Im Deutschen Ärzteblatt hat Prof. Raimund Firsching (Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Magdeburg) ein Update zur Therapie des Akuten Schädel-Hirntraumas (SHT) publiziert:
Firsching R. Akutes Schädel-Hirn-Trauma mit Bewusstlosigkeit. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 313–20. (PDF)
Die entsprechende Publikation fasst Neuerungen zum SHT beim Erwachsenen seit der Publikation der AWMF Leitlinie aus 2015 (Kurzfassung, Langfassung) zusammen. Hier nun eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:
Epidemiologie und Bedeutung:
- 2014 in Deutschland: 267.186 Patienten mit einer intrakraniellen Verletzung stationär behandelt
- SHT weltweit eine der häufigsten Todesursachen bis zum frühen Erwachsenenalter ist
Definition Bewusstlosigkeit:
- Bezeichnungen Bewusstlosigkeit und Koma international synonym verwendet unabhängig von der Dauer
- Bewusstlosigkeit = unerweckbare Zustand der Wahrnehmungslosigkeit seiner selbst und seiner Umgebung
- klinischen Zeichen des Komas folgende Symptome (GCS 3-7):
- Augen werden weder spontan noch auf Schmerzreize geöffnet,
- Aufforderungen werden nicht befolgt
- Spontanbewegungen sind möglich
- Koma-Klassfikation der World Federation of Neurosurgical Societies*
- Komagrad I Bewusstlosigkeit ohne weitere neurologische Störungen
- Komagrad II Bewusstlosigkeit mit Seitenzeichen, einseitige Pupillenstarre oder Hemiparese
- Komagrad III Bewusstlosigkeit mit Strecksynergismen
- Komagrad IV Bewusstlosigkeit mit Pupillenstarre beidseits
Prähospitale Versorgung:
- Sicherung der Vitalfunktionen: Kreislauf und Atmung (ABC-Schema)
- Stop the bleeding (c-ABCDE)
- neurologische Untersuchung („D“):
- bei Bewusstlosigkeit besteht Indikation zur baldmöglichen Intubation, denn bei Bewusstlosigkeit bestehen häufig Schluck- und Atemstörungen und der Atemwege kann durch Sekret, Blut oder Erbrochenes gefährdet werden
- nur Bestimmung der Glasgow-Coma-Scale (GCS) ist nicht ausreichend
- Erfassung der Pupillenfunktionen
- seitengetrennte Untersuchung der motorischen Funktion der oberen und unteren Extremitäten zu fordern
- achte auf Fehlen von Spontanbewegungen, die Reaktion auf Schmerzreize sowie gegebenenfalls das Auftreten von Beuge- und Strecksynergismen
- Differenzialdiagnose: u.a. Intoxikation, endokrine, metabolische und hypoxische Ursachen, Hirnblutungen andere Genese
- immer prophylaktische Halswirbelsäulenimmobilisation, da bei 10% der SHT parallel auch HWS-Verletzungen
Transport:
- Zielklinik bei Bewusstlosigkeit: möglicherweise lebensbedrohlichen Hirnfunktionsstörung, daher Transport in eine Klinik mit CT und Möglichkeit der neurochirurgischen Behandlung
- bei V.a. Wirbelsäulenverletzungen: Klinik mit der Möglichkeit einer Magnetresonanztomographie unter Beatmungsmöglichkeit
- antizipiere voraussichtliche Transportzeit und Entfernung
- Zeitintervall zwischen Unfall und CT-Untersuchung sollte < 1 h
- eine Sedierung wird empfohlen
- bei Zeichen für eine transtentorielle Herniation (z.B. zunehmende Bewusstseinstrübung bis hin zur Bewusstlosigkeit, lichtstarre Pupillen und Beuger-Strecksynergismen)
- Therapie mit Osmodiuretika, Mannit oder hyperosmolarer Kochsalzlösung oder eine Hyperventilation
- keine Glucocorticoide
Innerklinische Versorgung:
- Schockraummanagement mit Therapie vitalbedrohlicher Störungen unter Fortsetzung der Sedierung und Beatmung
- Bildgebung mit CT-Diagnostik (bei Mehrfachverletztem: Ganzkörper-CT), hierbei keine Verzögerung der zerebralen Bildgebung (ausser Abwendung von lebensbedrohlichen Zuständen)
- Überwachung des Hirndrucks durch intrakranielle Drucksonden
- ansteigende Hirndruckwerten (ICP) ist das Frühwarnsystem
- bei intraventrikulären Sonden kann durch das Ablassen von Liquor rasch eine Drucksenkung erreicht werden
- Sicherung des zerebralen Perfusionsdrucks (CPP)
- CPP= MAP-ICP
- durch Vermeiden von Blutdruckabfällen
- Senkung des Hirndrucks durch Medikamente ist in kritischen Bereich häufig nicht ausreichend (s. konträre Stellungnahme und Ergebnisse der gerade publizierten RESCUEicp Studie)
- Versorgung von Verletzungen:
- Raumfordernde intrakranielle Blutungen: sofort operieren
- frontobasale Verletzungen mit Liquorrhö und bei penetrierenden Verletzungen: Operationsindikation je nach neurologischem Befund mit aufgeschobener Dringlichkeit
- wirksamste Methode um einen erhöhten intrakraniellen Druck zu senken: Dekompressionskraniektomie (s. RESCUEicp- und DECRA-Studie)
- Versorgung nicht vitaler Begleitverletzungen sollte verschoben werden
- Hypothermiebehandlung: bisher keine überzeugende Daten (cave: hierzu gibt es auch andere Stimmen und Daten: s. folgenden Post)
- auch hyperbaren Sauerstofftherapie ist nicht überlegen
Prognose:
- Aufwachen aus dem Koma ist wenig vorhersehbar, Prognose daher innerhalb der ersten 24 ungewiss
- Einteilung des Schädel-Hirn-Trauma (Dauer der posttraumatischen Störungen):
- Grad I mit Rückbildung der Symptome innerhalb von 4 Tagen
- Grad II mit bis zu 3 Wochen anhaltenden neurologischen Störungen
- Grad III mit länger als 3 Wochen anhaltenden Symptomen
- aber Schweregradeinteilung ist retrospektiv und nicht in der Akutphase anwendbar
- liegen keine weiteren Funktionsstörungen vor: Letalität etwa 5–10 %
- bei einseitiger Pupillenstarre: Letalität 30-50 %
- bei Strecksynergismen: Letalität 50–60 %
- bei beidseitiger Pupillenstarre: Letalität >90 %
- Überlebensrate von 5 % für einen 20-Jährigen mit einer Bewusstlosigkeit über 18 Tage
- Überlebensrate von 5% für einen 75-Jährigen mit einer Bewusstlosigkeit über 5 Tage
Beachten Sie in diesem Zusammenhang auch die Empfehlungen der S3 Leitlinie Polytrauma.