Should I stay or should I transfuse ?

Ein Gastbeitrag von Ferdinand Maier, Ulm                                 Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (EKs)? Dies Frage stellen sich vermutlich viele Kliniker. Sind dabei physiologische Werte besser geeignet, um diese Entscheidung zu treffen als Hämoglobin (Hb)-basierte Grenzwerte? Um diese Frage zu beantworten, beschäftigten sich Noitz et al. in einem Kommentar mit physiologischen Transfusionstriggern, Hb-basierten Grenzwerten und der aktuellen Evidenzlage dazu.

Noitz M, Dünser MW, Mahečić TT, Meier J.

Physiologic transfusion thresholds, better than using Hb-based thresholds?

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Die Transfusion von EKs zielt darauf ab, die Sauerstofftransportkapazität und das daraus folgende Sauerstoffangebot (DO2) zu erhöhen. Dabei spielt der Zeitpunkt einer Transfusion eine wichtige Rolle, um sowohl unnötige Transfusionen und deren Nebenwirkungen als auch anämiebedingte Morbidität und Mortalität zu vermeiden. Betrachtet man nur den Hb-Wert, bekommt man keine Information über das Verhältnis zwischen DO2 und VO2 (Gewebesauerstoffverbrauch). Alternative Triggerfaktoren für das Anzeigen einer akuten Anämie und des Risikos einer Gewebehypoxie scheinen von Vorteil zu sein.

In mehreren Leitlinien werden Hb-basierte Schwellenwerte genannt, um die Indikation für eine EK Transfusion zu stellen. So wie in der aktuellen Leitlinie der Association for Advancement of Blood and Biotherapies (AABB), die bei kardio-pulmonal gesunden Erwachsenen und Kindern eine EK Transfusion bei einem Hb-Wert von 7 g/dl empfiehlt. Bei Patienten mit kardiovaskulären Komorbiditäten (7,5 g/dl) und bei erwachsenen herz- oder orthopädisch chirurgischen Patienten (8 g/dl) werden höhere Schwellenwerte genannt. In anderen Fachgesellschaften werden Hb-Schwellenwerte zwischen 7 und 9 g/dl als Transfusionstrigger erwähnt. Während die European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) die Verwendung von Hb-basierten Grenzwerte empfiehlt, spricht die aktuelle Leitlinie der European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC) für das Management schwerer perioperativer Blutungen davon, von einer Transfusion profitable Patienten zu identifzieren, indem man physiologische Werte wie beispielsweise die zentralvenöse Sauerstoffsättigung (ScvO2) oder die arteriovenöse Sauerstoffdifferenz (avDO2) betrachtet. Die Querschnitts-Leitlinie zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten der Bundesärztekammer befürwortet ausdrücklich die Berücksichtigung von physiologischen Parametern wie z.B. Tachykardie, Hypotonie, Laktatazidose, neue EKG Veränderungen oder Veränderungen der ScvO2 als Anzeichen einer Gewebehypoxie.

Die drei wesentlichen Determinanten des DO2 sind das Herzzeitvolumen (HZV oder Cardiac Output (CO)), der Hb und die arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2). Wenn DO2 unter VO2 fällt, führt dies zu einer Gewebehypoxie. Kommt es zu einer blutungsbedingten Anämie, könnte eine Erhöhung des HZV die mangelnde Sauerstofftransportkapazität ausgleichen. Bei kritisch kranken Patienten fehlt dieser Kompensationsmechanismus, sei es durch die eingeschränkte Herz- oder Atemfunktion oder aufgrund von Medikamenten (z.B. Betablocker, Sedativa).

In tierexperimentiellen Studien konnte gezeigt werden, dass Hb-Werte um 3 g/dl wahrscheinlich die Untergrenze der Kompensationsmechanismen bei einer akuten Anämie darstellt. Der physiologische Punkt der Dekompensation des kardio-vaskulären Systems bei einer Anämie lässt sich nicht sicher beantworten, da die Organe unterschiedliche Anämietoleranzen aufweisen. In diesen Studien wies das Myokard eine bessere Anämietoleranz auf als Niere oder Darm. Die Niere ist das erste Organ, gefolgt vom Darm, bei dem der Sauerstoffpartialdruck abnimmt und vom Hämatokrit abhängig wird.

Veränderungen im EKG

Es gibt keine klinischen Studien, die EKG Veränderungen als physiologischen Transfusionstrigger untersucht haben. Die Gründe dafür sind die geringe Sensitivität und Spezifität und die Tatsache, dass solche Veränderungen erst Spätindikatoren für eine kritische Anämie darstellen. Dennoch konnte nachgewiesen werden, dass Veränderungen des Hb-Wertes den Vektor im EKG beeinflussen können. So kann dieser bei einer Blutung erhöht und nach einer EK Transfusion erniedrigt sein. In Tiermodellen wurde durch eine Hämodilution (Hb < 5 g/dl) eine signifikante Veränderungen der Herzfrequenzvariabilität beobachtet.

Nahinfrarotspektroskopie (NIRS)

Die NIRS ist eine nicht-invasive Methode zur Messung und Quantifizierung einer regionalen organspezifischen Gewebeoxygenierung. In einer systematischen Übersichtsarbeit wurden dazu widersprüchliche Ergebnisse festgestellt. Bei blutenden Traumapatienten war die Sensitivität zur Vorhersage eines Transfusionsbedarfs zu gering und bei Patienten mit herz- oder neurochirurgischen Eingriffen sowie Neugeborenen wurde durch den Einsatz der NIRS eine Verringerung der Anzahl der transfundierten EKs beobachtet. Bei Patienten mit einer schweren traumatischen Hirnverletzung (TBI) kam es nach EK Transfusion zu einem anhaltenden Anstieg der Sauerstoffsättigung des Hirngewebes. Somit könnte die NIRS hier das individuelle Transfusionsmanagement bei neurokritischen Patienten unterstützen. Obwohl zwischen invasiv und nicht-invasiv gemessener Sauerstoffsättigung im Hirngewebe eine signifikante Korrelation nachgewiesen werden konnte, wurde die Genauigkeit der NIRS zur Erkennung einer intrazerebralen Hypoxie bei TBI Patienten als gering und unzureichend befunden.

Da es auch hier an validierten Daten fehlt, gibt es derzeit keine Empfehlung zur Anwendung der NIRS, um die Steuerung der Transfusionspraxis zu unterstützen.

Zentral-venöse Sauerstoffsättigung (ScvO2) und gemischt-venöse Sauerstoffsättigung (SgvO2)

ScvO2 und SgvO2 spiegeln das Verhältnis zwischen DO2 und VO2 wider. Der Grad der Sauerstoffextraktion im Gewebe kann dadurch überwacht werden. Es wurde eine signifikante Korrelation zwischen den Veränderungen der Hb- und ScvO2-Werten bei Patienten nachgewiesen, bei denen es während einer Kraniotomie zu einem akuten Blutverlust gekommen war. In einer randomisiert kontrollierten Studie (RCT) führten Hb-Werte < 9 g/dl + ScvO2-Werte ≤ 65 % zu einer Reduzierung von EK Transfusionen um 32 % bei herzchirurgischen Pateinten auf der Intensivstation im Vergleich zu einer Hb-basierten Transfusionsstrategie. In einer anderen Studie war eine restriktivere EK Gabe auf Basis eines ScvO2-Wertes von 70 % ohne negative Folgen auf die postoperative Morbidität oder die 6-Monats-Mortalität. Auch hier sind die Daten begrenzt. Die Interaktion zwischen Hb, ScvO2 und SgvO2 ist sehr komplex. Eine Erniedrigung beider Werte bedeutet nicht zwingend eine verminderte Gewebeoxygenierung. Bei Erkrankungen mit beeinträchtigter Sauerstoffextraktion und dessen Verwertung wie z.B. im septischen Schock sind die Werte beider Parameter fraglich. Ebenfalls sind HZV und die arterielle Oxygenierung Einflussfaktoren auf ScvO2 und SgvO2, was die Anwendbarkeit als Transfusionstrigger einschränkt.

Arteriovenöse Sauerstoffdifferenz (avDO2)

Die avDO2 beschreibt die Differenz des Sauerstoffgehaltes zwischen arteriellem (CaO2) und venösem (CvO2) Blut und kann als Surrogatparameter für das Verhältnis zwischen DO2 und VO2 dienen. Eine prospektive Beobachtungsstudie konnte zeigen, dass durch die avDO2 kritisch kranke Patienten identifiziert werden konnten, die von einer EK Transfusion profitierten.

Arterielle Laktatwerte

Laktat gilt als potentieller Indikator für eine Gewebehypoxie und einem anaeroben Stoffwechsel. Bei blutenden Traumapatienten können erhöhte Werte darauf hinweisen, dass mehrere Transfusionen und/oder eine endovaskuläre oder chirurgische Blutstillung benötigt werden.

Es gibt jedoch auch Daten, die keine Korrelation zwischen Laktatspiegeln und Hb oder ScvO2-Veränderungen bei neurochirurgischen Patienten mit akutem Blutverlust festgestellt haben. In Tier- und Humanstudien über schwere isovolämische Anämien waren erhöhte Laktatwerte ein spätes Anzeichen für eine akute Anämie, da diese erst ansteigen, wenn der Hb-Wert unter einen kritischen Wert von 5 g/dl fällt. Auch ist das Laktat nicht spezifisch für eine Hypoxie des Gewebes. Eine erhöhtes Laktat kann beispielsweise auch durch Leberversagen, metabolischen Stress und Medikamente (z.B. ß-Rezeptor-Agonisten) verursacht werden.

Schlussfolgerung der Autoren

Physiologische Transfusiontrigger sind individuell, da sie sowohl Kompensationsmechanismen als auch organspezifische Anämietoleranzen mit einbeziehen. Hb-basierte Grenzwerte bieten einen pragmatischeren Ansatz.

Die meisten Daten über physiologische Transfusiontrigger kommen aus Tiermodellen. In der täglichen klinischen Praxis liegen darüber nur wenige Daten vor, im Gegensatz zu Hb-basierten Transfusionsstrategien, die in vielen RCTs und Meta-Analysen untersucht wurden. Deshalb ist eine weitere Forschung notwendig, um den potentiellen Nutzen physiologischer Transfusiontrigger zu bewerten.

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