Tracheale Intubation oder supraglottischer Atemweg bei prolongierter Reanimation?

Videolaryngoskopische Intubation mit hyperanguliertem Spatel und Intubationskatheter

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Schweiz:

Wenige Themen zum Thema kardiopulmonale Reanimation wurden in den letzten Jahren so heiß diskutiert wie das Atemwegsmanagement und der Nutzen der extrakorporalen Kreislaufunterstützung (eCPR). Nun wurde in einer ganz aktuellen Studie bei Patienten, die zur eCPR in die Klinik transportiert wurden, der Zusammenhang zwischen der Art des Airwaymanagements und den Überlebenschancen untersucht. 

Bartos JA et al. Supraglottic Airway Devices are Associated with Asphyxial Physiology After Prolonged CPR in Patients with Refractory Out-of-Hospital Cardiac Arrest Presenting for Extracorporeal Cardiopulmonary Resuscitation. Resuscitation 2023; https://doi.org/10.1016/j.resuscitation.2023.109769

Die Studie kurz zusammengefasst:

  • Retrospektive Beobachtungsstudie
  • 420 konsekutive Patienten mit therapierefraktärem prähospitalem Herz-Kreislauf-Stillstand (bei initial defibrillierbarem Rhythmus) mit folgenden Einschlusskriterien:
    • „therapierefraktär“ war im Wesentlichen definiert als „kein ROSC nach 3 Defibrillationsversuchen“ oder „Übergang in Asystolie oder PEA nach einem Defibrillationsversuch“
    • Transportzeit ins ECMO-Zentrum <30 min
    • der Habitus der Patienten musste für die mechanische Thoraxkompression mit dem LUCAS® während des Transports geeignet sein
  • ECMO-Zentrum des University Hospital of Minnesota, USA
  • Studienzeitraum: Dezember 2015 bis September 2022
  • Primärer Outcome-Parameter:

Ergebnisse der Studie:

  • Von den 420 Patienten wurde bei 179 (43%) die tracheale Intubation als primäre Atemwegsstrategie gewählt (ETI-Gruppe) und bei 204 (49%) ein supraglottischer Atemweg (SGA-Gruppe). Die restlichen Patienten wurden unter Beutel-Masken-Beatmung ECMO-Zentrum transportiert und gingen nicht in die Auswertung ein.
  • Die tracheale Intubation war bei 94% (169 von 179) erfolgreich, bei 10 Patienten musste auf einen SGA ausgewichen werden. Diese Patienten verblieben aber für die Asuwertung gemäß der initial gewählten Strategie in der ETI-Gruppe. Von der SGA-Gruppe musste kein Patient sekundär intubiert werden.
  • Die Patienten waren im Schnitt nach 62 min professioneller Reanimation an der ECMO.
  • Patienten der ETI-Gruppe kamen deutlich besser ventiliert in der Klinik an als in der SGA-Gruppe:
    • paO2 vor Kanülierung 71 vs. 58 mmHg (p<0,001)
    • paCO2 vor Kanülierung 55 vs. 75 mmHg (p<0,001)
    • pH vor Kanülierung 7,03 vs. 6,93 (p<0,001)
  • aufgrund der deutlich schlechteren Blutgas-Werte erfüllten in der SGA-Gruppe weniger Patienten die Kriterien für eine eCPR im Vergleich zur ETI-Gruppe: 74% vs. 85% (p=0,008).
  • Die meisten Patienten kamen aufgrund eines zu schlechten paO2 <50 mmHg bei Aufnahme nicht mehr für eine eCPR in Frage
  • Von den Patienten, die an die ECMO kamen, hatten die Patienten in der ETI-Gruppe mit 42% deutlich häufiger ein neurologisch gutes Behandlungsergebnis als die Patienten in der SGA-Gruppe mit 29% (p=0,02).
  • Insgesamt (also auch einschließlich der Patienten, die zwar unter CPR ins ECMO-Zentrum transportiert wurden, aber nicht kanüliert wurden) überlebten in der ETI-Gruppe ebenfalls signifikant mehr Patienten neurologisch gut als in der SGA-Gruppe (36% vs. 22%, p=0,04).
  • Nach Anpassung für beeinflussende Faktoren (Alter, Geschlecht, Laienreanimation ja/nein, Zeitdauer der professionellen Reanimation bis zur ECMO) errechnete sich für das Gesamtkollektiv der Patienten eine 2,79-fach höhere odds ratio (95%-Konfidenzintervall: 1,47-5,27) für ein neurologisch schlechtes Behandlungsergebnis, wenn ein SGA gewählt wurde im Vergleich zur trachealen Intubation.

Diskussion:

  • Die Studie gibt – mit allen Einschränkungen einer retrospektiven Untersuchung (!) – deutliche Hinweise darauf, dass bei prolongierter Reanimation die tracheale Intubation gegenüber dem SGA bevorzugt werden sollte.
  • Dies widerspricht auf den ersten Blick den Ergebnissen der zwei großen randomisiert kontrollierten Studien zu diesem Thema aus dem Jahr 2018:
    • Benger JR et al. Effect of a Strategy of a Supraglottic Airway Device vs Tracheal Intubation During Out-of-Hospital Cardiac Arrest on Functional Outcome: The AIRWAYS-2 Randomized Clinical Trial. 2018;320:779-791 (AIRWAYS 2-Studie)
      doi:10.1001/jama.2018.11597
      Ergebnis: kein Unterschied zwischen der ETI-Gruppe und der SGA-Gruppe
    • Wang HE et al. Effect of a Strategy of Initial Laryngeal Tube Insertion vs Endotracheal Intubation on 72-Hour Survival in Adults With Out-of-Hospital Cardiac Arrest: A Randomized Clinical Trial. 2018;320:769-778 (PART-Studie)
      doi:10.1001/jama.2018.7044
      Ergebnis: Vorteil hinsichtlich Überleben nach 72 Stunden für die Patienten, die mit einem Larynxtubus beatmet wurden während CPR
  • Hinsichtlich der Ergebnisse der PART-Studie muss allerdings festgehalten, dass die Ergebnisse bei einer first pass success-Rate von nur 51% für die tracheale Intubation schwer zu interpretieren sind und ein Vorteil für den Larynxtubus bei offensichtlich wenig trainierten Anwendern nicht überrascht.
  • Bei beiden Studien muss aber bedacht werden, dass die allermeisten Patienten, die (vermutlich) definitionsgemäß eine prolongierte CPR benötigten, in diesen Studien gar nicht überlebten. In der AIRWAYS 2-Studie verstarben nämlich 55% der Patienten am Einsatzort. 16% wurden unter CPR transportiert, von diesen überlebten allerdings <1%. In der PART-Studie starben ca. 40% der Patienten vor Ort. Die 35%, die unter CPR (vermutlich bei refraktärem Stillstand transportiert wurden, hatten wie in der AIRWAYS 2-Studie ein extrem schlechtes Überleben. Daher können die Ergebnisse dieser Studien nicht auf die prolongierte CPR übertragen werden.

Mehrere Studien zeigen aber auch Vorteile für die tracheale Intubation bei Reanimation:

    • Behrens NH et al. Effect of airway management strategies during resuscitation from out-of-hospital cardiac arrest on clinical outcome: A registry-based analysis. Resuscitation 2020; doi: org/10.1016/j.resuscitation.2020.04.015

Ergebnis: höhere Überlebensrate und höhere Rate an neurologisch gutem Überleben bei trachealer Intubation im Vergleich zur Gruppe der Patienten, die nur über einen Larynxtubus beatmet wurden

    • Benoit JL et al. Endotracheal intubation versus supraglottic airway placement in out-of-hospital cardiac arrest: A meta-analysis. Resuscitation. 2015;93:20-6. doi: 10.1016/j.resuscitation.2015.05.007

Ergebnis: geringere ROSC-Rate, schlechtere Überlebensrate, schlechteres neurologisches Behandlungsergebnis bei Verwendung eines SGA im Vergleich zur trachealen Intubation.

  • Sulzgruber P et al. The impact of airway strategy on the patient outcome after out-of-hospital cardiac arrest: A propensity score matched analysis. Eur Heart J 2017;
    doi: 10.1177/2048872617731894

Ergebnis: Deutlich schlechteres 30-Tage-Überleben und neurologisches Behandlungsergebnis bei Einsatz des Larynxtubus im Vergleich zur trachealen Intubation

  • Wang HE et al. Endotracheal intubation versus supraglottic airway insertion in out-of-hospital cardiac arrest. Resuscitation 2012; doi: 0.1016/j.resuscitation.2012.05.018

Ergebnis: tracheale Intubation war assoziiert mit höherer ROSC-Rate und 24 h-Überlebensrate im Vergleich zur SGA.

Einschränkend muss wie erwähnt bedacht werden, dass es sich um eine retrospektive Studie handelt. D.h. die Daten wurden aus Protokollen entnommen und es besteht möglicherweise ein Unterschied zwischen der Leistungsfähigkeit der Rettungsdienst-Teams. Eventuell waren die Teams, die trainiert in trachealer Intubation waren auch hinsichtlich anderer Maßnahmen zur „high performance“-CPR besser

Fazit für die Praxis:

Ganz abgesehen von dem Ziel, den Patienten möglichst erfolgreich an die eCPR zu bringen (und dazu gehören akzeptable BGA-Werte), unterstreichen die Ergebnisse dieser Studie folgende Strategie: Am Anfang der Reanimation braucht der Patient qualitativ hochwertige Thoraxkompressionen, eine möglichst frühzeitige Defibrillation und ein möglichst schnelles und erfolgreiches Atemwegsmamangement entsprechend dem Ausbildungsstand des Teams vor Ort. Sobald es jedoch in Richtung „prolongierte CPR“ geht, erst recht bei nicht synchronisierter mechanischer Thoraxkompression und/oder Transport unter CPR profitieren sehr wahrscheinlich die Patienten von einer trachealen Intubation. Andernfalls „kumulieren“ die Nachteile des SGA: schlechtere Oxygenierung, schlechtere Ventilation, die initial und über wenige Minuten noch nicht so ins Gewicht fallen.

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