C2H5OH – Ein (all-) tägliches Problem in der Notfallmedizin?

Kennen Sie das auch: Anmeldung vom Rettungsdienst: „Alkoholisierter Patient, kardiopulmonal stabil, nicht mehr gehfähig“? Gerade an Feiertagen, Freitags und am Wochenende und vor allem Nachts kommt dieses Patientenkollektiv immer wieder in der Notaufnahme zur Aufnahme.

Die PURE-(Prospective Urban Rural Epidemiological)-Studie aus Lancet (Smyth A, et al. Alcohol consumption and cardiovascular disease, cancer, injury, admission to hospital, and mortality: a prospective cohort study. Lancet 2015; 386: 1945-1954) mit 114.970 erwachsenen Patienten zeigte, dass ein hoher Alkoholkonsum mit einem deutlich erhöhten Letalitätsrisiko und dem Auftreten von Tumorerkrankungen bzw. Traumata assoziiert ist.

Nun ist gerade in der Fachzeitschrift Notfall & Rettungsmedizin ein aktuelles Themenheft zum Alkoholpatienten erschienen. Die publizierten Beiträge sind absolut lesenswert und ungemein tiefgründig:

Hans FP, et al. Akute Alkoholintoxikation. Vorgehen bei Erwachsenen und Jugendlichen. Notfall Rettungsmed 2016; 19: 12-21

Kurz ein paar Zahlen:

  • 1,9 Mio. Menschen sind aktuell in Deutschland alkoholabhängig
  • 1,6 Mio. leben zusätzlich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol aus
  • 74.000 Menschen kommen jährlich in Deutschland durch Alkoholkonsum zu Tode
  • mind. 30 Mrd. Euro sind die jährlich assoziierten Kosten für das Gesundheitssystem

Mit Alkoholintoxikation ist hier der Konsum von Ethylalkohol gemeint, zu differenzieren sind die viel selteneren Vergiftungen mit Methanol und Ethylenglycol. Ethylalkohol (C2H5OH) ist hydrophil und hepato-/neuro- und embryotoxisch. Das Maximum des Blutalkoholwertes wird auf nüchternen Magen nach 30-90 min erreicht. Resorption erfolgt vorwiegend im Magen (70%), weniger im Duodenum (25%). Am Ethanolalkoholabbau ist hauptsächlich das Enzym Alkoholdehydrogenase (ADH) beteiligt. Die Eliminiationsrate (cave: weisse Mitteleuropäer) beträgt 0,1 g/kgKG/h. Nebenwirkungen: Hypoglykämie (selten), (Pseudo)-Hyponatriämien durch verminderte ADH-Ausschüttung bedingte Natriurese, Hypomagnesämie. Stadieneinteilung der Alkoholvergiftung (cave: unterschiedliche Ausprägung je nach Gewöhnungsgrad). Umrechnung (Blutalkoholkonzentration = BAK): [BAK Ethanol] in g/l = [BAK Ethanol] in Promille x 1,23 oder [BAK Ethanol] in Promille = [BAK Ethanol] in g/dl:1,23 (Annahme: BAK im Serum bestimmt). Beim Sturztrinken („binge drinking“/Rauschtrinken: Aufnahme großer Ethylakoholmengen in kurzer Zeit) tritt das übliche Unwohlsein, das physiologisch zum Sistieren der Alkoholaufnahme führt, nicht mehr auf und so folgt der Ingestion ein komatöser Zustand.

Notfallmedizinische Aspekte:

  • WWW-Fragen (Was, Wieviel, Wann) und SAMPLE- Schema
  • Überwachung (RR, Hfr, SpO2, Temperatur), inkl. Kontrolle nach Standardschema/Zeitintervall
  • Diagnostik (körperlicher Untersuchung inkl. Entkleidung, cave: Fahndung nach Begleitverletzungen)
  • Laborabnahme [BAK, Blutgasanalyse (Elektrolyte, Glucose, Laktat und Gase), Toxscreening (zB Benzodiazepine, Barbiturate, Trizyklika), kleines Blutbild, Gerinnung-, Leberwerte, Creatinkinase, CRP]
  • bei Hinweise auf Sturzfolge und Vigilanzstörung: CCT bzw.
    bei Prellmarken an Extremitäten etc.: entsprechende konventionelle radiologische Diagnostik
  • ggf. Tetanusauffrischung
  • bodennahe Lagerung
  • ggf. Vitamin B1/Thiamin-Substitution
  • Entlassmanagement

Cave: Aktivkohle hat bei reiner Ethylalkoholingestion keine Wirkung!

Das genaue Gegenteil der Alkoholintoxikation ist das Alkoholentzugssyndrom, gekennzeichnet durch Delir, Krampfanfall und weitere kardiopulmonale Komplikationen. Delirformen sind in 29% hypoaktiv, in 21% hyperaktiv und in 43% ein Mischbild, in 7% zeigen sich keine psychomotorische Veränderungen.

Merke: Differentialdiagnose des Delirs:  I  W A T C H   D E A T H

Mit der Thematik Alkoholentzugssyndrom beschäftigt sich der nachfolgende Artikel der Serie eingehend:

Haas G. Alkoholentzugsdelir und akute Komplikationen. Diagnose und Behandlung. Notfall Rettungsmed 2016; 19: 22-27

Einen ergänzenden und detaillierten Überblick zu den og Artikel bietet:

Rauscher S, et al. Alkoholpatient als Risikopatient. Was muss der Notfallmediziner beachten? Notfall Rettungsmed 2016; 19: 28-32

– am Wochenende sollen bis zu 20% der Patienten in Notaufnahmen alkoholisiert sein
– der Notfallmediziner begegnet einerseits den akuten Intoxikationsfällen, aber auch den
Patienten mit den Folgeerkrankungen eines chronischen übermässigen Alkoholkonsums
– relevante Komplikationen und Differentialdiagnosen der akuten Alkoholintoxikation:

  • Trauma (inkl. Schädelhirntrauma)
  • Hypothermie
  • Elektrolytstörungen
  • Korsakowsyndrom
  • Ketoazidose
  • Laktatazidose
  • Hypoglykämie (selten)
  • toxische Alkohole
  • Delir, Entzugssymptomatik
  • Suizidalität

Merke: Bei allen bewusstseinsgestörten Patienten muss immer eine Blutzuckerbestimmung durchgeführt werden.

– Hyponatriämie als häufige Komplikation bei chronischen Alkoholkonsum („Beer-Potomania“,
Therapie: Wasserrestriktion, cave: langsamer Ausgleich, sonst zentrale pontine Myelinolyse)
– alkoholische Ketoazidose (Ketone im Urin!)
– Laktatazidose und Anionenlücke sollte an toxische Alkohole denken lassen (zB Methanol,
Ethylenglycol, Isopropanol)
– Cave: NEXUS C-Spine Rule oder Canadian C-Spine Rule können bei alkoholintoxikierten
Patienten nicht zur Entscheidungsfindung einer bildgebenden Diagnostik der Halswirbelsäule angewendet werden
– Risikomanagement: Schutz des Personals durch Gefährdung bei aggressiven Patienten
– Folgen eines chronische Alkoholabusus: Leberfunktionsstörungen, Polyneuropathie,
Kardiomyopathie, Wernicke-Encephalopathie, Gefäßerkrankungen, Tumorerkrankungen,
gastrointestinale Blutungen, u.a.

Auch der Aspekt Anordnung einer Blutentnahme durch die Polizei wird in dem Themenschwerpunkt besprochen:

Jäkel C. Anordnung von Blutalkoholentnahmen durch die Polizei im Rettungsdienst. Notfall Rettungsmed 2016; 10-11

Wir hoffen wir haben in Ihnen den Wunsch gefördert diese Artikel einmal eingehend zu studieren. Viel Spass und hohen Wirkungsgrad!

 

Weiterführende Literatur:

  • Connor JP, et al. Alcohol use disorders. Lancet 2015; doi: 10.1016/S0140-6736(15)00122-1
  • Parkinson K, et al. Prevalence of alcohol related attendance at an inner city emergency department and its impact: a dual prospective and retrospective cohort study. EMJ 2015, online
  • Smyth A, et al. Alcohol consumption and cardiovascular disease, cancer, injury, admission to hospital, and mortality: a prospective cohort study. Lancet 2015; 386: 1945-1954, doi: 10.1016/S0140-6736(15)00235-4.

2 thoughts on “C2H5OH – Ein (all-) tägliches Problem in der Notfallmedizin?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.