Mit einem KliX zu medizinischen Unterlagen – Eine digitale Patientakte neu entwickelt

Vieles von dem, was heutzutage in der Notfallrettung als Standard gilt, hat seine Ursprünge in Ulm: Die Feuerwehr Ulm war die erste Feuerwehr in ganz Europa, die einen hydraulisch betriebenen Rettungsspreizer einsetzte um eingeklemmte Personen besonders schonend zu befreien – ein Jubiläum, das im letzten Jahr ausgiebig gefeiert wurde. In Ulm entwickelte Friedrich Wilhelm Ahnefeld, der einst als erster Chefarzt des Bundeswehrkrankenhauses tätig war, das Konzept der Rettungskette zur optimalen Versorgung von Patienten, sowie den „Ulmer Koffer“, der über Jahrzehnte hinweg zur Standardausrüstung auf nahezu jedem Rettungsmittel gehörte. Bis heute ist das Bundeswehrkrankenhaus führend in der Entwicklung und Erprobung neuer Konzepte. Unter anderem fliegt der dort stationierte Rettungshubschrauber Christoph 22 seit mehr als zehn Jahren mit einem mobilen Ultraschallgerät und seit 2020 auch mit Blutkonserven an Bord.

Eine weitere wegweisende Innovation aus Ulm steht nun bevor: Ein digitales Dokumentensystem, welches Rettungskräften in Sekundenschnelle Zugang zu wichtigen Daten, Arztbriefen, Medikamentenplänen, Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen verschaffen soll. Dieses System wurde von Notfallsanitäter Andreas Knöfel entwickelt. Der aus Merklingen stammende Notfallsanitäter arbeitet hauptberuflich als Luftretter an Bord von Christoph 22 und fliegt zu schwerkranken und schwerstverletzten Patienten. „In unseren Einsätzen stoßen wir immer wieder auf Schwierigkeiten bei der Informationsgewinnung“, sagt der 47-Jährige. Welche Medikamente nimmt der Patient ein? Welche Vorerkrankungen hat er? Gibt es Allergien? Ist der Betroffene bewusstlos, kann er keine Auskunft geben – und Angehörige sind in solchen Situationen, falls überhaupt anwesend, oft am Ende ihrer Kräfte.

Im Falle eines medizinischen Notfalls sind wichtige Unterlagen in der Regel nicht sofort zur Hand, weder unterwegs noch zu Hause. „Vor einigen Monaten hatten wir einen Vorfall, bei dem es um die Entscheidung ging, ob ein Patient mit schwerer Hirnblutung intensivmedizinisch versorgt werden sollte oder nicht“, berichtet Knöfel. Die Patientenverfügung des Betroffenen, in der dies festgelegt war, befand sich jedoch beim Hausarzt. Da es um eine wegweisende Entscheidung ging, mussten die Retter nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Erst einige Zeit später konnte die Patientenverfügung eingesehen werden – und daraus ging eindeutig hervor, dass der Mann keine intensivmedizinische Versorgung wünschte.

„Nach diesem Vorfall habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, wie es bei meinen Eltern wäre“, erklärt Knöfel. Seine Mutter leidet an einer schweren Krankheit, sein Vater ist bereits im fortgeschrittenen Alter. Wären ihre medizinischen Informationen im Notfall leicht zugänglich? Es gibt zwar digitale Lösungen, die die Versorgung im Falle von Krankheit oder Unfall verbessern sollen. „Aber wirklich umfassend ist keine davon“, stellt der Notfallsanitäter fest. Daher entschied er sich, etwas Eigenes zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit einem Programmierer entstand seit Oktober das vierteilige System „KliK – Meine Notfalldokumente“, von dem sowohl Rettungsdienste als auch Patienten profitieren sollen. Und das nicht nur für ältere Menschen: „Es eignet sich genauso gut für Kinder mit Vorerkrankungen wie z.B. Diabetes, Sportler, Urlauber und generell für alle, die im Notfall auf Nummer sicher gehen möchten.“ Die Einsatzmöglichkeiten sind praktisch unbegrenzt.

Im Grunde haben wir die Krankenakte neu durchdacht„, erklärt Knöfel. Arztbriefe, Medikamentenpläne, Diagnosen, Klinikbesuche sowie Vorsorgevollmachten, Organspendeausweis und Patientenverfügung können hier digital gespeichert werden. Der Zugriff erfolgt browserbasiert über einen individuellen QR-Code. Dieser wird sowohl an einem Aufkleber am Rahmen der Wohnungstür als auch auf der Krankenkassenkarte des Nutzers angebracht. Für Privatpatienten, die keine Versichertenkarte besitzen, gibt es eine Notfallkarte mit QR-Code für den Geldbeutel. „Dies ist der Schlüsselpunkt unseres Systems„, erklärt Knöfel. Denn Rettungsdienstmitarbeiter suchen in der Regel schnell nach der Versichertenkarte. Um sicherzustellen, dass die medizinischen Daten geschützt sind, sind auf der Notfallkarte und dem Sticker für die Versichertenkarte neben dem QR-Code auch der Kartencode vermerkt, mit dem Rettungskräfte Zugriff auf die digital gespeicherten Dokumente erhalten. Der Sticker für die Tür enthält nur den QR-Code; er dient lediglich als Hinweis auf die online verfügbaren Notfalldokumente. „Der Zugriff erfolgt nur durch diejenigen, die sowohl den QR-Code als auch den Kartencode besitzen„, betont Knöfel. Das System funktioniert weltweit und der Nutzer behält die Kontrolle über seine Daten. Jeder entscheidet selbst, welche Informationen freigegeben werden und welche nicht. Die Dokumente werden datenschutzkonform in Deutschland gespeichert.

Um „KliX“ zu realisieren, haben Knöfel und sein DRK-Rettungsdienstkollege Kevin Nahodovic gemeinsam ein Crowdfunding-Projekt gestartet. Bis zum 5. Mai möchten sie unter www.startnext.com/medizinische-dokumente insgesamt 32.000 Euro für die Weiterentwicklung des Systems sammeln. Der Ulmer Verein Traumateam e.V. – Verein zur Förderung der Notfallmedizin, unterstützt ebenfalls das Projekt. Für die ersten 1000 Nutzer kostet „KliX“ 49 Euro, später soll der Preis auf 59 Euro steigen. Knöfel plant einen Einrichtungsservice sowie spezielle Angebote für Pflegeeinrichtungen, Pflege- und Rettungskräfte und Unternehmen. „Mein Ziel ist es, dass dieses System von einer breiten Masse genutzt wird“, erklärt er. Er strebt Partnerschaften mit Discountern, Drogerien und Apotheken in ganz Deutschland an und hat bereits mehrere Apotheker in der Region gefunden, die das Dokumentensystem vertreiben möchten. Der Start ist für spätestens 1. August geplant. „Ich würde mich freuen, wenn bald an jeder zweiten Tür unser Aufkleber zu finden ist„, sagt Knöfel. So könnte die Notfallversorgung noch weiter verbessert werden.

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