Risiko einer zerebralen Venen- und Sinusthrombose bei COVID-19-Erkrankung deutlich höher als nach Impfung

Ein Beitrag von Ulf Harding und Björn Hossfeld           Ausgelöst durch die Berichterstattung über mögliche zerebrale Venen- und Sinusthrombosen (CVST) nach Impfung mit dem Corona-Impfstoff AZD1222 (ChAdOx1) von AstraZeneca sind viele Fragen und Ungewissheiten entstanden.

Die jährliche Inzidenz von CVST liegt bei Erwachsenen im Bereich von 12,3 bis 15,7 Fällen pro eine Million [1-3].

In einer aktuellen Arbeit haben Maxime Taquet und Kollegen von der Universität Oxford das Risiko von CVST und Portalvenenthrombose (PVT) anhand von Registerdaten erhoben und in einer Vorveröffentlichung publiziert. Bei der Interpretation der Daten sollte berücksichtigt werden, dass es sich um eine Arbeit handelt, die bislang keinem peer-review-Verfahren unterzogen wurde! Die Arbeit ist jedoch frei im Internet verfügbar.

Taquet M et al.

Cerebral venous thrombosis: a retrospective cohort study of 513,284 confirmed COVID-19 cases and a comparison with 489,871 people receiving a COVID-19 mRNA vaccine (2021)

Open Science Framework, https://osf.io/a9jdq/

Methoden

Die Analyse erfolgte anhand von Daten aus elektronischen Gesundheitsakten aus dem TriNetX Analytics Netzwerk, in dem überwiegend Daten von US-Patienten enthalten sind. Die Studienkohorte der COVID-Patienten umfasste alle Patienten mit dem ICD-Code U07.1 (COVID-19, Virus nachgewiesen: Der Kode ist für COVID-19-Fälle vorgesehen, bei denen das Virus SARS-CoV-2 durch einen Labortest nachgewiesen wurde) im Zeitraum vom 20.1.2020 bis 25.3.2021. Erfasst wurden hierunter Patienten mit einer CVST (ICD-10 I67.6) innerhalb von 14 Tagen nach COVID-19-Diagnose. Zusätzlich wurden PVT, erhöhte D-Dimere (>5mg/L), erniedrigtes Fibrinogen (<200 mg/dL) oder Thrombozytopenie (ICD D69.49, D69.59, D69.6) erfasst. Todesfälle wurden bis zum Zeitpunkt der Datenanalyse am 14.4.2021 erfasst.

Als Kontrollgruppe wurden Patienten im gleichen Zeitraum mit Influenza (ICD J09-J11) sowie Patienten mit Erstimpfung mit einem der mRNA-Impfstoffe BNT162b2 (‘Pfizer-BioNTech’) oder mRNA-1273 (‘Moderna’) vor dem 25.3.2021 gewählt.

Weiterhin erfolgte ein Vergleich der Inzidenzen von CVST mit den von der EMA veröffentlichten Daten zum ChAdOx1 nCoV-19-Impfstoff von AstraZeneca.

Ergebnisse

513.284 Patienten mit der gesicherten Diagnose COVID-19 wurden in die Studie eingeschlossen (54.8% weiblich, Alter (Mittelwert) 46.6). In dieser Kohorte erlitten 20 Patienten eine CSVT innerhalb von 14 Tagen nach Diagnose von COVID-19 (Absolutes Risiko: 39,0 pro eine Million, 95% CI 25.2–60.2). Bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen war das Risiko erhöht.

Bei Influenza Patienten fanden sich keine CSVT.

In der Gruppe der Patienten nach Erstimpfung mit mRNA-Impfstoffen erlitten zwei Patienten eine CSVT, woraus sich ein geringeres Risiko für CSVT (4,1 pro eine Million, 95% CI 1.1–14.9, relatives Risiko=6.36, P<0,001) ergibt.

Das von der EMA für den AstraZeneca-Impfstoff publizierte Risiko für CSVT liegt bei 169 Fällen auf 34 Millionen Menschen, bzw. 5,0 pro eine Million (95% CI 4.3–5.8).

Auch für Portalvenenthrombose lag die Rate bei COVID-19 Patienten signifikant höher als bei Influenza-Patienten oder Menschen nach Impfung.

Diskussion

Diese Registerdaten deuten darauf hin, dass das Risiko von CVST bei COVID-19 deutlich erhöht ist und etwa 8-10-mal höher ist, als nach einer Impfung mit einem der drei bislang in Deutschland zugelassenen Impfstoffe. Die Daten zu PVT unterstreichen die Tatsache, dass COVID-19 vermehrt zu thrombembolischen Ereignissen führt.

Limitationen

Die Daten sind aus Registerdaten gewonnen, die für die Untersuchung nicht in an Alter und demographische Faktoren angeglichene Gruppen eingeteilt wurden. Wie bei allen Registerstudien bleibt die Qualität der Dokumentation und Erfassung von Diagnosen unklar.

Berücksichtigt man das seltene Auftreten von CSVT in der Bevölkerung, ist die Studienpopulation relativ klein.

Keiner der Patienten aus dem Register hat den AstraZeneca-Impfstoff erhalten, hier erfolgte ein Vergleich mit den Daten der EMA.

Fazit

Auch wenn die vorgelegten Daten bislang nicht einem peer-review-Verfahren unterzogen worden sind und die Arbeit methodische Limitationen aufweist, unterstreicht sie deutlich das Risiko für thrombembolische Komplikationen im Rahmen einer Erkrankung mit COVID-19. Dieses Risiko liegt deutlich über dem Risiko nach einer Impfung mit einem der drei in Deutschland zugelassenen Impfstoffe!

Quellen:

  1. Janghorbani M et al. Cerebral vein and dural sinus thrombosis in adults in Isfahan, Iran: frequency and seasonal variation. Acta Neurol Scand 2008 117: 117-121. DOI:10.111/j.1600-0404.2007.00915.x
  2. Coutinho JM et al. The Incidence of Cerebral Venous Thrombosis. Stroke 2012. 43:3375-3377
  3. Devasagayam S et al. Cerebral Venous Sinus Thrombosis Incidence Is Higher Than Previously Thought. Stroke 2016. 47:2180-2182. DOI: 10.1061/STROKEAHA.116.013617

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