Die richtige Zielklinik beim Schlaganfall

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Schweiz/Bern:

Mit der Möglichkeit der endovaskulären Thrombektomie beim Schlaganfall steht inzwischen ein modernes Verfahren zur Akuttherapie des Schlaganfalls zur Verfügung, von dem im Wesentlichen drei Patientengruppen bis zu 24 h nach Symptombeginn profitieren:

  • Schlaganfall-Patienten mit einem proximalen Verschluss im Bereich der A. carotis interna, des Carotis-T, oder der Abschnitte M1 und M2 der A. cerebri media.
  • proximale Verschlüsse der A. cerebri anterior oder posterior (A1 oder P1)
  • vermutlich auch Verschluss der Basilar-Arterie.
    Anmerkung: die Studie hierzu ist abgeschlossen, aber noch nicht publiziert: https://clinicaltrials.gov/ct2/show/results/NCT02441556. Die Studie wurde aber frühzeitig abgebrochen, da sich in der Interimsanalyse klar Hinweise auf einen Vorteil der endovaskulären Therapie ergaben.

Allerdings ist das Netz der Zentren, die diese hochspezialisierte neuroradiologische Interventionsmöglichkeit anbieten, bei weitem nicht so dicht, wie das der „konventionellen“ Schlaganfall-Zentren. Damit steht das prähospital tätige Team häufig vor der Frage, ob direkt ein interventionelles Zentrum angefahren/angeflogen werden soll oder primär ein konventionelles Schlaganfall-Zentrum zur CT-Diagnostik, ggf. Beginn der intravenösen Thrombolysetherapie und Prüfung einer Qualifikation des Patienten für eine endovaskuläre Therapie und einer eventuellen sekundären Weiterverlegung in ein interventionelles Zentrum. Während das sogenannte „mothership“-Prinzip (d.h. direkter Transport in ein interventionelles Zentrum, das „Mutterschiff“) den Nachteil der Übertriage und ggf. langer Transportzeiten ohne laufende Lysetherapie aufweist, hat das „drip-and-ship“-Prinzip (d.h. primärer Transport in das nächstgelegene Schlaganfallzentrum und dann ggf. Weiterverlegung zur interventionellen Therapie unter laufender Lyse) den Nachteil eines unnötigen Zeitverlusts (mehrere Übergaben, Anfahrtswege, Umlagerung etc.).

Es gibt zu diesem Thema eine Unmenge an Studien. Die bisher umfassendste Übersichtsarbeit zu diesem Thema wurde im Sommer 2018 veröffentlicht.

Ismail M et al. Mothership versus drip and ship for thrombectomy in patients who had an acute stroke: a systematic review and meta-analysis. J NeuroIntervent Surg 2019; 11:14–19.

Inkludiert waren hier 8 Studien mit insgesamt 2.086 Patienten. Die Metaanalyse kommt zu folgendem Ergebnis:

  • Patienten, die nach dem mothership (MS)-Prinzip behandelt wurden hatten ein besseres funktionelles Behandlungsergebnis als die Patienten unter drip-and-ship (DS) (unangepasstes relatives Risiko für funktionelle Unabhängigkeit (modified Rankin Score ≤2) 0,87, 95%-Konfidenzintervall 0.,81-0,93; angepasstes relatives Risiko 0,87, 95%-KI 0,77-0,98).
  • kein Unterschied im Hinblick auf intrazerebrale Blutungen, Reperfusionsergebnis und Sterblichkeit.

Natürlich sind diese Ergebnisse mit den üblichen Problemen einer Metaanalyse (Einschluss von retrospektiven Studien, Selektionsbias etc.) behaftet, so dass sie sehr vorsichtig interpretiert werden müssen und auch die Autoren dieser Studie schlussfolgern, dass nur eine adäquat gepowerte randomisiert kontrollierte Multicenter-Studie diese Frage beantworten kann. Genau diese Studie läuft aktuell in der Region von Barcelona, die sogenannte RACECAT-Studie, NCT02795962 (https://clinicaltrials.gov/ct2/show/record/NCT02795962).

Eine weitere bedeutende Arbeit zur Entscheidungsfindung mothership oder drip-and-ship-Strategie ist die statistische Modellrechnung von Holodinsky.

Holodinsky JK et al. Drip and Ship Versus Direct to Comprehensive Stroke Center Conditional Probability Modeling. Stroke2017; 48:233-238.

Die Ergebnisse dieser theoretischen Modellrechnung ergeben, dass

  • bei einer Transportzeit von <30-45 min der direkte Transport ins interventionelle Zentrum bevorzugt werden sollte
  • bei einer Transportzeit von >45 min ins interventionelle Zentrum sollte der Transport in die nächstgelegene Stroke Unit erfolgen, aber nur unter der Voraussetzung, dass dort die door-to-needle time (also die Zeit vom Eintreffen in der Klinik bis zum Beginn der intravenösen Lysetherapie) <30 min beträgt

Damit wird klar, dass allgemeingültige Empfehlungen hinsichtlich der zu bevorzugenden Transportstrategie beim Schlaganfall nicht möglich sind, sondern auf die lokalen Gegebenheiten der Rettungsdienst- und Klinik-Infrastruktur und vor allem auf die lokalen door-to-needle bzw. door-to-reperfusion-Zeiten angepasste Strategien in den jeweiligen Rettungsdienstbereichen entwickelt werden müssen.

Ein weiterer Einflussfaktor ist der Symptombeginn, da ein Bridging, also ein Beginn der Lysetherapie bis zur endovaskulären Therapie, nur bei einem Symptombeginn <4,5 Stunden sinnvoll ist. Daher profitieren Patienten mit einem Symptombeginn >4,5 h und damit viele wake-up-stroke-Patienten nicht von einer drip-and-ship-Strategie und eine mothership-Strategie erscheint sinnvoll.

Bei absoluten Kontraindikationen gegen eine intravenöse Lysetherapie (also z.B. gastrointestinale Blutungen, Hirnblutung innerhalb der letzten 3 Monate und am häufigsten sicher die Einnahme von NOAK oder Marcumar) ist eine drip-and-ship-Strategie ebenfalls nicht sinnvoll.

Fazit für die Praxis:

  • Die ideale Transportstrategie für Schlaganfallpatienten muss auf die lokale Infrastruktur (Transportwege, door-to-needle -Zeit etc.) angepasst sein.
  • Dem prähospital tätigen Team kommt bei der Schlaganfallversorgung eine immer größere Bedeutung zu, um die Patienten mit einem zerebralen Großgefäßverschluss zu identifizieren, die ggf. von einer mothership-Strategie profitieren, und die entsprechende Transportstrategie auszuwählen.
  • Es gibt inzwischen mehrere Scores, die eventuell bei der Identifikation von Patienten mit Großgefäßverschlüssen helfen können:

de la Ossa NP et al. Design and Validation of a Prehospital Stroke Scale to Predict Large Arterial Occlusion The Rapid Arterial Occlusion Evaluation Scale. Stroke 2014; 45:87-91

  • zu berücksichtigen ist, dass diese Scores noch nicht umfassend validiert sind.
  • Die möglichst frühzeitige Alarmierung eines RTH muss bedacht werden, um beim Schlaganfallpatienten die Transportzeiten möglichst kurz zu halten.

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