kritischer Blick auf die Analgesie beim intraossären Zugang

Gastbeitrag von Stefanie Maier, Ulm                   Der intraossäre (i.o.) Zugang ist ein etablierter und sicherer Gefäßzugang in der pädiatrischen Notfallmedizin. Die Schmerzen bei der Anlage sind vergleichbar mit der Anlage eines Venenzugangs. Jedoch kommt es bei der ersten Spülung der Markhöhle zu einem ausgeprägten Schmerzreiz. In der Vergangenheit wurden Verfahrensanweisungen und Leitlinien veröffentlicht, die eine Verwendung von Anästhetika empfehlen, um diesen durch das applizierte Volumen verursachten, endostalen Schmerz zu lindern. Daher ist es nachvollziehbar, dass einige Anwender eine Form von Analgesie (lokal, systemisch oder intraossär) bei der Anwendung von i.o.-Zugängen in Betracht ziehen.

Lidocain hat bei Kindern eine niedrige Höchstdosis (5mg/kg KG) mit einer engen therapeutischen Breite und kommt in der pädiatrischen Notfallmedizin nur selten zur Anwendung. Daher besteht ein hohes Risiko für Dosierungsfehler. In den letzten Jahren kam es bereits zu mehreren gemeldeten unerwünschten Ereignissen auf Grund von Medikationsfehlern mit verschiedenen Lokalanästhetika. In Deutschland hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Stellungnahme veröffentlicht, in der von einer intraossären Lidocaingabe bei pädiatrischen Patienten abgeraten wird.

Pfeiffer et al. führten eine prospektive Surveillance-Studie durch, in der alle Patienten im Alter von >28 Tagen bis 18 Jahren eingeschlossen wurden, die im Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2019 in Deutschland einen oder mehrere i.o.-Zugangsversuche erhalten haben und über den Meldemechanismus der German Paediatric Surveillance Unit (GPSU) registriert wurden:

Pfeiffer D, Olivieri M, Lieftüchter V et al.

Time delay and risk of toxicity of intraosseous anaesthesia use for awake intraosseous access in children.

Med Klin Intensivmed Notfmed (2025)

Ergebnisse:

  • 234 Kinder wurden im Rahmen der GPSU-Erhebung erfasst. 160 Patienten waren bewusstlos oder erhielten den Gefäßzugang im Rahmen einer kardiopulmonalen Reanimation, sodass 74 Patienten (Alter < 6 Jahre) während der Anlage des i.o.-Zugangs wach waren (31,6%).
  • Bei 14 der 74 Patienten (18,9%) wurde eine intraossäre Anästhesie durchgeführt, bevor der i.o.-Zugang gebohrt oder die Markhöhle gespült wurde.
  • Bei diesen 14 Patienten wurde im Vorfeld erfolglos versucht einen peripheren Venenzugang zu etablieren.
  • Die intraossäre Anästhesie führte zu einer signifikanten Zeitverzögerung (Kruskal-Wallis-Test p = 0,001). Im Durchschnitt dauerte die Anlage mit intraossären Anästhetika mehr als 3 min länger (Median < 3 min vs. > 6 min).
  • Alle 14 Patienten überlebten bis zur Krankenhausentlassung.
  • 1 von 14 Anwender verfügte über eine standardisierte Arbeitsanweisung (SOP) für die Anwendung eines i.o.-Zugangs. 71,4% der Anwender erhielten im Vorfeld eine Fortbildung.

Schlussfolgerung:

Aus Sicht der Autoren wurde in dieser prospektiven Studie fast jeder fünfte wache Patient dem Risiko potenziell lebensbedrohlicher Komplikationen aufgrund von Dosierungsfehlern und Medikamententoxizität ausgesetzt. Die Anlage eines i.o.-Zugangs bei pädiatrischen Notfällen soll ohne intraossäre Anästhesie erfolgen, da die Verwendung von Lokalanästhetika dabei als obsolet betrachtet wird.

Die Autoren empfehlen folgendes praktisches Vorgehen:

  • Sollte man aufgrund von Schmerzen bei der Anlage eines i.o.-Zugangs besorgt sein, sollte die Indikation neu bewertet werden: Handelt es sich um eine lebensbedrohliche Situation? Sind Flüssigkeitssubstitution oder Medikamentenapplikationen nur intravenös bzw. intraossär verfügbar?
  • Wenn ein Gefäßzugang unbedingt erforderlich ist und es sich um eine lebensbedrohliche Situation handelt (in der das Bewusstsein des kritisch kranken Patienten mutmaßlich beeinträchtigt ist), sollten mögliche Schmerzen dem primären Ziel der erforderlichen Therapie untergeordnet werden.
  • Wenn eine Analgesie notwendig ist und es die klinische Situation des Patienten zulässt, sollten alternative, sichere Verfahren eingesetzt werden (z.B. intranasal Esketamin oder Fentanyl), bevor ein i.o. Zugang etabliert wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.