Mehr Schaden als Nutzen ?

Ein Gastbeitrag von Ferdinand Maier, Ulm                          Faktor Xa (FXa)-Inhibitoren werden häufig zur Prävention thrombotischer Ereignisse eingesetzt. Diese können andererseits das Risiko von Blutungen, einschließlich intrazerebralen Blutungen (ICB), erhöhen. Die Volumenzunahme einer ICB ist ein Prädiktor für ein schlechteres Outcome.

Andexanet alfa ist ein rekombinantes humanes FXa-Protein, das mithilfe moderner DNA-Technologien aus den Ovarialzellen (CHO-Zellen) des chinesischen Hamsters hergestellt wird. Durch den Austausch einer Aminosäure im aktiven Zentrum (Alanin statt Serin) besitzt es keine enzymatische Aktivität mehr. Es ist also im Gegensatz zu FXa nicht in der Lage Prothrombin zu spalten und die Gerinnungskaskade fortzuführen. Durch eine weitere Modifikation verliert der Wirkstoff auch die Fähigkeit durch Anlagerung den Prothrombinase-Komplex zu bilden. Andexanet alfa besitzt als FXa-Fragment eine Bindungsstelle für FXa-Inhibitoren und stellt für diese somit eine kompetitive Hemmung dar.

Im Mai 2018 erhielt Andexanet alfa von der Food and Drug Administration (FDA) eine beschleunigte Zulassung für die Antagonisierung Direkter Oraler Antikoagulantien (DOAK), obwohl es an stichhaltiger Evidenz für die Anwendung fehlte. In den AHA/ASA-Leitlinien von 2022 wird das Medikament mit der Empfehlungsstufe 2A gegenüber der Verwendung des 4-Faktor-Prothrombinkomplex (4F-PCC / PPSB) empfohlen (Greenberg 2022). Die FDA-Zulassung und die Unterstützung der Leitlinien haben zu einem deutlichen Anstieg der Verwendung des Medikaments geführt. Bisher gab es keine Studien, in denen Andexanet alfa mit PPSB oder sogar Placebo anhand patientenzentrierten Ergebnisse untersucht wurden.

Um die Wirksamkeit und Sicherheit des FXa-Inhibitors Andexanet im Vergleich zur üblichen Behandlung bei Patienten mit akuter ICB zu untersuchen, führten Connolly et al. eine randomisierte, kontrollierte und nicht verblindete Studie (ANNEXA-I) in 131 Zentren in 23 Ländern über 4 Jahre durch:

Connolly SJ et al.

Andexanet for Factor Xa Inhibitor-Associated Acute Intracerebral Hemorrhage (ANNEXA-1).

N Engl J Med 390: 1745-1755 (2024)

Therapie

Randomisierung in:

  • Andexanet-Gruppe: Andexanet alfa als hoch- oder niedrigdosierte Bolusgabe über 15 bis 30 Minuten + eine kontinuierliche Infusion über 2 Stunden (abhängig von Art, Dosierung und Zeitpunkt der letzten DOAK Einnahme)
  • Vergleichsgruppe: bisherige/Übliche Behandlung, nach Ermessen der Ärzte (diese schloss eine Verwendung von Andexanet aus und konnte ein Prothrombinkonzentrat enthalten)

Methoden

Eingeschlossen wurden insgesamt 530 erwachsene Patienten (> 18 Jahre, Durchschnittsalter 78.9 Jahre, 54% männlich und 46% weiblich) mit akuter ICB (keine subdurale oder subarachnoidale Blutung und Hämatomvolumen von 0,5 bis 60 ml), die innerhalb der letzten 15 Stunden einen FXa-Inhibitor eingenommen hatten. Diese erhielten entweder Andexanet alfa oder die bisher übliche Behandlung.

Primärer Endpunkt: Bewertung der hämostatischen Wirksamkeit 12 Stunden nach der Randomisierung. Die hämostatische Wirksamkeit wurde definiert bei Erfüllung aller folgender Punkte:

  • Ausgezeichnete Wirksamkeit: Veränderung des Hämatomvolumens < 20% bzw. Gute Wirksamkeit: Veränderung des Hämatomvolumens < 35%
  • Anstieg des National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) < 7 Punkte
  • Kein Erhalt einer Rettungstherapie innerhalb von 3-12 Stunden nach Randomisierung (Operation zur Dekompression, Gabe von Andexanet oder Prothrombinkomplex)

Sekundärer Endpunkt:

  • Prozentuale Veränderung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität innerhalb von 2 Stunden im Vergleich zum Ausgangswert

Sicherheitsendpunkte (bewertet nach 30 Tagen):

  • Thrombotische Ereignisse (Ischämischer Schlaganfall, Myokardinfarkt, venöse Thromboembolien)
  • Tod

Ausschlusskriterien

  • GCS < 7 zum Zeitpunkt der Zustimmung
  • NIHSS > 35
  • Geplante Operation innerhalb von 12 Stunden vor Aufnahme in die Studie
  • Thrombotisches Ereignis innerhalb von 2 Wochen vor Aufnahme in die Studie
  • Zeit ab Symptombeginn > 6 Stunden
  • Schwangerschaft

Ergebnisse

Primärer Endpunkt

452 Patienten wurden hinsichtlich des primären Endpunktes analysiert

  • 85,5 % (195/228) der Patienten in der üblichen Behandlungsgruppe erhielten ein Prothrombinkonzentrat
  • 78,1 % (175/224) der Patienten in der Andexanet-Gruppe erhielten das niedrig dosierte Regime, der Rest das hoch dosierte Regime

Es sei erwähnt, dass von den 195 Patienten, die ein Prothrombinkonzentrat erhalten haben, bei 119 Patienten die Art des Prothrombinkonzentrates bekannt war:

  • 4F-PCC bei 110 Patienten (92,4%)
  • 3F-PCC bei 4 Patineten (3,4%)
  • aPCC (aktivierte Form) oder Faktor-VIII-Inhibitor-Bypassing-Aktivität (FEIBA) bei 5 Patienten (4,2%)

Im Median wurden 3000 IE eines PCC verabreicht (Interquartilsabstand, 2000 bis 3500)

Die hämostatische Wirksamkeit wurde in der Andexanet-Gruppe bei 67% (150/224) der Patienten und in der üblichen Behandlungsgruppe bei 53,1% (121/228) der Patienten erreicht (95 % Konfidenzintervall [KI], p=0,003).

  • In Bezug auf die weiteren Komponenten des primären Endpunkts wurde eine Zunahme des Hämatomvolumens ≤ 35% bei 76,7% der Patienten in der Andexanet-Gruppe und bei 64,6% der Patienten in der üblichen Behandlungsgruppe beobachtet (95% KI, 4,6 bis 22,2)
  • Eine Veränderung des NIHSS-Scores < 7 Punkte wurde bei 87,9% bzw. 83% beobachtet; und bei 97,3% bzw. 93,4% wurde keine Rettungstherapie eingesetzt (95% KI, 3,6 bis 20,5 und 0,0 bis 7,6)

Eine sehr große Hämatomausdehnung (definiert als eine Ausdehnung von ≥ 12,5 ml) oder Tod innerhalb von 12 Stunden nach der Randomisierung trat bei 11,1% (24/216) bzw. 16,8% (36/214) der Patienten auf (95% KI, -12 bis 0,8).

Sekundärer Endpunkt:

  • Die mediane Senkung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität vom Ausgangswert bis zum 1- bis 2-Stunden-Nadir betrug -94,5% unter Andexanet und -26,9% in der üblichen Behandlunggruppe (Interquartilsabstand, -96,6 bis -88,9 und -54,2 bis -9,5; p <0,001)

Sicherheitsendpunkte:

  • Die Sicherheitsendpunkte wurden an allen 530 Patienten analysiert
  • ≥ 1 Thrombotische Ereignisse traten bei 10,3% (27/263) der Patienten unter Andexanet und bei 5,6% (15/267) der Patienten in der üblichen Behandlungsgruppe auf (95% KI, 0,1 bis 9,2; p = 0,048)
  • Ein ischämischer Schlaganfall trat bei 17 Patienten (6,5%) bzw. 4 Patienten (1,5%) auf (95 % KI, 1,5 bis 8,8)
  • Ein Myokardinfarkt trat bei 11 Patienten (4,2%) bzw. 4 Patienten (1,5%) auf (95% KI, -0,2 bis 6,1)
  • Hinsichtlich Tod nach 30 Tagen gab es keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen, 73 Patienten (27,8 %) bzw. 68 Patienten (25,5 %), (95 % KI, -5,0 bis 10,0; p= 0,51)

Schlussfolgerung

Bei Patienten mit einer ICB, die FXa-Inhibitoren erhielten, führte die Behandlung mit Andexanet zu einer besseren Kontrolle der Hämatomausdehnung als die übliche Behandlung (vornehmlich mit PPSB), war aber mit thrombotischen Ereignissen, einschließlich ischämischen Schlaganfällen verbunden.

Es gab keinen Hinweis auf ein besseres klinischen Ergebnis nach Andexanet Gabe.

Diskussion:

  • Die Studie wurde von AstraZeneca Pharmaceuticals, dem Hersteller von Andexanet alfa, finanziert, konzipiert und beaufsichtigt. Dies widerlegt zwar nicht die Ergebnisse dieser Studie, sollte die Leser jedoch skeptisch machen
  • Andexanet alfa kostet zwischen 30.000 – 50.000 $/Behandlung
  • PPSB kostet zwischen 5000 – 6000 $/Behandlung
  • Bei den positiven primären und sekundären Endpunkten handelt es sich um krankheitsorientierte Ergebnisse und nicht um patientenzentrierte Ergebnisse: Den Patienten ist es egal, ob sich ihr Hämatom um 20 %, 25 % oder 30 % ausdehnt. Sie interessieren sich für klinisch wichtige Ergebnisse wie Behinderung oder Tod
  • Die Autoren weisen darauf hin, dass in anderen Studien eine Hämatomausdehnung mit schlechteren Ergebnissen in Verbindung gebracht wurde, was in dieser Studie jedoch eindeutig nicht nachgewiesen wurde

 

 

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