen Großbritannien und Deutschland. Es wurde eine Korrelation zwischen geringerem Einsatz balancierter kristalliner Flüssigkeiten und niedrigeren Koagulopathieraten beobachtet. Trotz der Unterschiede der Therapiestrategien stellten sich ähnliche Mortalitätsraten dar. Dies deutet darauf hin, dass die Strategien der prähospitalen Volumentherapie im Vergleich zu anderen Aspekten der Versorgung eine geringere Rolle für die Gesamtmortalität von Traumapatienten spielen, was wiederum unterstreicht, wie wichtig es ist, die Patientenkohorten zu ermitteln, die von dieser Maßnahme profitieren können. Zukünftige Studien sollten untersuchen, welche Traumapatientengruppen von verschiedenen Strategien der präklinischen Volumentherapie profitieren.

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