Kompetenzanforderungen an Rettungsfachpersonal

Ein Gastbeitrag von Ferdinand Maier, Ulm                   Die Aufgaben des Rettungsfachpersonals sind sehr komplex. Wechselnde Arbeitsumgebungen, 12 bis 24 Stunden Dienst und hohe Anforderungen an Wissen sowie Kenntnisse von verschiedenen Arbeitstechniken erfordern vielfältige Kompetenzen (von einer sog. Kernkompetenz bis zu einer Vielzahl von Einzelkompetenzen).

In einer britischen Studie von Vopelius-Feldt et al. [1] wurden 389 solcher Kompetenzen aufgezeigt. Dabei jedoch wurde die Reihenfolge der Wichtigkeit dieser Kompetenzen nicht ausreichend betrachtet. Deshalb haben Tanninen et al. Rettungsdienstleiter in Finnland nach den erforderlichen Kompetenzen von advanced Paramedics befragt.

Tanninen A, Kouvonen A, Nordquist H

Competence expected from advanced-level paramedics by emergency medical services managers in Finland: a modified Delphi study

Scand J Trauma Resusc Emerg Med 33, 62 (2025)

Methoden

Die vorliegende Studie (Oktober 2022 – Juni 2023) wurde mithilfe der modifizierten Delphi Methode durchgeführt. Dafür wurden Meinungen einer Expertengruppe in 3 Runden eingeholt. Die Antwortraten über die drei Runden blieb durchweg hoch (100%, 91% und 95%). Die Rekrutierung erfolgte gezielt im ganzen Land verteilt, um Finnland so gut wie möglich geographisch mit den jeweiligen Besonderheiten abzudecken. Das Gremium bestand aus 44 Rettungsdienstleitern.

Das Ziel einer Delphi Studie ist es, Wissen von verschiedenen Experten zusammenzuführen und so eine Prognose für die Zukunft zu bekommen. Sie besteht aus mindestens zwei Befragungsrunden und wird meistens dann durchgeführt, wenn zu es einer bestimmten Fragestellung wenige bis keine Daten dazu gibt.

Einschlusskriterien für das Expertengremium:

  • In einer Führungsposition tätig oder in einer solchen die letzten 2 Jahre gearbeitet
  • Paramedics mit langjähriger Erfahrung und Tätigkeit im operativen als auch bereits im administrativen Bereich

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Kurze Zusammenfassung über die 3 Befragungsrunden der vorliegenden Studie

Die Aussagen wurden in der ersten Runde auf Grundlage der ANC-Skala (Ambulance Nurse Competence) von Nilsson et al. formuliert, die folgende 8 Faktoren enthält (spiegelt die Kompetenzmerkmale der nordischen Prähospitalversorgung weitestgehend wider): Pflege, wertorientierte Pflege, medizinisch-technische Versorgung, Pflegeumfeld Gemeinschaft, Pflegeumfeld schwerwiegende Ereignisse, Führungsmanagement, Supervision und berufliches Verhalten sowie Forschung und Entwicklung. Der Fragebogen umfasste 43 Aussagen und das Gremium musste anhand diesen entscheiden, über welches Kompetenzniveau die Paramedics auf einer Skala von 1 bis 7 verfügen sollten (1 = sehr schlecht, 2 = schlecht, 3 = befriedigend, 4 = mittelmäßig, 5 = sehr gut, 6 = ausgezeichnet, 7 = hervorragend). Die Antworten wurden von der ursprünglichen Skala von 1 bis 7 in eine neue Skala von 1 bis 5 umgewandelt: schlecht = 2 und befriedigend = 3 wurden zu schlecht = 2 zusammengefasst, sehr gut = 5 und ausgezeichnet = 6 wurden zu sehr gut = 4 zusammengefasst. Ein Konsens wurde als erreicht angesehen, wenn 75% der Antworten in einer der 5 endgültigen Kategorien übereinstimmten.

In Runde 2 wurde dem Gremium eine Zusammenfassung der ersten Runde dargelegt. Sie wurden nach ihrer Meinung zu Aussagen befragt, die z.B. keinen Konsens erhalten haben. Diese wurden ebenfalls neu bewertet und dazu jeweils der Mittelwert berechnet. Offene Fragen aus Runde 1 wurden zu neuen Aussagen umformuliert. In Runde 3 wurden die Aussagen mit einer Rangfolge belegt.

 

Ergebnisse

Runde 1

In der ersten Runde wurden den Expertengremium (n=44) insgesamt 43 Aussagen vorgelegt. Davon erhielten 5 Aussagen einen Konsens von mindestens 75%:

  • Organisation der Pflege zur Förderung des Wohlbefindens der Patienten und ihrer Angehörigen
  • Erkennen von Patienten mit Risikoverhalten und Interaktion mit optimalen Versorgungsstufen
  • Beurteilung des Zustandes des Patienten nach dem ABCDE Schema, Durchführung von Untersuchungen, Entscheidung und Bewertung von Interventionen
  • die Aufsicht in der Pflege initiieren und verantworten
  • Verantwortung für die gründliche und kontinuierliche Betreuung von Auszubildenden übernehmen

Es wurden insgesamt 20 offene Antworten von den Experten abgegeben (Einzelwörter bis zu mehr als 160 Wörter), welche in 7 neue Aussagen umformuliert wurden:

  • Erkennen von Lücken in der eigenen Kompetenz
  • sich um die eigene körperliche Funktionsfähigkeit kümmern
  • das Arbeitsleben und die zwischenmenschlichen Fähigkeiten am Arbeitsplatz nutzen können
  • für eigenes Wohlbefinden bei der Arbeit sorgen
  • den Rettungswagen zuverlässig im Verkehr steuern
  • bei Einsätzen als Einsatzleiter fungieren
  • die Funktionsprinzipien des Rettungswesens verstehen

Somit wurden 45 Aussagen (38 Aussagen, die keinen Konsens erreichten und 7 Aussagen aus den offenen Antworten) in Runde 2 weitergeleitet.

Runde 2

Keine der 45 Aussagen erreichten einen Konsens von 75%. Die Mittelwerte der Runden 1 und 2 reichten von 4,72 bis 3,05. Der höchste Mittelwert wurde für die Aussage „beurteilt den Zustand des Patienten nach ABCDE (…)“ (4,72) gefunden. Die 15 Aussagen mit den höchsten Mittelwerten wurden in Runde 3 vorgelegt.

Runde 3

Die Experten erstellten aus diesen 15 Aussagen nun eine Rangfolge:

  1. Beurteilung des Zustands des Patienten nach ABCDE, Durchführung von Untersuchungen, Entscheidung und Bewertung von Interventionen (27 Experten stuften diese Forderung als sehr entscheidend ein)
  2. Interpretation von Werten und Vitalparametern als Entscheidungsgrundlage für Interventionen in der Gesundheitsversorgung
  3. Verständnis für die Bedeutung und die Konsequenzen der Befolgung oder Abweichung von Behandlungsrichtlinien
  4. Systematisches Vorgehen bei der Pflege kranker oder verletzter Patienten
  5. Dokumente, Bewertungen und Berichte über den Einsatz gewährleisten die Patientensicherheit
  6. Transport kranker oder verletzter Patienten schonend und verkehrsgerecht
  7. Erkennen von Symptomen und Krankheitszeichen, Förderung des Wohlbefindens und Vorbeugung von pflegebedingtem Leiden
  8. Einnehmen einer Haltung, die den Ruf des Berufsstandes und das Vertrauen der Öffentlichkeit fördert
  9. Zusammenarbeit mit Rettungsdienst und Polizei im Ernstfall
  10. An die Bedürfnisse der Patienten angepasste Pflege und Behandlung während des Transports
  11. Identifizierung von Risikoumgebungen und Schaffung eines sicheren Pflegebereichs
  12. Für eigenes Wohlbefinden bei der Arbeit sorgen
  13. Durchführung der Triage von Patienten bei schwerwiegenden Ereignissen
  14. Vorbereitung auf Bedrohungen und Gewaltsituationen
  15. Den Rettungswagen zuverlässig im Verkehr steuern

Diskussion

Die Arbeit im Rettungsdienst hat sich auf ein umfassendes Spektrum an Tätigkeiten ausgeweitet. Es werden viele Fähigkeiten gefordert, um eine optimale Versorgung zu ermöglichen. Neben einer alternden Patientenpopulation steigt das Einsatzaufkommen. Die Benennung von non-technical skills wie das Sorgen um das eigene Wohlbefinden oder das Einnehmen einer öffentlichkeitswirksamen Haltung zeigt, dass die Ausbildung im Rettungsdienst stetig angepasst werden muss, um den gestiegenen Anforderungen gerecht werden zu können. So spielen beispielsweise in der heutigen Zeit Bedrohungslagen eine zunehmende Rolle, auf die der Rettungsdienst sich vorbereiten muss (Nr. 14).

Zusammenfassend unterstreichen die erzielten Ergebnisse die Bedeutung grundlegender Fähigkeiten des Rettungsfachpersonals, insbesondere die Einschätzung und Behandlung der Patienten nach dem ABCDE Schema.

 

Literatur

  1. von Vopelius-Feldt J, Benger J. Who does what in prehospital critical care? An analysis of competencies of paramedics, critical care paramedics and prehospital physicians. Emerg Med J 31: 1009–13 (2014)

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