Cerebrale Krampfanfälle

EEGKrampfanfälle sind gefühlt ein häufiger Alarmierungsgrund in der prähospitalen Notfallmedizin. Dass die Diagnose jedoch selten so klar ist, zeigen A. Harth und Kollegen in einem informativen Weiterbildungsartikel der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Der Notarzt“. Darin beschreiben die Kollegen in verständlicher Art und Weise, wie bereits aus der Anamnese wichtige Hinweise gewonnen werden können, ob tatsächlich eine epileptischer Anfall vorgelegen haben könnte welche differentialdiagnostischen Überlegungen in Betracht kommen und welche therapeutischen Maßnahmen sich ergeben. Dabei müsse neben neurologischen Diagnosen auch an Ursachen aus der inneren Medizin oder gar an Verletzungsfolgen gedacht werden.

Harth A, Winter B, Kulla M. Zerebraler Krampfanfall – Ein Leitfaden zur prähospitalen Diagnosefindung und Therapie. Der Notarzt 2016; 32: 40–45. http://doi.org/10.1055/s-0042-100609

Für die Unterscheidung hat die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILA / www.ilae.org) im Jahr 2009 eine neue Klassifikation der Anfälle vorgeschlagen, die sich nach Ansicht der Autoren bislang nicht im klinischen Alltag durchsetzen konnte; weshalb sie in diesem Artikel die folgende „alte“ Terminologie verwenden.

  1. Primär generalisierter tonisch-klonischer Anfall: Der klassische generalisierten Anfall mit rhythmischen Zuckungen der Extremitäten, die im Verlauf allmählich in Frequenz und Amplitude nachlassen und schließlich sistieren. Während des Anfalls ist der Patient nicht bei Bewusstsein und damit auch nicht kontaktfähig. Nach dem Anfall besteht für die Episode eine Amnesie. Im Regelfall schließt sich an den Anfall ein postiktaler Dämmerzustand oder gar ein Nachschlaf an, der über viele Stunden andauern kann.
  2. Sekundär generalisiert kann ein zunächst fokal eingeleiteter Anfall zu Bewusstseinsverlust und tonisch­klonischen Entäußerungen führen.
  3. Im fokalen Anfall zeigen sich motorische Entäußerungen in einem begrenzten Körperbereich, abhängig vom Ursprungsort (z. B. orale Automatismen bei Temporallappenepilepsien, motorische Entäußerungen der Extremitäten bei Anfällen in der Zentralregion).
  4. Komplex-fokale Anfälle führen nicht zum Sturz oder gar tonisch­klonischen Entäußerungen. Der Betroffene führt komplexe, jedoch oft situationsinadäquate Bewegungen aus; die Symptomatik ist nicht selten von oroalimentären Automatismen, wie Gähnen, Schlucken oder Kauen begleitet.

Die Autoren betonen, dass ein vom Notarzt krampfend vorgefundener Patient entweder bereits einen zweiten Anfall erleidet oder sich im Status epilepticus befindet, was eine unmittelbare antikonvulsive Therapie erfordere. Wird der Patient postiktal angetroffen, seien keine spezifischen Maßnahmen nötig.

Zum weiteren Vorgehen beschreiben die Autoren, dass Patienten mit einem bekannten idiopathischen Krampfleiden ohne vitale Bedrohung nicht zwingend klinisch neurologisch vorgestellt werden müssen. Bei erstmaligen Auftreten jedoch müssten  symptomatische Schädigungen des Gehirns (z.B. Raumforderung, Perfusionsstörungen, metabolische oder entzündliche Veränderungen etc.) ausgeschlossen werden.

Je älter der Patient, desto wahrscheinlicher handelt es sich um ein symptomatisches Anfallsleiden. Die Altersgruppe der meisten idiopathischen Anfälle liegt zwischen 18 und 25 Jahren.

Als notärztliche Maßnahmen beschreiben die Autoren folgendes Vorgehen:

  1. Basismaßnahmen
  2. Sicherung der Atemwege, Sauerstoffgabe
  3. Gefäßzugang an „anfallssicherer“ Stelle legen, z.B. am Handrücken.
  4. Kontrolle von Blutzucker und Vitalparametern
  5. bei Hypoglykämie 60 ml Glukose 40 % i. v.
  6. Temperatursenkung bei erhöhter Körpertemperatur
  7. Erhebung der Fremdanamnese
  8. bei stattgefundenem Sturz oder Verdacht darauf Body Check / HWS­-Immobilisation

Darüber hinaus wird für die Notaufnahme bei Verdacht auf alkoholassoziiertem Krampfanfall das Verabreichen von Thiamin 100 mg i.v. vor der Glukosegabe empfohlen.

Die Autoren gehen ausführlich auf den kindlichen Fieberkrampf ein und beschreiben darüber hinaus differentialdiagnostisch die konvulsive Synkope und psychogene Anfälle.

Als Indizien für einen tatsächlich stattgehabten Krampanfall werden genannt:

  1. ein lateraler (nicht frontaler) Zungenbiss,
  2. als „Forellenphänomen“ bezeichnete periorbitale petechiale Einblutungen und
  3. prolongierte Bewusstseinsstörungen mit verzögerter Reorientierung

Als weiterer differentialdiagnostischer Aspekt wird die Beteiligung der Augen genannt: Bei einem Krampfanfall seien diese für gewöhnlich offen, die Bulbi geradeaus gerichtet oder aber in der horizontalen Blickebene deviiert. Bei Synkopen oder psychogenen Anfällen seien die Augen meist geschlossen und bei passiver Öffnung oft nach oben gerichtet.

Da der Anfall selbst oft vom Notarzt nicht erlebt wird, heben die Autoren die Bedeutung der Fremdanamnese hervor.

2 thoughts on “Cerebrale Krampfanfälle

  1. Trotz dieser Zusammenfassung, wer den Artikel zum wissenschaftlichen, nicht kommerziellen Gebrauch möchte soll mir einfach eine kurze Nachricht (mail at kulla . de) zukommen lassen.
    Dauert vielleicht ein paar Tage, aber dann schick ich das PDF…
    Martin Kulla

  2. Schöne Übersicht zu einem relevanten Notarzteinsatzbild. Enthält viele wichtige Informationen und DD, welche man beachten muss.
    Insgesamt hätte ich mir gewünscht, dass die Autoren nicht nur beim Kind auf die Möglichkeit der nasalen Midazolamgabe hingewiesen hätten sondern dies Möglichkeit auch beim Erwachsenen erörtert hätten. Würde ich persönlich eventuell der i.m. Gabe vorziehen.

    Insgesamt super Arbeit, welche hoffentlich auch von neurologischen Kollegen gelesen wird, damit man in der NFA nicht immer „komisch“ angeschaut wird, weil man Midazolam oder Diazepam verwendet hat, um denn Anfall zu durchbrechen :-).

    Peter Hilbert-Carius

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