Notfallmediziner*innen haben kein Burnout, sie sind moralisch verletzt

Ein Gastbeitrag von Ulf Harding, Wolfsburg.

Die Arbeit in der Notfallmedizin ist oft emotional und körperlich belastend. Hinzu kommen Belastungen durch eine hohe Anzahl an Patient*innen und die oft unzureichende Verfügbarkeit alternativer Versorgungsmöglichkeiten im Gesundheitssystem (http://news-papers.eu/?p=15820). Michael Bernhard hat an dieser Stelle kürzlich auf ein wichtiges Editorial aus Kanada hingewiesen (http://news-papers.eu/?p=15861).

Die Erschöpfung und Frustration des Personals werden oft mit dem Begriff „Burnout“ beschrieben. In einem Beitrag der Emergency Medicine News sprechen sich Wendy Dean und Simon Talbot jedoch klar dagegen aus und sprechen von moralischen Verletzungen, die das notfallmedizinische Personal erleidet, da das Gesundheitssystem selbst an Schwächen leide.

Dean W, Talbot, S. Standing AFFIRM. Emergency Medicine News (2022) 44:8 doi:10.1097/01.EEM.0000855832.66568.77 https://journals.lww.com/em-news/fulltext/2022/08000/standing_affirm__stop_saying_physicians_are_burned.18.aspx

Der Begriff des Burnout sei von Notfallmediziner*innen verwendet worden, da keine andere Beschreibung für die oft gespürte Verzweiflung gefunden worden sei. Jedoch sei dieser Begriff nicht passend, da die Symptome emotionale Erschöpfung, das Gefühl der Ineffektivität und De-Personalisierung oder Distanzierung nicht immer zutreffend seien. Vielmehr gehe es um das Gefühl, keine adäquate Patientenversorgung durchführen zu können, da das US-Gesundheitssystem hierfür keine Möglichkeiten mehr lasse.

Während Notfallmediziner*innen meist eine überdurchschnittlich hohe Resilienz zeigen, würde der Begriff der moralischen Verletzungen die Situation besser abbilden. Als Beispiele führen die Autoren Situationen an, in denen Ärztinnen und Ärzte zwar wüssten, welche Diagnostik für einen Patienten erforderlich ist, jedoch diese nicht genehmigt bekommen; Pflegekräfte, die in einer unterbesetzten Schicht arbeiten, sich auf Grund des Dokumentationsaufwandes nicht ausreichend um die Patient*innen kümmern können oder Ärztinnen und Ärzte, die eine Krebsdiagnose überbringen müssen, nicht ausreichend Zeit haben, sich den Sorgen der Patient*innen im Gespräch zu widmen.

Dean und Talbot verweisen auf das hohe Potential der Mitarbeitenden für Veränderungen, dass sich während der Pandemie gezeigt hat. Einfache Maßnahmen wie Wochenendseminare oder Onlineschulungen würden jedoch als Mittel gegen moralische Verletzungen nicht ausreichen, vielmehr seien längerfristige Lösungen unter Beteiligung von Klinikleitungen, Management und Notfallmediziner*innen erforderlich.

I’m struggling, but I’m not burned
out. I love taking care of my patients
and doing clinical work. It’s every-
thing that gets in the way that I find
intolerable.
—Anonymous physician

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