Kann eine bessere medizinische Behandlung eine Abnahme von Tötungsdelikten erklären?

Ein Gastbeitrag von Marija Mladenovic und Ulf Harding, Wolfsburg.        Seit den 1990´er Jahren ist die Anzahl an Tötungsdelikten in westlichen Ländern rückläufig. Viele Faktoren, die vor, während und nach der Tat wirken, sind dafür von Bedeutung (z.B. verbesserter psychosozialer Status, Art der Waffe, Reaktion von Zeugen und medizinische Versorgung). Als ein möglicher Faktor, der für die sinkende Zahl an Delikten mit Todesfolge verantwortlich sein könnte, wurde auch eine bessere medizinische Behandlung (verbesserte Telekomunikation, Transport und Versorgung) diskutiert. Thomsen et al. stellen in ihrer Arbeit die Hypothese auf, dass ein Teil des Rückgangs der Todesrate von Opfern penetrierender Verletzungen durch eine bessere und schnellere medizinische Behandlung zu erklären ist. Diese Hypothese wurde anhand von Opfern von Stichverletzungen, der größten Gruppe von Tötungsdelikten in Dänemark, überprüft. Zu diesem Zweck wurde eine epidemiologische Studie von 428 Todesopfern nach Stichverletzungen in Dänemark (1992–2016) durchgeführt, die auf Autopsieberichten mit Registrierung von Stichwunden, Quantifizierung der Schwere der Verletzung, Behandlungsintensität und Überlebenszeit basiert.

Thomsen AH et al.

Improved medical treatment could explain a decrease in homicides with a single stab wound.

Forensic Sci Med Pathol. 2020 Sep;16(3):415-422

doi: 10.1007/s12024-020-00246-z

Zusammenfassung der Arbeit:

In der Analyse eingeschlossene Todesopfer wurden in Bezug auf medizinische Behandlung und Überleben in zwei Gruppen eingeteilt:

  1. Überlebensgruppe A: Überlebenspotential, das zu einer Behandlung unterschiedlicher Intensität am Tatort, im Krankenhaus, im Traumazentrum und während der Operation führt. Selbst für Opfer, die im Verlauf sterben, wurden längere Überlebenszeiten erwartet, falls eine bessere und schnellere medizinische Behandlung erfolgt wäre.
  2. Überlebensgruppe B: Keine Überlebenschanche aufgrund der Art der Verletzungen, z.B Dekapitation oder mehrere schwere Organverletzungen oder aufgrund der Zeit von Kreislaufstillstand bis zum Auffinden der Leiche.

Die Bewertung des Überlebenspotentials erfolgt durch Mediziner, die die Schwere der Verletzungen mittels Abbreviated Injury Scale (AIS), Maximum Injury Score (MAIS), Injury Severity Score (ISS) und New Injury Severity Score (NISS) analysierten.

Methoden

Über die Autopsiedatenbanken der zuständigen Abteilungen (Kopenhagen, Odense, Århus) wurden 1439 Autopsien für 1992–2016 mit der Todesart als Tötungsdelikt abgerufen. In etwa einem Drittel der Fälle gab es ergänzende Polizei- und Gerichtsberichte, die bei unklaren Beschreibungen in den Hauptdokumenten eingesehen wurden. Um Todesfälle zu finden, die in den Datenbanken der Abteilungen nicht als Tötungsdelikte registriert wurden, wurden alle Autopsiedaten untersucht, in denen die Nationalpolizei während der Autopsie Fotos gemacht hatte, da dies auf ein Todesermittlungsverfahren hinweist. Hierbei fanden sich 34 zusätzliche Fälle. Schließlich wurde Mediendienst „infomedia.dk“ verwendet, um Medienberichte über weitere Delikte zu finden, wobei 41 zusätzliche Tötungsdelikte dokumentiert wurden. Die so gefundenen weiteren Delikte wurden durch Autopsieberichte und/-oder Gerichtsberichte bestätigt. Insgesamt wurden in Dänemark (zwischen 1992 und 2016) 1417 Tötungsdelikte, darunter 471 (33,3%) Opfer penetrierender Verletzungen, identifiziert. Aus den AIS-Daten wurden ISS (Injury Severity Score) und NISS (New Injury Severity Score) ermittelt. Die Anzahl an Stichwunden wurde erfasst. Da der ISS die Schwere penetrierender Verletzungen unterschätzt, wurden drei NISS-Kategorien definiert: „niedrig (1–24)“, „mittel (25–44)“ und „hoch (45–75)“. Die Daten wurden weiter entsprechend statistisch analysiert.

Ergebnisse:

Abnahme der Opfer penetrierender Verletzungen:

Die 428 Tötungsopfer, die zwischen 1992 und 2016 an Stichwunden starben, entsprachen einem Jahresdurchschnitt von 17,1 Opfern mit einem signifikanten jährlichen Rückgang von 0,25 Opfern (lineare Regression: P <0,005, F = 9,6, R2 = 0,30).

Die durchschnittliche Anzahl der Stichwunden betrug 5,9 (1–92, Median = 3), und 160 Opfer (37,4%) hatten nur eine einzelne Stichwunde. Es gab eine signifikante Reduktion der jährlichen Anzahl von Opfern mit einer einzelnen Stichwunde von 0,25 (lineare Regression: P <0,001, F = 24,35, R2 = 0,51), jedoch keine Verringerung der Opfer mit mehreren Stichwunden (lineare Regression): P = 0,99, F = 0,0003, R2 <0,001).

Behandlungsniveau und Stichwunden:

Von den 160 Opfern mit einer Stichwunde erreichten 83 (51,9%) das Krankenhaus und /oder wurden operiert, verglichen mit nur 58 (21,6%) der 268 Opfer mit mehreren Stichwunden (χ2 = 48,83, df = 3, P < 0,001).

Im Untersuchungszeitraum über 25 Jahre erreichten zunehmend mehr Patienten lebend den Operationssaal, was Ausdruck einer besseren Versorgung sein könnte.

Fazit:

In der Studie von Thomsen et al. wurde eine Abnahme der Tötungsdelikte mit Stichverletzungen in Dänemark von 1992 bis 2016 gezeigt. Diese Reduktion ist Folge einer abnehmenden Zahl von Opfern mit nur einer Stichwunde und bei gleichbleibender Zahl an Opfern mit mehreren Stichwunden. Opfer mit singulärer Stichwunde überlebten länger und hatten weniger schwere Verletzungen als Opfer mit Mehrfachstichwunden. Eine veränderte Gesetzgebung könnte durch entsprechende Waffenverbote ebenfalls zu dieser Reduktion beigetragen haben.

Insgesamt kann aber eine bessere und schnellere medizinische Behandlung teilweise für die Verringerung der Anzahl Todesopfer, insbesondere nach singulärer Sichtwunde, verantwortlich sein.

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