Ein Gastbeitrag von Ferdinand Maier, Ulm Die Behandlung traumatisch bedingter Schmerzen ist essentiell. Eine adäquate Analgesie verringert Leiden und wirkt sich präventiv auf Langzeitfolgen wie chronische Schmerzen oder posttraumatische Belastungsstörungen aus. Um eine zügige Analgesie zu erhalten, zielt die aktuelle Schmerzbehandlung auf eine parenterale Gabe der Medikamente ab, da eine orale Gabe langsamer wirkt und eine intramuskuläre Verabreichung nicht gut steuerbar ist.
Die Häufigkeit von Schmerzen nach einem Trauma werden mit bis zu 81% angegeben. Davon werden 73% der Schmerzen als schwer eingestuft, 47% werden selten und 25% unzureichend behandelt. In taktischen Lagen (z.B. in militärischen Gefechten) werden nur 15% der Patienten mit traumatischen Verletzungen analgetisch behandelt. Selbst unter sicheren Bedingungen werden Schmerzen nur bei zwei Drittel der Patienten erfasst. Deshalb empfehlen die Leitlinien der „National Association of EMS Physicians“ (NAEMSP), bei allen Patienten eine Schmerzbeurteilung anhand der numerischen Ratingskala (NRS) vorzunehmen, Opioid-Analgetika (Morphin oder Fentanyl) zu verabreichen, die Schmerzbeurteilung häufig zu wiederholen und Analgetika erneut zu verabreichen, wenn weiterhin erhebliche Schmerzen bestehen.
Da eine intravenöse Gabe aufwendig sowie zeitintensiv und in einem taktischen Umfeld von Nachteil sein kann, benutzt das Militär (z.B. in den USA, aber auch die Bundeswehr) orales transmukosales Fentanylzitrat (OTFC – „Fenta-Lolli„), welches aber langsam absorbiert und nur begrenzte Sicherheitsdaten aufweist.
Sufentanil sublingual (s.l.) ist ein starkes Analgetikum, das keine aktiven Metaboliten bildet, im Vergleich zu oralen Opioiden schnell wirkt und in Form einer 30 μg Tablette über einen speziellen Applikator verabreicht wird. Es besitzt einen Wirkungseintritt und eine Wirkungsdauer von 15 Minuten bzw. 3 Stunden. Darüber hinaus bietet die s.l. Verabreichung von Sufentanil im Vergleich zu intravenösem (i.v.) Fentanyl eine längere Dauer der Analgesie und eine schnellere Resorption und Analgesie als OTFC.
Guyette et al. stellten die Hypothese auf, dass Sufentanil s.l. im Vergleich zur Standardbehandlung die NRS nach 30 Minuten reduzieren wird. Aus diesem Grund führten sie eine prospektive, randomisierte und interventionelle Studie zur Verabreichung von Sufentanil s.l. im Vergleich zur Standard-Schmerzbehandlung bei verletzten Patienten mit mäßigen bis starken Schmerzen in der Notaufnahme durch:
Guyette FX, Chaudhary P, Vincent LE, Love ET, Brubaker D, Neal MD, Brown JB, Rixe J, Barton DJ, Yates A, Wisniewski SR, Sperry JL.
A Randomized Controlled Trial of Sublingual Sufentanil in Early Management of Pain in Trauma
Methoden
Teilgenommen haben zwei Level-1 Traumazentren in Pittsburgh. Die Studie wurde von der Universität von Pittsburgh und dem Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten genehmigt. Es fand keine Verblindung statt.
Einschlusskriterien:
- stumpfes oder penetrierendes Trauma mit der Notwendigkeit einer Traumauntersuchung
- 18 – 70 Jahre
- NRS (0 = kein Schmerz, 100 = stärkster vorstellbarer Schmerz) ≥ 50
- mindestens 30 Minuten Aufenthalt in der Notaufnahme
Ausschlusskriterien:
- Body-Mass-Index (BMI) > 40 kg/m2
- Schwangerschaft
- Allergie gegen Fentanyl/Sufentanil
- Bekannter Häftling
- Atemdepression
- Bekannte oder vermutete gastrointestinale Obstruktion
Randomisierung nach Zufallsprinzip in:
- Sufentanil s.l. Gruppe
- Standardbehandlung mit entweder Fentanyl i.v., Hydromorphon i.v., oder Oxycodon per os
Primärer Endpunkt
- NRS 30 Minuten nach Gabe der Medikamente
- Mit Untergruppenanalysen hinsichtlich Geschlecht, Alter > 50 Jahre, Injurity Sverety Score (ISS), stumpfes oder penetrierendes Trauma, aktueller Opioidkonsum, luft- oder bodengebundener Transport und Herkunft des Patienten (direkt vom Unfallort oder aus einem anderen Krankenhaus)
Sekundärer Endpunkt
- Hypoxie, SpO2 < 90% mit Notwendigkeit einer Sauerstoffgabe
- Hypotonie, systolischer Blutdruck < 90 mmHg
- Interventionsbedürftige Atemdepression (assistierte Beutelmaskenbeatmung)
- Behandlungsbedürftige unerwünschte Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen oder Schwindel
- Zeit bis zur Verringerung der NRS um 10 Punkte
- Serienmessungen in 30 Minuten Intervallen (bis 120 Minuten) von: NRS und NRS im Vergleich zum Ausgangswert, Patient Global Assessment (PGA): Schmerzkontrolle aus Sicht des Patienten, Richmond Agitation-Sedation Scale (RASS)
- Health Care Professional Global Assessment (HPGA): Schmerzkontrolle aus Sicht des medizinischen Fachpersonals bei 30 Minuten nach Gabe der Medikamente
- Bewertung der kognitiven Funktion bei 30 Minuten nach Gabe der Medikamente anhand des Six Items Screener (SIS)
Die PGA und HPGA wurden anhand einer 4 Punkte Skala von schlecht, mittelmäßig, gut und exzellent bewertet.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 5401 Patienten nach den Ein- und Ausschlusskriterien gescreent. Nach weiterem Ausschluss von Pateinten, die ihre Teilnahme an der Studie verweigert haben (n = 85) wurden 150 Patienten in eine Sufentanil s.l. Gruppe ( n = 76) und einer solchen mit der Standardbehandlung (n = 74) randomisiert. In der Standardbehandlungsgruppe war Fentanyl die häufigste Medikation (85%), gefolgt von Hydromorphon (12%) und Oxycodon (3%). Das Durchschnittsalter betrug 48 (Standardabweichung 15) Jahre, mit einem weiblichen Anteil von 32%. Der häufigste Verletzungsmechanismus war stumpf (96%).
Primärer Endpunkt
- Es gab keinen Unterschied der mittleren NRS zwischen der Sufentanil s.l Gruppe und der Standardbehandlungsgruppe 30 Minuten nach Gabe (66 vs. 68, 95% Konfidenzintervall (KI) -6.19 bis 11.33, p = 0.56)
- Auch in den Untergruppenanalysen gab es keinen Unterschied zwischen Sufentanil s.l. und der Standardbehandlung
Sekundärer Endpunkt
- Die HPGA war bei 30 Minuten in der Gruppe der Standardbehandlung höher als im Vergleich zur Sufentanil s.l. Gruppe (71% gut oder exzellent vs. 40% gut oder exzellent, Odds Ratio (OR) 2.35, 95% KI 0.21 bis 1.49, p = 0.009)
- Die PGA war bei 30 Minuten in der Gruppe der Standardbehandlung höher als im Vergleich zur Sufentanil s.l. Gruppe (59% gut oder exzellent vs. 35% gut oder exzellent, OR 2.46, 95% KI 0.26 bis 1.54, p = 0.005)
- Hinsichtlich der PGA und der mittleren NRS in den restlichen Intervallen, der mittleren NRS im Vergleich zum Ausgangswert und der RASS zeigte sich ebenfalls kein Unterschied
- Es gab keinen Unterschied in der Zeit bis zur Verringerung der NRS um 10 Punkte zwischen der Standardbehandlung und Sufentanil s.l. ( p = 0.259), dies zeigte sich auch in einer Cox-Regression, adjustiert nach Ethnie und ISS
- Es gab keinen Unterschied hinsichtlich des Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen, Hypoxie, Hypotonie oder der Notwendigkeit einer assistierten Beatmung zwischen den beiden Gruppen
- Hinsichtlich der kognitiven Funktion bei 30 Minuten nach Medikamentengabe gab es keinen Unterschied in der Gesamtpunktzahl oder in der Leistung bei einem der einzelnen Items des SIS (OR -0.22, 95% KI -1.11 bis 0.66, p = 0.61)
Schlussfolgerung der Autoren
In dieser Studie konnte bei Traumapatienten 30 Minuten nach der Verabreichung von Analgetika keinen Unterschied in der NRS zwischen Sufentanil s.l. und der Standardbehandlung festgestellt werden. Die unerwünschten Ereignisse unterschieden sich nicht zwischen den beiden Gruppen. Patienten und medizinisches Personal empfanden die Schmerzkontrolle nach 30 Minuten in der Standardbehandlungsgruppe besser als in der Sufentanil s.l. Gruppe.
Sublinguales Sufentanil kann eine alternative Therapie zur Analgesie bei Traumapatienten oder allgemein bei Patienten sein, bei denen die Etablierung einer Venenverweilkanüle nicht direkt möglich wäre.