Ein weiterer Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp aus Bern (Schweiz):
Hope et al. haben einen hervorragenden Übersichtsartikel zum notfallmedizinischen und anästhesiologischen Management des (gedeckt) rupturierten Bauchaortenaneurysmas (BAA) veröffentlicht:
Hope K et al.: Modern Anesthetic Management of Ruptured Abdominal Aortic Aneursyms. J Cardiothorac Vasc Anesth 2016. In press.
Epidemiologie:
- das BAA ist häufig: 65-74 Jahre: 5-7%, >74 Jahre: 10%
- häufigste Todesursache im England
- 8000 Tote pro Jahr in England
- Mortalität bei Ruptur: 50-90%
Diagnose:
- schwierig, v.a. bei älteren Patienten mit Komorbiditäten
- wichtig ist: dran zu denken bei:
- Bauch- oder Rückenschmerzen und/oder
- Schock und hämodynamischer Instabilität und/oder
- Pulsatilem abdominellem Tumor
- CT zur Diagnosesicherung am hilfreichsten, sollte aber erst im Zentrum durchgeführt werden und bei klinischem Verdacht die Verlegung ins Zentrum nicht verzögern
Transport:
- Möglichst zügiger Transport in ein gefäßchirurgisches Zentrum
- Keine Verzögerung des Transports durch Diagnosesicherung, der klinische Verdacht reicht aus!
- Im einem Zentrum sollten pro Jahr mindestens 15 rupturierte BAA operiert werden, fundierte Erfahrung auf operativer und anästhesiologischer Seite ist entscheidend für die Überlebenschance des Patienten
- Für den Transport reicht ein großlumiger i.v.-Zugang und Standardmonitoring aus
- Keine aggressive Flüssigkeitstherapie!
- Permissive Hypotension (systolischer Blutdruck von 70 mmHg reicht aus)
- Keine Blutprodukte für den Transport
- Kein Transport bei Herz-Kreislauf-Stillstand
Abb.: Versorgungsalgorithmus nach Hope et al. (J Cardiothorac Vasc Anesth 2016)
Versorgung im Zentrum:
- Bei schwerer hämodynamischer Instabilität sofort in den OP
- Meist noch ausreichend Zeit für CT-Diagnostik
- Weiter permissive Hypotension
- Flüssigkeit in 250 ml-Bolus, um einen systolischen Blutdruck von 70 mmHg zu halten
Notfallnarkose:
- Narkoseeinleitung erst nach Abwaschen, sterilem Abdecken und mit „eingewaschenem“ Operateur am Tisch
- Invasive Blutdruckmessung falls zeitlich möglich vor Narkoseeinleitung, sollte aber den OP-Beginn nicht verzögern
- Großlumiger zentralvenöser Zugang nach Narkoseeinleitung
- Wenn operativ eine endovaskuläre Versorgung (EVAR) geplant ist (nur in 65% der Fälle anatomisch überhaupt möglich), profitieren Patienten möglicherweise von einer Lokal- (oder Regional-)Anästhesie im Vergleich zur Vollnarkose (randomisiert kontrollierte Studien zum Vergleich der Narkoseverfahren bei EVAR fehlen noch)
- Hohes Risiko an perioperativen kardialen Komplikationen
- Nach Klemmen: Normalisierung der Hämodynamik anstreben („Auffüllen“)
- Hämodynamik evaluieren via MAD, ZVD, pulse pressure variation oder andere nicht-invasive Verfahren (Anm.: transösophageale Echokardiografie)
- An die Komplikation einer Aortendissektion denken: Bedeutung der transösophagealen Echokardiografie
Weiteres Management, intraoperativ:
- Thrombelastografie wertvoll: Hyerfibrinolyse? Hyperkoagulopathie? Hypofibrinogenämie?
- In England: Transfusionstrigger bei Hämorrhagie 80 g/l (=8,0g/dl), Ziel dann 80-100 g/l (8-10 g/dl)
- Normothermie, aber: nur durch Wärmen der Infusions-/Transfusionsflüssigkeit und Wärmen der oberen Körperhälfte! Keine Wärmematten oder Wärmen der Beine (Ischämieschaden!)
- Nephroprotektion: keine medikamentöse Option bisher. Einzig vermeiden von nephrotoxischen Substanzen, adäquate Hämodynamik und Flüssigkeitsmanagement (Vermeiden von Hypotension) und möglichst kurze Klemmzeit
Postoperativ auf Intensivstation – an typische Komplikationen denken:
- Intraabdomineller Hypertonus
- Kardiale Komplikationen
- Nierenversagen
- Spinale Ischämie
- Kompartmentsyndrom der Beine
- Beinischämie
Literatur:
Hope K et al.: Modern Anesthetic Management of Ruptured Abdominal Aortic Aneursyms. J Cardiothorac Vasc Anesth 2016. In press
Knapp J et al.: Anesthesiologic procedure for elective aortic surgery. Anaesthesist 2009; 58: 1161-82