Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern
Die milde therapeutische Hypothermie bei bewusstlosen Patienten nach erfolgreicher Wiederbelebung war viele Jahre Standard und gemäss internationaler Leitlinien empfohlen. 2021 stellte die Publikation der Ergebnisse der TTM2-Strudie deren Nutzen jedoch in Frage und zeigte bei Patienten, bei denen einfach nur Fieber vermieden wurde vergleichbare Ergebnisse wie bei hypotherm behandelten Patienten.
Allerdings widerspiegelt die Laienreanimationsrate in dieser randomisiert kontrollierten Studie von rund 80% (leider) nicht die Realität bei uns. Eine Studie aus dem Deutschen Reanimationsregister hat nun die Behandlungsergebnisse von Patienten nach erfolgreicher Wiederbelebung mit und ohne Hypothermie-Behandlung miteinander verglichen und zeigt einen deutlichen Vorteil hinsichtlich des neurologischen Outcomes, wenn die Patienten mit einer milden Hypothermie behandelt worden sind. Der Artikel ist «open access» im European Journal of Anaesthesiology veröffentlicht:
Hier ist also das letzte Wort sicher noch nicht gesprochen und es wäre falsch, die therapeutische Hypothermie für die Gesamtheit der Patienten nach Herz-Kreislauf-Stillstand als obsolet zu bezeichnen
Die verlinkte Studie taugt m,E. nicht für eine Unterstützung eines Vorgehens pro MTH, da
1. in der MTH Gruppe deutlich mehr defibrillierbare Rhythmen 49% vs. 28% in der NON-MTH Gruppe vorlagen. Dis alleine würde nach Würdigung der Registerdaten einen deutlichen Überlebens- und Neurovorteil vermuten lassen.
2. Observational study? Again? Come on
PS: Kann es sein, dass wir aus Verzweiflung über das insgesamt weiter schlechte Outcome nach CPR etwas zu viel Energie in das Thema stekcken;)?
Sehr geehrter Herr Heuschkel,
vielen Dank für Ihren Kommentar zu der Studie «Mild therapeutic hypothermia after cardiac arrest – effect on survival with good neurological outcome outside of randomised controlled trials», die wir in unserem Blog vorgestellt haben.
Zu Ihren Kritikpunkten an der Studie:
Selbstverständlich wurde in der Studie über eine multivariate logistische Regressionsanalyse das Outcome auf alle Faktoren adjustiert, die bekanntermassen das Behandlungsergebnis nach Reanimation beeinflussen. Darunter waren neben dem initialen EKG-Rhythmus beispielsweise auch das Alter, die Dauer der no-flow-Zeit, der Ort des Herz-Kreislauf-Stillstandes, die Dosis an Adrenalin (als Surrogat für die Dauer der Reanimation), Laien-Reanimation ja/nein, bezeugter Herz-Kreislauf-Stillstand ja/nein etc. (siehe Seite 2 und 3 des verlinkten pdf-Dokuments).
Auch mit dem Thema Beobachtungsstudie vs. Randomisiert kontrollierte Studie (RCT) sprechen Sie genau ein Kern-Thema dieser Publikation an («effect on survival with good neurological outcome outside of randomised controlled trials»). RCT spiegeln leider häufig nicht die Realität wider. Gründe hierfür werden auf Seite 4 und 5 der Studie ausführlich diskutiert.
Beobachtungsstudien bilden die Realität deutlich besser ab. Hierzu gibt es eine gute Publikation [https://doi.org/10.1002/hep.21404].
Zwei Zitate daraus, die ähnlich auch in der präsentierten MTH-Studie di
1. «In a trial, the patient receives treatment according to a regimen that follows a detailed protocol. This treatment regimen standardizes the intervention and may lead to assigned doses and schedules that differ from what the same patient might have received had she been treated outside the randomized trial.”
2. “As noted above, RCT participants often do not reflect the distribution of sex, age, race, and ethnicity of the target patient population. Many trials exclude patients who are older or who have other diseases that complicate their treatment. In addition, patients must usually consent to participate in a trial, and patients who are older, sicker, less well educated, or less socioeconomically advantaged are less likely to participate than their younger, healthier, better educated, or socioeconomically advantaged counterparts. Trial results may exaggerate the difference between new and standard therapies because they enroll primarily patients who are healthier and otherwise more advantaged. For example, as noted above, these patients may be more likely to adhere to the new treatment than would disadvantaged patients.»
Ein extrem guter, lesenswerter Artikel der New York Times erläutert diesen “Flip-Flop-Rhythm of Science” sehr ausführlich: Diet – Lifestyle – Disease – Health – Medicine – H.R.T. – Hormone-Replacement Therapy – The New York Times (nytimes.com)
Der Artikel macht deutlich, dass Ergebnisse von RCT nicht einfach so in die Breite übertragen werden können und Epidemiologen oft andere Ergebnisse finden: «All of this suggests that the best advice is to keep in mind the law of unintended consequences. The reason clinicians test drugs with randomized trials is to establish whether the hoped-for benefits are real and, if so, whether there are unforeseen side effects that may outweigh the benefits. If the implication of an epidemiologist’s study is that some drug or diet will bring us improved prosperity and health, then wonder about the unforeseen consequences.”
Freundliche Grüsse
Jürgen Knapp
Sehr geehrter Herr Knapp,
Beobachtungsstudien zeigen uns, was wir tun. RCTs zeigen uns, was wir tun sollten. Sie kehren in Ihrer Argumentation die wissenschaftlichen Grundsätze in der Medizin um. Beobachtungsstudien sind höchstens hypothesengenerierend, und die Geschichte liefert uns zahlreiche Beispiele, warum das so ist. Ein Beispiel: Viele Jahre lang hat man geglaubt, dass die Östrogensubstitution bei menopausalen Frauen die kardiovaskuläre Sterblichkeit senkt und insgesamt vorteilhaft ist. Grundlage dafür waren zahlreiche Beobachtungsstudien, die diesen Effekt zeigten. Dann kam die WHI-Studie, und alle mussten einsehen, dass die bisherigen Annahmen falsch waren.
Der Versuch, den Konsens der medizinisch-wissenschaftlichen Debatte durch folgende Argumente aufzuweichen, gelingt in diesem Fall nicht:
Sie zitieren:
„In a trial, the patient receives treatment according to a regimen that follows a detailed protocol. This treatment regimen standardizes the intervention and may lead to assigned doses and schedules that differ from what the same patient might have received had she been treated outside the randomized trial.”
Diese per se gerechtfertigte Grundsatzkritik, auch bekannt als die Problematik der externen Validität, ist nichts Neues und allgemein bekannt. Aber gerade im Fall der Hypothermie, wo alle Abläufe und Behandlungsziele in der Regel standardisiert sind, hat diese Argumentation nur minimalen Einfluss.
„As noted above, RCT participants often do not reflect the distribution of sex, age, race, and ethnicity of the target patient population. Many trials exclude patients who are older or who have other diseases that complicate their treatment. In addition, patients must usually consent to participate in a trial, and patients who are older, sicker, less well educated, or less socioeconomically advantaged are less likely to participate than their younger, healthier, better educated, or socioeconomically advantaged counterparts. Trial results may exaggerate the difference between new and standard therapies because they enroll primarily patients who are healthier and otherwise more advantaged. For example, as noted above, these patients may be more likely to adhere to the new treatment than would disadvantaged patients.“
Dieses Argument spricht die Problematik der Repräsentativität an und ist vor allem in Pharma-Studien berechtigt. Gerade in der von Ihnen kritisierten Studie aus dem NEJM verpufft es jedoch völlig ins Leere. In diesem pragmatischen Trial sahen die Ausschlusskriterien wie folgt aus:
-Nicht bezeugter Herzstillstand mit anfänglichem Rhythmus der Asystolie
-Temperatur bei Aufnahme <30°C
– Vor ROSC auf extrakorporaler Membranoxygenierung
– Offensichtliche oder vermutete Schwangerschaft
– Intrakranielle Blutung
– Schwere chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) mit Langzeit-Sauerstofftherapie zu Hause
Welche Randgruppen wurden hier benachteiligt oder gab es vielleicht eine Selektion hin zu gesünderen Patienten in dieser schwedischen Reanimations-Studie ;-)?
Eine Sache fand ich schwierig zu verstehen. Sie argumentieren, dass der NEJM-Trial nicht auf Deutschland anwendbar ist, da die Laien-Reanimation hier deutlich seltener ist als in Schweden. In Ihrer Methodik stellen Sie jedoch fest, dass: "Patient sex and bystander CPR were not sufficiently powerful to warrant inclusion in our model." Bedeutet das nicht, mit anderen Worten, dass die Laien-Reanimation keinen statistisch relevanten Einfluss auf den Effetk der Hypothermia auf das "good neurological outcome" hatte?
Insgesamt stimme ich aber der Schlussfolgerung zu, dass es nun gilt, die Gruppe an Patienten zu identifizieren, die von einem TTM profitieren könnten.
Und hierzu können Subgruppenanalysen aus RCTs und auch Obervationsstudien einen Beitrag leisten, die Hypothese für einen RCT zu generieren. Mehr aber nicht.
mit den besten Grüßen
Philipp Agné