Neues zur Hypothyreose: „Schlimm“ oder „Nicht-Schlimm“

Eine Zusammenfassung folgender Arbeiten erfolgte durch Matti Ussat (Zentrale Notaufnahme, Universitätsklinikum Leipzig):

Peeters RP. Subclinical Hypothyroidism. New Eng J Med 2017, 376: 2556-2565

Schübel J, et al. Latente Hypothyreose des Erwachsenen. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 430-438 (PDF)


Allgemeines:

  • Prävalenz einer latenten Hyperthyreose der Allgemeinbevölkerung zwischen 3-10% (validierte Daten für USA, England und Dänemark; für Deutschland liegen bislang keine Daten vor), bei Patienten > 65 Jahre sogar 8-18% Prävalenz
    • Cave: regionale unterschiedliche Einflussfaktoren (z.B. Iodzufuhr) führen zu unterschiedlichen TSH-Referenzwerten!
    • Schwangere sind in diesen Übersichtsarbeiten ausdrücklich nicht einbezogen, da auch hier andere Grenzwerte festgelegt sind. Neue internationale Leitlinien sind in Vorbereitung.
  • Frauen sind häufiger betroffen als Männer (je nach Studie 1:2,5-3), Ältere mehr als Jüngere

Ein Problem bzw. Dilemma der latenten Hypothyreose ist, dass der Patient per definitonem „krank“ ist, aber ohne akute Handlungsindikation: Es stellt sich also regelhaft die Frage nach „Therapieren“ vs. „Aggressives Warten“ und damit Schutz des Patienten vor einer Überversorgung und deren Folgen als relevantes Versorgungsproblem in Deutschland.


Definition einer latenten Hyp0thyreose, mögliche Ursachen und empfohlene Diagnostik:

  • Erhöhung des TSH (Thyreotropin stimulierendes Hormon) über den oberen Referenzwert ohne Erhöhung des fT4, d.h. eine latente Hypothyreose beschreibt zunächst nichts weiter als einen pathologisch erhöhten Laborwert.
  • Bestimmung von fT3 ist nicht notwendig da keinerlei Zusatznutzen
  • Beachte: der obere TSH-Referenzwert schwankt national und international sehr, in Deutschland kann weitestgehend ab einem Wert > 4 mU/L von einer Hypothyreose ausgegangen werden, ab >10 mU/L von einer schweren latenten Hypothyreose
  • 75% der Patienten mit latenter Hypothyreose haben eine TSH-Wert < 10 mU/L
  • je nach Messmethode unterscheiden sich Referenzwerte, Verlaufskontrollen sind also nur sinnvoll, wenn mit gleicher Methode gemessen (ähnlich der Problematik mit den Troponin-Messmethoden)
  • zunehmend findet sich eine Diskussion neuer Referenzwerte für ältere Patienten (70- bis 79-Jährige: 5,9 mU/L; ≥ 80-Jährige: 7,5 mU/L) (Cave: Abwendung von einer Überversorgung und unnötigen „Pathologisierung“ mit zusätzlicher Diagnostik)
  • Je höher der Body-Mass-Index (BMI) und der Taillenumfang, desto höher das TSH (inwiefern eine Hypothyreose Folge oder Ursache hierbei ist, ist nicht abschließend geklärt. Hinsichtlich der demographischen Entwicklung mit höherer Adipositasinzidenz spannendes Thema!)
  • Medikamente mit TSH-Erhöhung:
    • Amiodaron
    • Lithium
    • Dopaminantagonisten (z.B. MCP, Sulpirid, Domperidon)
    • Östrogene
    • Thyreostatika
  • Weitere Faktoren für TSH-Erhöhung:
    • Schlafentzug
    • Iodzufuhr
    • Begleiterkrankungen (z.B. Nebenniereninsuffizienz, Hypophysenadenome)
    • Umwelteinflüsse: große Höhen, Kälteexposition
    • HIV-Infektion
    • zirkadiane Rhythmik beachten (mit niedrigeren Werten am Nachmittag als am Morgen)
  • aufgrund der physiologischen Varianz sind intraindividuelle TSH-Schwankungen erst ab > 40% Differenz als „echte“ Funktionsänderung zu werten
  • je milder die Erhöhung des TSH, desto wahrscheinlicher ist die selbstständige Limitierung in Verlaufskontrollen (TSH bis 7 mU/L bis zu 46% innerhalb der ersten zwei Jahre)

Die Bewertung einzelner TSH-Werte ist nur unter Berücksichtigung der Einflussfaktoren, des gesundheitlichen Allgemeinzustandes und der Einschränkung der Lebensqualität zu beurteilen:

  • häufigste Ursache einer latenten Hypothyreose ist die Autoimmunthyreoiditis
  • Bestimmung der Autoimmunantikörper kann erfolgen (primärärztlich: TPO-AK, spezialärztlich zusätzlich auch TG-AK), hat klinisch aber kaum Relevanz (relatives Risiko einer manifesten Hypothyreose bei Antikörper-positiven Patienten 1,7%/Jahr im Vergleich zu Antikörper-negativen, kumulierte Inzidenz nach 9 Jahren 59% vs. 23%), wobei TSH-Laborkontrollen sowieso erfolgen müssen à Gefahr von Ängsten und Unsicherheiten der Patienten mit Einschränkung der Lebensqualität ohne äquivalenten therapeutischen Nutzen, AK-Diagnostik nur unter gemeinsamer Zustimmung des Patienten und nicht in der Notaufnahme (keine Akutdiagnostik)
  • Schilddrüsen-Sonographie ohne palpable Knoten routinemäßig nicht mehr empfohlen und nicht in der Notaufnahme (keine Akutdiagnostik)
  • Abfrage von typischen Symptomen einer Hypothyreose eignet sich nicht zur Diagnosesicherung und Unterscheidung zwischen „latenter“ vs. „manifester“ Unterfunktion

Warum überhaupt therapieren? Assoziierte Risiken einer latenten Hypothyreose:

  • Risiko für
    • Koronare Herzerkrankung steigend mit Höhe des TSH-Wertes, bei TSH 10-19,9 mU/L mit einer Hazard Ratio (HR) von 1,89
    • Herzinsuffizienz und Schlaganfall, vor allem ab TSH > 7 mU/L
    • Erhöhung des Gesamt-Cholesterins und LDL (dabei ist unklar, ob eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos aufgrund des gestörten Fettstoffwechsels oder durch andere Mechanismen bedingt ist)
    • Unfruchtbarkeit, Spontanabort, Schwangerschaftskomplikationen (Schwangerschaftshypertonie und Präeklampsie)

Therapieempfehlungen:

  • Bezüglich klinisch relevanter Endpunkte und Nebenwirkungen ist bisher nur eine randomisierte kontrollierte Studie vorhanden: „Thyroid Hormone Therapy for Older Adults with Subclinical Hypothyroidism“ Stott DJ et al. N Engl J Med 2017, 376: 2534-2544 (Homepage)
    • Follow-Up über 3 Jahre von 737 Patienten > 65 Jahre in einer Plazebo-kontrollierten Studie, um Nutzen und Effekt einer Therapie mit Thyroxin auf eine latente Hypothyreose zu untersuchen
    • Ergebnisse: Thyroxin zeigt keinen sichtbaren Effekt bei älteren Patienten mit einer latenten Hypothyreose
    • Keine Aussagen möglich für: Nutzen einer Therapie bei TSH > 10m U/L, bei schwer symptomatischen Patienten, bei Antikörper-positiven Patienten, mögliche positive/negative kardiovaskuläre Effekte des Thyroxins
  • Bekannte Risiken einer Thyroxin-Therapie:
    • Arrhythmien (RR: 1,6, 95% CI: 1,0 – 2,5, p=0,05)
    • 20% der Patienten, welche eine Thyroxin-Therapie bei latenter Hypothyreose erhalten, zeigen therapiebedingt im Verlauf zu stark erniedrigte TSH-Werte (iatrogene Hyperthyreose)
    • Daraus resultierend besteht ein erhöhtes Risiko für Frakturen, Osteoporose und Vorhofflimmern (v.a. für Patienten > 60 Jahre)
  • Nutzen einer Thyroxin-Substitution:
    • Stimmungsaufhellung
    • gesteigerte Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden
    • Verbesserung psychiatrischer Krankheitsbilder (nur teilweise durch Studienergebnisse belegt),
    • generell gilt: Benefit einer Therapie eher wahrscheinlich bei symptomatischen Patienten und mit einem TSH-Level ab 10-12 mU/L

TSH > 10 mU/L

  • Klare Empfehlung nur bei Patienten ≤ 70 Jahren, 25-75 µg/Tag als einmalige Dosis (niedrigere initiale Tagesdosen wählen bei Patienten mit stabiler Angina pectoris oder hohem kardiovaskulärem Risikoprofil)
  • > 70 Jahre Therapie nur bei hohem vaskulärem Risikoprofil, Hypothyreose-assoziierten Symptomen, positiven AK-Status, wenn TSH im Verlauf steigt oder fT4 niedrig-normal ist. Ein Therapieversuch für 6 Monate kann erfolgen.
  • > 85 Jahre Therapieindikation sehr streng hinterfragen, da oft eine Überdosierung resultiert (cave: Multimorbidität und Polypharmazie)

TSH < 10 mU/L

  • keine generelle Therapieempfehlung! (keine einheitlichen Daten, Studien aufgrund unterschiedlicher Referenzwerte nicht vergleichbar)
  • Möglicher Therapieversuch für 6 Monate, wenn Symptome einer Hypothyreose vorliegen (z.B. Depressive Verstimmung, ausgeprägte Müdigkeit, erniedrigte Konzentration und Merkfähigkeit, erhöhte Kälteempfindlichkeit, Gewichtszunahme, Verstopfung). Falls keine Symptomverbesserung nach 6 Monaten, dann Therapie beenden.
  • Patienten > 85 Jahren: von einer Substitution wird hier sogar abgeraten (Hinweise auf verlängerte Lebensdauer bei latenter Hyperthyreose), „wait-and-see“-Strategie empfohlen

Positive TPO-AK

  • Leitlinien empfehlen immer eine Substitution bei nachgewiesenen AK, jedoch korreliert die Entwicklung einer manifesten Hypothyreose eher mit der Höhe des TSH-Wertes, als mit dem TPO-AK-Status
  • Needed-Number-to-Treat (NNT) liegt hierbei geschätzt zwischen 5-15
  • aktuell scheint eine Substitution ab einem TSH-Wert > 6 mU/L als sinnvoll
  • TSH-Verlaufskontrollen nach erstmalig erhöhten TSH-Wert: nach 2-3 Monaten (um passagere Ursachen einer Erhöhung auszuschließen), keine akute Notfallindikation!
  • TSH-Verlaufskontrollen nach Neueinstellung frühestens nach acht Wochen, empfohlen halbjährlich, und bei stabiler Situation dann jährlich

Zielwert?

  • Normaler Referenzbereich
  • Die europäischen Guidelines unterscheiden hierbei noch zwischen:
    • Junge Patienten (< 70-75 Jahre) , TSH: 0,2-2,5 mU/L
    • Ältere Patienten (> 75 Jahre), TSH: 1-5 mU/L

Behandlungsalgorithmus (PDFfür latente Hypothyreose (in Anlehnung an Peeters RP. Subclinical Hypothyroidism. New Eng J Med 2017, 376: 2556-2565) : Dieser Algorithmus trifft nicht für Schwangere oder junge Frauen mit Schwangerschaftswunsch zu. Der Empfehlung basiert auf den aktuellen US-amerikanischen und europäischen Leitlinien. Die amerikanischen Leitlinien machen keinen ausdrücklichen Unterschied zwischen dem Patientenalter. Die hier aufgeführte Unterscheidung der beiden Gruppen eines TSH < 10mU/L ist Empfehlung von Peeters RP, und nicht Bestandteil der offiziellen Leitlinien.

Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die in diesem Blog gegebenen Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Blog abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Wir appellieren an jeden Benutzer etwa auffallende Ungenauigkeiten uns mitzuteilen.

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