Sind wir zu großzügig mit der Gabe von Tranexamsäure?

Infolge der CRASH-2-Studie und der Darstellung der Ergebnisse dahin gehend, dass der größte Effekt auf das Outcome erzielt würde, wenn Tranexamsäure (TXA) dem blutenden Traumapatienten bereits in der ersten Stunde nach Trauma appliziert würde, um eine traumainduzierte Hyperfibrinolyse zu verhindern, konnte in den letzten Jahren eine deutliche Steigerung der prähospitalen TXA-Gabe verzeichnet werden.

In einer wohl formulierten Stellungnahme arbeitet Prof. Maegele aus Köln in der aktuellen Ausgabe der SPRINGER-Zeitschrift „Der Unfallchirurg“ nun heraus, dass bei lediglich 17% der Traumapatienten mit einer Hyperfibrinolyse zu rechnen ist.

Maegele M. Unkritischer Gebrauch von Tranexamsäure bei Traumapatienten. Der Unfallchirurg 2016; 119: 967–72

Vielmehr zeigten aktuelle Daten, dass unterschiedliche Phänotypen der traumatischen Gerinnungsstörung bestünden:

  • den größen Part nähme demnach die sog. „Shutdown“-Hypofibrinolyse ein (64% )
  • gefolgt von einer physiologischen Fibrinolyse (18%)
  • und nur die letzte Gruppe zeige tatsächlich eine Hyperfibrinolyse.

Entsprechend bekäme die Mehrheit der Traumapatienten TXA ohne Indikation.

Weltweit laufen derzeit verschiedenen Studien, um die Häufigkeit und das Ausmaß der traumatischen Hyperfibrinolyse zu erfassen. Bis diese Ergebnisse vorliegen könnte es unter Umständen richtiger sein, die Gabe von TXA von einer Thrombelastographie (ROTEM) im Schockraum abhängig zu machen.

rotem hyperfibrinolyse
Beispiel einer TXA-sensitiven Hyperfibrinolyse im ROTEM®bei einem schwerstverletzten Polytraumapatienten mit Schädel-Hirn-Beteiligung. Gerinnselzusammenbruch im EXTEM, INTEM und FIBTEM bei erhaltener und insgesamt akzeptabler Gerinnselstabilität im APTEM unter Zugabe von TXA. — (C) SPRINGER, Der Unfallchirurg

Als praktikabele Formulierung für die prähospitale Versorgung ist wohl am ehesten der therapeutische Effekt der frühen Gabe von TXA beim blutenden Traumapatienten im hämorrhagischen Schock mit aus Sicht des Notarztes bestehendem Risiko für eine Massivtransfusion belegt.


Literatur:

  • CRASH-2 trial collaborators, Shakur H, Roberts I, Bautista R, Caballero J, Coats T, Dewan Y, El-Sayed H, Gogichaishvili T, Gupta S, Herrera J, Hunt B, Iribhogbe P, Izurieta M, Khamis H, Komolafe E, Marrero MA, Mejía-Mantilla J, Miranda J, Morales C, Olaomi O, Olldashi F, Perel P, Peto R, Ramana PV, Ravi RR, Yutthakasemsunt S (2010) Effects of tranexamic acid on death, vascular occlusive events, and blood transfusion in trauma patients with significant haemorrhage (CRASH-2): A randomised, placebo- controlled trial. Lancet 376(9734):23–32
  • Moore HB, Moore EE, Gonzalez E, Chapman MP, Chin TL, Silliman CC, Banerjee A, Sauaia A (2014) Hyperfibrinolysis, physiologic fibrinolysis, and fibrinolysis shutdown: The spectrum of postinjury fibrinolysis and relevance to antifibrinolytic therapy. J Trauma Acute Care Surg 77(6):811–817

  • Morrison J, Dubosse J, Rasmussen T, Midwinter M (2012) Military application of tranexamic acid in trauma emergency resuscitation (MATTERs) study. Arch Surg 147(2):113–11
  • Cole E, Davenport R, Willet K, Brohi K (2015) Tranexamic acid use in severely injured civilian pa- tients and the effects on outcomes: A prospective cohort study. Ann Surg 262(2):390–394

3 thoughts on “Sind wir zu großzügig mit der Gabe von Tranexamsäure?

  1. Nach der bisher besten Datenlage (CRASH-2 / MATTER’s) zeigt sich aber doch eindeutig eine signifikante Besserung unter TXA Gabe ohne wesentliche Nebenwirkung; aus welchem Grund auch immer. Die NNT überwiegt in beiden Studien bei weitem die NNH bei frühzeitiger Gabe. Es stellt sich mir die Frage ob bei dieser vorhandenen Datenlage nicht eine zurückhaltendere Aussage gegenüber einer „zurückhaltenderen TXA Gabe“ besser wäre bis eindeutige Daten eine Sinnhaftigkeit der präklinischen Gabe widersprechen. Es scheint ja zu wirken; warum auch immer.
    Mich würde Eure Meinung hierzu interessieren.

    1. Hallo Jürgen,

      danke für Deinen Beitrag, der sicher eine weit verbreitede Meinung wieder gibt. Gerade diese Einstellung gilt es zu diskutieren. Dazu haben wir u.a. CRASH-2 und MATTERS als Literatur angeführt. Gerade MATTERS beschreibt eine statistisch signifikante Zunahme von Lungenarterienembolien (TXA:2,7% vs. non-TXA:0,3%; P=0.001) und tiefen Venenthrombosen (TXA:2,4% vs. non-TXA:0,2%; P=0.001). Diese Risiken sind nur akzeptabel, wenn der Patient einen Benefit vom Einsatz der TXA hat. Die Gabe von TXA an Patienten, die letztlich keinen Transfusionsbedarf hatten, wurde bereits in der Folge der CRASH-2-Publikation kritisch diskutiert.
      Der Ansatz muss sein, TXA nicht mit der Gießkanne zu verteilen, sondern kritisch die Patienten zu erkennen, die tatsächlich davon profitieren. Da wir prähospital keine Thrombelastographie zur Verfügung haben, scheint die Empfehlung TXA präklinisch blutenden Patienten im hämorrhagischen Schock zu applizieren doch sehr sinnvoll. Virginia Harvey hat in ihrer empfehlenswerten Übersichtsarbeit zu TXA schon 2014 empfohlen, TXA solchen Patienten frühzeitig zu applizieren, die ein Risiko für einen signifikanten Blutverlust haben, oder bereits Blutprodukte erhalten, besonders im Falle von Massivtransfusionen.
      Anders sieht auch unsere klinische Praxis nicht aus.

      Weiterführende Literatur:
      Harvey V, Perrone J, Kim P. Does the use of tranexamic acid improve trauma mortality? Annals of Emergency Medicine 2014;63:460–2
      Pusateri AE, Weiskopf RB, Bebarta V, Butler F, Cestero RF, Chaudry IH et al. Tranexamic Acid and Trauma. Shock 2013;39:121–6

      1. Hallo Björn,
        vielen Dank f. d. rasche und ausführliche Antwort. Die darin enthaltene Kernaussage deckt sich mit meinem bisherigen Stand. Wollte nur sichergehen ob sich nach dem vorstehenden Artikel das bei uns bisher übliche Vorgehen ändern sollte oder ob wir nach wie vor „current practice“ betreiben.

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