PARAMEDIC2-trial

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz: 

Am 18.07.2018 wurden die Ergebnisse des PARAMEDIC2-trials im New England Journal of Medicine publiziert und fanden über die sozialen Medien und die FOAM-Gemeinschaft eine rasend schnelle Verbreitung.

Perkins GD et al. A randomized trial of epinephrine in out-of-hospital cardiac arrest. N Engl J Med 2018, online first. (PDF)

Die Studie hier zusammenzufassen ist überflüssig, da dies schon durch zahlreiche andere Blogs und Podcasts übernommen wurde:

REBEL Cast Ep56 – PARAMEDIC-2: Time to Abandon Epinephrine in OHCA?

 

Paramedic 2: Epinephrine harms/helps in out of hospital cardiac arrest

Die Kommentare sprechen von einem “Meilenstein”, «Paradigmenwechsel» und fragen, ob “jetzt alles anders wird”. Zweifelsohne ist die Studie eine der besten und aussagekräftigsten, die in der notfallmedizinischen Forschung in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht wurde. Sie ist für eine Studie im prähospitalen Bereich methodisch hervorragend und mit mehr als 8.000 Patienten ausreichend groß angelegt.

Aber wie immer lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die Studie zu werfen.

Was fällt auf an PARAMEDIC2 auf?

  • Der Rettungsdienst war mit im Median 7,4 min sehr schnell vor Ort. Für eine landesweite Studie, die also sowohl städtische als auch ländliche Regionen einschließt, eine exzellente Eintreffzeit.
  • Die Zeit vom Eintreffen des Rettungsdienstes bis zur Applikation des Studienmedikaments (Adrenalin vs. Placebo) beim reanimationspflichtigen Patienten war mit mehr als 15 min deutlich länger als man sie gemäß den geltenden Algorithmen zur Reanimation sowohl bei defibrillierbarem Rhythmus (19%) als auch beim nicht-defibrillierbaren Rhythmus (79%) erwarten würde.
  • Nur 30% der Patienten wurden endotracheal intubiert. Bei 70% wurde eine supraglottische Atemwegshilfe verwendet.
  • Die Rate der Laienreanimation mit knapp 60% ist sehr gut und immer noch deutlich besser als in Deutschland.
  • Die 30-Tage-Überlebensrate in beiden Gruppen mit nur 3,2 bzw. 2,4% ist dagegen beachtlich. Leider findet sich hier auch im Zusatzmaterial keine Aufteilung der Überlebensrate nach dem initialen Herz-Rhythmus oder dem RACA-Score.

Stellt die Studie also wirklich «alles auf den Kopf» und sind die Ergebnisse wirklich so überraschend?

  • Aus bereits vorliegenden Studien wissen wir, dass das Adrenalin beim nicht-defibrillierbarem Rhythmus möglichst frühzeitig appliziert werden soll. Siehe hierzu auch unseren Beitrag „Adrenalin? – Schnell“auf news-papers.eu:

Hansen M et al. Time to Epinephrine Administration and Survival From Nonshockable Out-of-Hospital Cardiac Arrest Among Children and Adults. Circulation 2018; 137:2032-2040

  • In dieser großen Registerstudie aus den USA und Kanada wurden 32.101 Patienten mit OHCA und nicht-defibrillierbarem Herzrhythmus ausgewertet.
  • für jede Minute Verzögerung der Adrenalin-Gabe nach Eintreffen des Rettungsdienstes reduzierte sich die Chance des Patienten, lebend aus dem Krankenhaus entlassen zu werden um 4% (odds ratio 0,96, 95%-Konfidenzintervall: 0,95-0,98)

Patienten mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus machten im PARAMEDIC2-trial fast 80% der Patienten aus. Patienten mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus profitierten sehr wohl von der Adrenalin-Gabe. Die Chance auf ein Überleben nach 30 Tagen war für diese Patienten in der Adrenalin-Gruppe mit einem odds ratio von 2,15 (95%-Konfidenzintervall 1,13-4,09) deutlich grösser als in der Placebo-Gruppe. Diese Zahlen finden sich leider nur im Supplement des PARAMEDIC2-Trail.

Weitere Kritikpunkte:

Dass Patienten mit einem defibrillierbarem Rhythmus vor allem von einer möglichst frühzeitigen Defibrillation profitieren und die Gabe von Adrenalin hier eine deutlich untergeordnete Rolle spielt, ist bekannt. Leider ist die Zeit bis zur Applikation des ersten Defi-Schocks weder in der Studie noch im Supplement angegeben. Es finden sich nur Zahlen zur Anzahl der Schocks nach Randomisation, Kompressionsrate etc.

Die Studie macht leider keine Angaben über die Post—Reanimationsbehandlung. Fand sie für alle Patienten in Cardiac-arrest-Centern statt? Gabe es hier Unterschiede in der Therapie zwischen den Gruppen?

Was können wir aus dem PARAMEDIC2-trial also für die tägliche Praxis in der Notfallmedizin mitnehmen? Welche Fragen sind durch diese Studie noch nicht beantwortet?

  • Jeder, der innerklinisch bei Patienten mit invasivem Monitoring (Arterie) reanimiert, sei es auf der Intensivstation oder im Schockraum, wenn Patienten unter laufender CPR aufgenommen werden und der Blutdruck unter CPR invasiv gemessen werden kann, weiß, dass 1 mg Adrenalin keine „one size fits all“ Dosis ist. Die Dosierung stammt noch aus Tierversuchen in den 1960er-Jahren.
  • Das Ziel der Adrenalin-Gabe bei CPR ist ja die Verbesserung des koronaren und zerebralen Perfusionsdrucks. Gibt es also einen Grund, Adrenalin zu applizieren, wenn durch die Thoraxkompression ein adäquater Perfusionsdruck (z.B. mittlere arterielle Druck [MAD] von 60 mmHg) generiert wird?
  • Wenn man in der Intensivmedizin oder Anästhesie den MAD dauerhaft stabilisieren will, appliziert man auch nicht 1 mg Adrenalin im Bolus, sondern greift zum Perfusor und steuert die Dosis je nach der hämodynamischen Antwort des Patienten. Genau so verfahren ja auch viele erfahrene innerklinische Notfallmediziner.
  • Bisher gibt es keine gute Studie, die den Effekt von Noradrenalin oder Vasopressin untersucht. Bei jedem Patienten mit kardialen Arrhythmien mit Kreislauf wären wir extrem zurückhaltend mit der Gabe eines der stärksten proarrhythmischen Medikamente, das wir einsetzen. Beim Kammerflimmern geben wir es Milligramm-weise.
  • Dass eine standardisierte Therapie mit fixen nicht an der hämodynamischen Situation orientierten Dosierungen von Medikamenten oder Volumentherapie für kritisch kranke Patienten nicht funktioniert und zu keiner Verbesserung des Behandlungsergebnis führt, wissen wir bestens u.a. auch aus der Sepsis-Therapie.
  • Wünschenswert wäre also auch in der prähospitalen Situation irgendeine Form des Monitorings, die uns Informationen über den MAD unter CPR gibt, um daran ev. die Notwendigkeit der Gabe eines Vasopressors und dessen Dosis festzumachen.
    • Die Anlage einer invasiven Blutdruckmessung „draußen“ wäre eine Möglichkeit. Die arterielle Punktion ist (ggf. unter Ultraschallkontrolle) auch unter CPR kein Hexenwerk und gelingt mit entsprechendem innerklinischem Training gut. Voraussetzung wäre allerdings eine entsprechende Ausstattung und ein gut laufendes Team, so dass eine Person sich kurz die Zeit für die arterielle Punktion nehmen kann.
    • Das endexspiratorische CO2wäre eine weitere Möglichkeit. Wenn hier 30-40 mmHg gemessen werden können, muss ein adäquater Perfusionsdruck vorliegen.
    • Möglich wäre auch eine Flussmessung mittels Ultraschall z.B. im Bereich der A. carotis. Falls hier Flussgeschwindigkeiten von 0,7 m/s während der Kompression (Systole) und 0,2 m/s während der Dekompression (Diastole) gemessen werden, wäre dies auch ein gutes Indiz für eine gute Perfusion.

Fazit:

  • Adrenalin ist auch nach PARAMEDIC2 längst nicht „out“, insbesondere beim nicht-defibrillierbarem Rhythmus; auch wenn dies andere aktuelle Blogbeiträge und Meinungen in sozialen Medien vertreten. Aus den Ergebnissen anderer Studien kann man schließen, dass eine frühere Gabe hier einen besseren Effekt zeigt.
  • Beim defibrillierbarem Rhythmus spielt Adrenalin eine untergeordnete Rolle und darf in keinem Fall die zeitgerechten Defibrillationen verzögern.
  • Die richtige Dosis von Adrenalin bei CPR ist unbekannt und vermutlich keine einheitliche Dosis für jeden Patienten.
  • Die Steuerung dieser Dosis im prähospitalen Umfeld ist ein spannendes Feld für zukünftige Studien.
  • Vielleicht gibt es bessere Medikamente als Adrenalin zur kardiopulmonalen Reanimation bei Kammerflimmern (ohne proarrhythmische Wirkung). Auch hier wären groß angelegte Multicenter-Studien notwendig.

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One thought on “PARAMEDIC2-trial

  1. … patient orientated resuscitation. So we know what helps under which circumstances and what doesn’t. If only now we could consider all the aspects in a timecritical, resource limited preclinical setting. Reading abt „placing an artial line should be possible“ yea, sure. 🤔 When e.t. airway is still beyond our competences. 🤦‍♂️

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