Improvisierte Tourniquets

Ein Gastbeitrag von Raimund Lechner, Ulm: Dass Tourniquets zu einer Kontrolle lebensbedrohlicher Extremitätenblutung erfolgreich eingesetzt werden können, ist hinreichend bekannt. Entsprechend werden Tourniquets mittlerweile in allen gängigen Trauma-Leitlinien empfohlen. In abgelegenen Gebieten oder bei einem Massenanfall von Verletzten kann es vorkommen, dass nicht ausreichend Tourniquets zur Verfügung stehen. Dann kann ein improvisiertes Tourniquet Abhilfe schaffen. So wurden z.B. bei den Anschlägen im Bataclan in Paris und beim Boston Marathon viele Tourniquets improvisiert.

Hannah Salchner und Markus Isser haben mit weiteren Kollegen in einer aktuellen Studie die Effektivität eines improvisierten Tourniquets aus einer handelsüblichen Rettungsdecke und einem Karabiner – beides wird in der Bergrettung vorgehalten – untersucht.

Salchner H, Isser M, Banyai L, Schachner T, Wiedermann FJ, Lederer W
Arterial Occlusion Effectiveness of Space Blanket‒Improvised Tourniquets for the Remote Setting
Wilderness and Environmetal Medicine 2023

Ein C.A.T. Tourniquet oder ein improvisiertes Tourniquet mit Rettungsdecke und Karabiner wurde am Oberarm von 23 Probanden nacheinander in zufälliger Reihenfolge angelegt. Der Anlageerfolg wurde dopplersonographisch gemessen. Die Anlage der improvisierten Tourniquets dauerte mit 94 Sekunden im Durchschnitt mehr als 3 Mal so lang, wie die Anlage eines C.A.T. Tourniquets. Alle C.A.T. Tourniquets führten zu einem vollständigen Erliegen des arteriellen Blutflusses; wohingegen bei 48 % der improvisierten Tourniquets noch ein Restdurchblutung der A. radialis vorhanden war. Während das subjektive Schmerzempfinden bei den C.A.T. Tourniquets höher war (4 versus 2 auf numeric rating scale von 0 bis 10), war die Anzahl der Probanden mit Parästhesien in der Rettungsdeckengruppe höher (83 versus 57 %). Die Anwenderfreundlichkeit wurde beim C.A.T. Tourniquet durchwegs höher eingestuft. Alle aufgeführten Ergebnisse waren signifikant mit p <0,05.

Bei bestehender Restdurchblutung, wie sie doch bei einem erheblichen Anteil der improvisierten Tourniquets in dieser Studie zu verzeichnen war, besteht allerdings immer die Gefahr, dass es in Abhängigkeit vom Ausmaß des arteriellen Zustroms zu einer Stauung und in der Folge zu einer Blutungsverstärkung kommt, ähnlich der Stauung bei einer Blutabnahme. Dies muss klinisch nach Anlage ausgeschlossen werden. In Realität, also bei einer stark blutenden Wunde, wird der Anwender jedoch ohnehin das Tourniquet so lange zudrehen, bis die Blutung sichtbar kontrolliert ist.

In dieser Studie wurde die Rettungsdecke nicht maximal zugedreht, sondern lediglich so lange, bis der Anwender keinen Puls mehr tasten konnte. Ein Pulsverlust zeigt aber nicht zwingend das völlige Erliegen der peripheren Durchblutung an. Bei der Dopplermessung konnte bei 4 Tourniquets bereits durch eine weitere viertel bis halbe Umdrehung der Blutfluss komplett unterbunden werden. Ein weiteres und damit effektives Zudrehen des improvisierten Tourniquets ist also auf Grund des Versuchsaufbaus nicht erfolgt und nicht, weil das improvisierte Tourniquet nicht funktionell war. Ist eine Blutung durch ein angelegtes Tourniquet nicht ausreichend kontrolliert, so kann auch ein zweites angelegt werden.

Kommentar:

Diese Ergebnisse zeigen wenig überraschend, dass ein mit einer Rettungsdecke und Karabiner improvisiertes Tourniquet weniger effektiv und schwieriger anzubringen ist. Dennoch ist eine effektive Anlage durchaus möglich. In Situationen, in denen kein kommerzielles Tourniquet verfügbar ist, ist ein improvisiertes Tourniquet sicherlich eine überlegenswerte Alternative. Zwar können improvisierte Tourniquets mit vielen Materialien hergestellt werden, doch ist eine Rettungsdecke sicherlich ein weit verbreiteter und multifunktionaler Ausrüstungsgegenstand, der hierfür sinnvoll zweckentfremdet werden kann. Karabiner hingegen sind weniger weit verbreitet, können aber problemlos gegen einen stabartigen Gegenstand (Stock, Schere, Stifte …) ersetzt werden, wie die Autoren in der Diskussion auch anmerken. Und natürlich muss die Anwendung von improvisierten Tourniquets im Vorfeld geübt werden, sicherlich mit mehr Trainingsaufwand als die Anlage kommerzieller Tourniquets.

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