Akutschmerztherapie bei Extremitätenschmerz in der Notaufnahme

Mit größer Begeisterung wurde von vielen die Publikation von Andrew K. Chang zur Schmerztherapie in der Notfallmedizin bei Extremitätentrauma gefeiert:

Chang AK et al. Effect of a Single Dose of Oral Opioid and Nonopioid Analgesics on Acute Extremity Pain in the Emergency Department A Randomized Clinical Trial. JAMA 2017; 318 (17): 1661-1667; doi:10.1001/jama.2017.16190


Endlich eine randomisierte Studie (RCT) zur Therapie eines akuten Extremitätenschmerzens bei V.a. Fraktur mit und ohne Opioide bei Erwachsenen Patienten (Alter 21-64 Jahre) in der Bronx, New York, USA. Das ganze natürlich vor der großen medienwirksamen „Opioid-Epidemie“ in den USA. Dass das eine (Akutschmerztherapie) und dem anderen Problem (Therapie chronischer Schmerzen) nur wenig miteinander zu tun hat, haben wie wenigsten dabei berücksichtigt. Aber zurück zur Studie: Die Autoren verglichen vier mögliche Schmerztherapiekonzepte mit einer Einmaldosis hinsichtlich der Wirksamkeit binnen zwei Stunden miteinander:

  • 400 mg Ibuprofen p.o. + 1000 mg Paracetamol p.o.
  • 5 mg Oxycodon p.o. (starke Opioid) + 325 mg Paracetamol p.o.
  • 5 mg Hydrocodon p.o. (starke Opioid) + 300 mg Paracetamol p.o.
  • 30 mg Kodein po.o. (schwache Oipioid)+ 300 mg Paracetamol p.o.

Die Medikamente wurde „geblindet“ an die Patienten („masked investigational medication“) mittels einem Automaten („automated medical dispensing system“) über eine Schwester abgegeben.

Folgende Ausschlusskritierien bestanden bei:

  • Einnahme von Methadon in der Vorgeschichte
  • chronische Schmerzzustände (z.B. Sichelzellanämie, Fibromyalgie, oder Neuropathien)
  • allergische Reaktionen auf eine der Studienmedikamente in der Vorgeschichte
  • Einnahme von Opioiden oder Ibuprofen oder Paracetamol binnen der letzten 24 h
  • Schwangerschaftsnachweis mittels ß-HCG-Test
  • Stillzeit
  • Magenulkus in der Vorgeschichte
  • Störungen im Metabolismus von Opidanalgestika, Paracetamol oder Ibuprofen (z.B. Hepatitis, Niereninsuffizienz, Hypo- oder Hyperthyreose,  M. Addision, M. Cushing,
  • Medikamente, die mit den Studienmedikamenten interagieren könnten (z.B. SSRI, trizyklische Antidepressiva)

Als eine Rettungsmedikation wurden 5 mg Oxycodon genutzt.

Mittels der herkömmlichen 11 Punkte Numerischen Rating Scale  (NRS; 0 kein Schmerz, 10 maximaler Schmerz) wurde der Schmerz vor Einnahme und nach 2 h bestimmt. Die Ergebnisse von 411 behandelten Patienten (36±12 Jahre alt, 52% männlich) konnten analysiert werden.

Nach 2 Stunden war der mittlere NRS  in den vier Gruppen um Folgende Punkte auf der NRS gesunken:

  • 400 mg Ibuprofen p.o. + 1000 mg Paracetamol p.o. (n=101): 4,3 Punkte (±95% CI: 3,6-4,9)
  • 5 mg Oxycodon p.o. + 325 mg Paracetamol p.o. (n=104): 4,4 Punkte (±95% CI: 3,7-5,0)
  • 5 mg Hydrocodon p.o. + 300 mg Paracetamol p.o. (n=103): 3,5 Punkte (±95% CI: 2,9-4,2)
  • 30 mg Kodein po.o. + 300 mg Paracetamol p.o. (n=103): 3,9 Punkte (±95% CI: 3,2-4,5)

Abb: Akutschmerztherapie mit verschiedenen p.o. Medikamenten bei isoliertem Extremitätenschmerz erwachsener Patienten vor und 2 h nach dem Therapiebeginn (mod. nach Chang et al. JAMA. 2017;318(17):1661-1667

Dabei konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt werden (p=0,053). Den größten Unterschied in den NRS-Punkte vor und nach Behandlung fand sich zwischen der Oxycodon/Paracetamol und Hydrocodon/Paracetamol-Gruppe (0,9; 99,2% CI, −0,1-1,8). Dabei wurde ein Unterschied von 1,3 Punkten als klinisch relevanter Unterschied vorab definiert. Nebenwirkungen wurden in dieser Studie nicht erfasst.


Interpretation: Zunächst einmal ist bemerkenswert, dass hier „p.o.“- (also oral zugeführte) und nicht „i.v.“-Medikamente bei Patienten mit einem durchschnittlich sehr hohem NRS (8,7±1,3 Punkte) zur Anwendung  in der Notaufnahme kamen. Ergänzend wurden hier „p.o.“-Medikamente getestet, für die es in Deutschland zum Teil intravenöse Lösungen (z.B. Paracetamol) gibt, zum Teil aber Opioide, für die keine i.v.-Lösungen zur Verfügung stehen, und bei denen man sich in Deutschland zur i.v. Gabe anderer Lösungen bedienen müsste (z.B. Piritamid). Weiterhin ist erstaunlich, dass nach einem 2 h-Intervall durchschnittlich ein NRS von >4 Punkten dokumentiert wurde; ein Wert, der hierzulande nicht als ausreichende Schmerztherapie betrachtet werden würde: Gemäss der  SQR-BW (Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg) ist ein Schmerz von ≥5 auf der NRS auf Werte ≤4 bzw. um ≥2 Punkte reduziert werden (PDF). Man könnte damit das Ergebnis der Studie von Chang et al. damit auch so formulieren: Bei Patienten mit extrem starken Schmerzen wurde eine orale Schmerztherapie mit Paracetamol durchgeführt, die durchweg – auch in Kombination mit einem oralen Opioid – nicht bzw. nur teilweise zu einem akzeptablen Behandlungsergebnis geführt hat. Dies bestätigt auch die Betrachtung der genutzten Rescue-Medikation (5 mg Oxycodon) in allen vier Gruppen:

  • 400 mg Ibuprofen p.o. + 1000 mg Paracetamol p.o.: 20%
  • 5 mg Oxycodon p.o. + 325 mg Paracetamol p.o.: 14%
  • 5 mg Hydrocodon p.o. + 300 mg Paracetamol p.o.: 18%
  • 30 mg Kodein po.o. + 300 mg Paracetamol p.o.: 22%

Wobei ein Rescue-Dosis vo 5 mg Oxycodon zur Wirkung von 2-2,5 mg Morphin i.v. korrespondiert.

Chang et al. sehen dies aber etwas anderes: Vor dem Hintergrund der Opioid-Epidemie wird hier konstatiert: „The findings support the inference that there are no clinically meaningful differences between the analgesic effects of these 4 analgesics and suggest that a combination of ibuprofen and acetaminophen represents an alternative to oral opioid analgesics for the treatment of acute extremity pain in the ED.“…

Denken wir einmal an das WHO-Stufenschema, so wird ja bereits seit langer Zeit folgendes empfohlen:

Abb: WHO-Stufenschema der Akutschmerztherapie.

Die Autoren argumentieren, dass mit den Ergebnissen dieser Studie, zahlreiche Notfallmediziner die Ibuprofen/Paracetamol Kombination verschreiben sollten, um einen Beitrag zur Verhinderung der Opioid-Epidemie zu leisten.

Jedoch weist die Studie zahlreiche Limitationen auf:

  • Follow-Up Phase war nur 2 h. Eine Generalisierung der Aussagen auf den Verlauf nach der Notaufnahme ist somit nicht zulässig.
  • Darüber hinaus sind hier vor allem ambulant behandelte Patienten erfasst, die nachfolgend nicht stationäre aufgenommen wurden.
  • Zudem wurde Nebenwirkungen der Ibuprofen, Paracetamol bzw. Opioidtherapie nicht erfasst. In der Literatur liegen diese Komplikationen zwischen 1,6-70%.

Im begleitendem Editorial geht der Senior Editor des JAMA Demetrios N. Kyriacou (Department of Emergency Medicine, Northwestern University Feinberg School of Medicine, Chicago, Illinois) noch einmal detailliert auf die Ergebnisse ein. Auch er führt die 33.091 Opioid-assoziierten Todesfälle aufgrund einer Überdosierung in 2015 in den USA an, und schlägt eine Argumentationskette vor, warum die Verschreibung von Opioiden in der Notaufnahme nachfolgend zu einer Abhängigkeit im Langzeitverlauf führen könnte. Gleichzeitig führt er aber auch an, dass die Faktoren Opioid-naive Patienten, Nikotin- und/oder Alkoholabusus, Drogenabusus, Depressionen, Angststörungen und chronische Schmerzsyndrome zu einer Abhängigkeit führen. Jedoch führt auch er an, dass die Therapieeffekte in der Studie von Chang et al. nur auf das Notaufnahmesetting beschränkt waren und Aussagen zur weiteren Schmerztherapie (im weiteren Verlauf) sich hierbei nicht ableiten lassen. Insgesamt muss man sich fragen, warum die z.B. in allen drei Opioid-assoziierten Kombinationen nur 1/3 der Paracetamol-Dosis eingesetzt wurde (300-325 mg) im Vergleich zur Opioid-freien Kombination. Nach unserem Verständnis des WHO-Stufenschemas wäre auch in der Opioid-Kombinationen eine feste Dosierung von 1.000 mg Paracetamol sinnvoll gewesen und damit eine optimale Schmerztherapie erreichbar gewesen. Hier liegt aber die Limitation vor, dass die Paracetamol-Dosen in den USA in den Opioid-Kombinationspräparaten deutlich reduziert ist und keine neuen Präparate mit höherer Paracetamol-Dosis getestet wurden.

Fazit: Die medienwirksame Präsentation der Untersuchung von Chang et al. überschätzt möglicherweise die Aussage der Studie deutlich. Viele Fragen bleiben offen und vor allem hätten die Entlassungsmedikation der Patienten dokumentiert und das  Schmerzniveau auch in den Folgetagen erfasst werden sollen. Betrachtet man aber den wirklich Inhalt der Studie, so können auch starke Schmerzen nach Extremitätenverletzungen mittels p.o. Ibuprofen in Kombination mit Paracetamol in der Notaufnahme behandelt werden.


Weitere Stimmen zu dieser Studie:

EmCrit


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