Prähospitale Intubation beim Trauma-Patienten – die unendliche Diskussion

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz: Eines der meist diskutierten Themen in der prähospitalen Notfallmedizin ist der Nutzen der prähospitalen trachealen Intubation beim nicht-reanimationspflichtigen Trauma-Patienten. Aus Israel wurde ganz aktuell eine Studie veröffentlicht, die diesen Nutzen auf den ersten Blick  in Frage zu stellen scheint.

So lautet die Schlussfolgerung: „This study was unable to find an association between a successful definitive airway in the prehospital setting and survival, even after adjustment for injury characteristics and in multiple models. Furthermore, survival rates were high among trauma patients in which the provider deemed a definitive airway as necessary yet failed in securing one.”

Tsur AM et al.

Prehospital definitive airway is not associated with improved survival in trauma patients.

J Trauma Acute Care Surg 2020; published ahead of print;

DOI: 10.1097/TA.0000000000002722

Das Studiendesign kurz zusammengefasst:

  • retrospektive Beobachtungsstudie aus dem Traumaregister der israelischen Armee
  • Beobachtungszeitraum: 2006-2018
  • Patientenkollektiv: alle Traumapatienten, die durch das medizinische Personal der israelischen Armee prähospital versorgt wurden (aufgrund der bekannten sicherheitspolitischen Situation in Israel umfasst das sowohl militärische als auch zivile Patienten)
  • zur „definitiven Atemwegssicherung“ diente entweder die orotracheale Intubation oder die Koniotomie. (Supraglottische Atemwege werden in der israelischen Armee nur von den „airborne combat resuce and evacuation units“ genutzt und wurden daher in der vorliegenden Studie nicht betrachtet)
  • die Atemwegssicherung erfolgt durch Paramedics oder Ärzte
  • die Indikationen zur endotrachealen Intubation umfassen
    • Apnoe,
    • Atemwegsverlegung, die durch Standardmaßnahmen (optimierte Lagerung, Esmarch-Handgriff, Guedel-Tubus) nicht behoben werden konnte, oder
    • eine drohende Atemwegsgefährdung während der prähospitalen Versorgungszeit

Die Ergebnisse:

  • versorgt wurden insgesamt 15.793 Traumapatienten
  • 30% Soldaten
  • Bei 566 (3,6%) davon wurde der Versuch einer definitiven Atemwegssicherung unternommen.
    • 83% nur via orotrachealen Weg
    • 6% nur via Koniotomie
    • 11% beide Techniken
  • diese Atemwegssicherung gelang nur bei 425 (75%) der Patienten auf irgendeine Weise, bei 141 Patienten (25%) blieb sie erfolglos.
  • die Prähospitalphase überlebten 78% der Patienten, bei denen die Atemwegssicherung erfolgreich verlief, und ebenso 78% der Patienten, bei denen diese misslang.
  • die logistische Regressionsanalyse zur Anpassung an möglicherweise beeinflussende Faktoren für das Überleben ergab folgende Ergebnisse
    • Trauma als Soldat erlitten: odds ratio (OR) zum Überleben der Prähospitalphase auf den Faktor 0,41 reduziert (95%-KI: 0,26-0,63)
    • SHT: OR zum Überleben der Prähospitalphase auf den Faktor 2,28 erhöht (95%-KI: 1,44-3,65)
    • Hals-Verletzung: OR auf 0,43 reduziert (95%-KI: 0,21-0,88)
  • ob die Atemwegssicherung erfolgreich war oder nicht, hatte weder vor noch nach Anpassung an diese Faktoren einen Einfluss auf die Chance, die Prähospitalphase zu überleben: OR 0,98 (0,61-1,54) bzw. OR 0,91 (0,55-1,46)
  • längerfristige Überlebensraten (48 Stunden und 30 Tage-Überlebensrate) waren nur für die verletzten Soldaten verfügbar, nicht für die Mehrzahl der zivilen Patienten. Auch hier zeigte sich kein Unterschied zwischen den Patienten, bei denen die Intubation gelang, und denen, wo sie misslang.

Diskussion:

  • Die Autoren der Studie stellen selbst fest, dass im gesamten Patientenkollektiv nur das Überleben in der Prähospitalphase evaluiert wurde, und nicht das neurologisches Behandlungsergebnis oder das langfristige Überleben.
  • Zudem stellen sie selbst fest, dass die Paramedics und Ärzte sehr jung und unerfahren in den Techniken der Atemwegssicherung sind. Dies spiegelt sich in der unglaublich schlechten Rate der erfolgreichen Atemwegssicherung von nur 75% wider.
  • Auch liegen keine Informationen zur Verletzungsschwere der Patienten vor.
  • Ebenfalls geht nicht hervor, ob zur Atemwegssicherung eine Narkose eingeleitet wurde und/oder eine Muskelrelaxation durchgeführt wurde
  • Insgesamt ist eine Überlebensrate von nur 78% bis zur Klinikaufnahme ebenfalls ein erschreckendes Ergebnis. Warum das Überleben für Soldaten nur halb so hoch war für Zivilpatienten, lässt sich aus den publizierten Daten nicht ableiten –  möglich wären deutlich längere Versorgungs- und Transportzeiten infolge von laufenden Kampfhandlungen oder primär bereits mit einem Überleben schwer vereinbare Verletzungen (wie penetrierendes SHT)

Fazit:

Aus der vorliegenden Studie kann aus unserer Sicht sicher nicht abgeleitet werden, dass die prähospitale Intubation beim Trauma nichts bringt. Vielmehr zeigt sie einmal mehr, wie wichtig eine umfassende Ausbildung und Erfahrung ist, um dem Patienten in der oft schwierigen prähospitalen Situation zu nützen!

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