Transportverzicht und Transportverweigerung im Rettungsdienst

In Deutschland ist bereits seit Jahren ein deutlicher Anstieg der Rettungs- und Notarzteinsätze zu beobachten, während gleichzeitig die Notaufnahmen über Patienten-Fehlsteuerung und Überfüllung klagen. Gleichzeitig trifft der Rettungsdienst regelmäßig auf Patienten, welche entweder den Transport verweigern oder für die keine Indikation eines Transportes besteht und darauf verzichtet wird.

Die Leitfrage ist, wer ist (k)ein Patient für den Rettungsdienst – und was muss bei einer Transportverweigerung oder ambulanten Versorgung wegen Transportverzicht medizinisch und juristisch beachtet werden.

In einem kürzlich veröffentlichten Übersichtsartikel von Häske et al. wird das spannende und stets aktuelle Thema des Transportverzichts und der Transportverweigerung im Rettungsdienst, und zwar mit der Perspektive des Arztes, Notfallsanitäter und Juristen beleuchtet:

Häske D, Sarangi F, Casu S (2020) Transportverweigerung und Transportverzicht im Rettungsdienst. Notfall + Rettungsmedizin. doi:10.1007/s10049-020-00756-x

Mit praktischen Einsatzbeispielen geht das Autorenteam sowohl auf medikolegale Grundsätze als auch auf den wichtigen Aspekt der Dokumentation ein.

Zum Thema Transportverweigerung werden im Wesentlichen folgende Aspekte festgehalten:

  1. Eine Transportverweigerung der betroffenen Person setzt deren Einwilligungsfähigkeit voraus.
    1. Die Einwilligungsfähigkeit bezieht sich ungeachtet des Alters darauf, ob die Person das aktuelle Geschehen und die gesamte Tragweite der Entscheidung verstehen kann.
    2. Von einer Einwilligungsfähigkeit kann vermutlich ausgegangen werden, wenn die Person zu allen Qualitäten orientiert ist und keinerlei Hinweise auf akute neurologische oder psychiatrische Erkrankungen bzw. Intoxikationen aufweist.
    3. Liegen Anzeichen einer neurologischen oder psychiatrischen Erkrankung oder Intoxikation vor, sollte im Falle einer Transportverweigerung stets ein Notarzt hinzugezogen werden.
  2. Verweigert der einwilligungsfähige Patient ohne genannte Einschränkungen den Transport, ist eine ausführliche Aufklärung über die Folgen seiner Entscheidung gesetzlich verpflichtend, wobei inhaltlich der medizinische Sachverhalt, die Behandlungserfordernis und die realistischen Folgen der Transportverweigerung maßgebend sind.
  3. Bleibt der Patient dennoch bei seiner ablehnenden Haltung bezüglich des Transports, so sticht die Ablehnung des einwilligungsfähigen Patienten die Indikation.
  4. Ein dezidiertes Einsatzprotokoll soll den gesamten medizinischen Sachverhalt unter Einbezug vorhandener und auch ausgeschlossener Befunde nachvollziehbar dokumentieren.

Ein Transportverzicht (durch das Personal) sollte sehr sorgfältig abgewogen werden. Insbesondere für das Rettungsfachpersonal ist die juristische Auslegung heterogen und das Vorgehen deswegen nicht trivial.

Hier halten Häske und Kollegen fest:

  1. Trifft Rettungsfachpersonal ärztliche Diagnosen, so wird es auch am ärztlichen Haftungsrecht gemessen.
  2. Lassen also Notfallsanitäter aufgrund der eigenen Einschätzung/”Diagnose” Patienten vor Ort, werden ihr Tun und Handeln auch haftungsrechtlich an Ärzten gemessen. Es wäre zu klären ob sie dafür versichert sind.
  3. Deswegen sollten Sie sich immer mit einem nachbehandelnden Arzt, ggf. auch telefonisch, beraten und das Ergebnis der Korrespondenz dokumentieren.
  4. Im Zweifel gilt es, eher einen Transport durchzuführen.

Dieser kurzweilige und medikolegal sehr wichtige Artikel ist als „online-first“ Variante bereits erschienen. Die Printversion inklusive Kurzübersicht werden im Verlauf folgen.

Zwischenzeitlich gibt es auch zahlreiche gute FOAM-Beitrage zu diesem Thema:

TransportVERWEIGERUNG und TransportVERZICHT – Was gleich scheint, ist es noch lange nicht / Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit sind es jedenfalls NICHT!!!

2 thoughts on “Transportverzicht und Transportverweigerung im Rettungsdienst

  1. Hallo Community,
    der Artikel ist wirklich gut und kurzweilig, spart aber aus meiner Sicht etwas Zuviel an der wichtigen Konkretisierung, WER bei Transportverweigerung die Sicherungsaufklärung durchführen kann, bzw. wer den Transportverzicht entscheiden darf.
    Ich sehe da (unabhängig von meiner persönlichen Meinung zur fachlichen Qualifikation) ehebliche Probleme:
    Diagnosestellung untersteht nach wie vor dem Arztvorbehalt und ist ein Kernelement der Heilkundeausübung. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zu Paragraph 4 (2) Nr 2 c NotSanG hat das überdeutlich formuliert. Da nutzt es auch Nix, zu sagen, wer ärztliche Aufgaben (Diagnose) als Nichtarzt übernimmt, setzt sich den gleichen Haftungsgründen aus, wenn klar ist, dass diese Arztaufgabe nicht übertragbar scheint.
    Und mein Amtsjurist ist klar der Meinung, dass das Wissen eines NotSan leider nicht für eine vollumfängliche Aufklärung ausreicht, um die Transportverweigerung entsprechend abzusichern. Zuletzt (kommt im Artikel glaube ich nicht vor): wer die Keule „daran könnten Sie im Schlimmsten Fall sterben“ schwingt, präjudiziert quasi eine NEF-Indikation (potentiell lebensbedrohliche Situation), und müsste streng genommen den Notarzt nachfordern.
    Viele Grüße
    Frank Naujoks
    ÄLRD Frankfurt am Main

    1. Lieber Herr Naujoks,

      vielen Dank für Ihre Rückmeldung und wichtige Fragestellung. Es ist in der Tat so, dass die Frage der Zulässigkeit einer Sicherungsaufklärung vor einer Transportverweigerung rechtlich nicht einheitlich zu beantworten ist. Denn der NotSan begibt sich bei der Sicherungsaufklärung einer Transportverweigerung in der Tat in den Bereich der Heilkunde. Dies ist aber nicht per se unzulässig. Die Ausübung der Heilkunde ist nach § 1 Abs. 1 HeilPrG reglementiert und steht unter Erlaubnisvorbehalt. Wer die erlaubnispflichtige Heilkunde ohne eine solche Erlaubnis und ohne sonstige Legitimation durchführt, macht sich nach § 5 HeilPrG strafbar. Die Rechtsprechung erkennt aber an, dass Angehörige von Heilberufen keine separate Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz benötigen, wenn sie ihren erlernten Beruf ausüben. Geprüfte Fachkräfte wie etwa Krankenpfleger, Physiotherapeuten oder MTA´s benötigen für ihre originäre Tätigkeit keine zusätzliche Erlaubnis nach dem HeilPrG sondern sind qua Berufsausbildung zur Erbringung der Heilkunde in dem jeweils durch die Ausbildung erlernten Umfang legitimiert (VGH Mannheim Beck RS 2017, 107063; BVerfG NJW 2000, 2736). Demensprechend unterfällt die bloße Ausübung der Heilkunde auch nicht der Strafbarkeit nach § 5 HeilPrG. Eine Strafbarkeit durch nichtärztliches medizinisches Personal kommt immer dann in Betracht, wenn durch diese Maßnahmen durchgeführt werden, die spezielleres medizinisches Fachwissen erfordern, gesundheitliche Schäden verursachen können und nicht Gegenstand der Berufsausbildung gewesen sind (BGH NJW 2011, 3591; OLG Düsseldorf NJW-RR 2016, 109; VG Düsseldorf, Beck RS 2009, 31150).

      Folgt man also dieser Rechtsprechung dann ist es so, dass der NotSan ja bereits in einem abgesteckten Rahmen ohnehin dazu befugt ist, originäre Heilkunde auszuüben. Dies lässt sich seit Corona sogar ausdrücklich aus § 5a IfSG ableiten.

      Man kann also folgende Faustformel bilden: Alle Krankheitsbilder, die der NotSan in seiner Ausbildung erlernt und vollumfänglich beherrschen muss und für die keine NEF Indikation besteht, können durch eine Sicherungsaufklärung des NotSan abgearbeitet werden. Bei allen anderen muss das NEF zur Einsatzstelle. 100% rechtssicher ist das natürlich nicht, da es dazu keine Rechtsprechung gibt. Folgt man aber streng der Systematik der oben zitierten Rechtsprechung, so ist dieses Ergebnis rechtlich vertretbar.

      Die Keule muss übrigens niemand bei der Sicherheitsaufklärung schwingen, es gilt dem Patienten die möglichen realistischen Konsequenzen seiner Verweigerung darzulegen.

      Wir sind uns aber sicher, dass uns dieses Thema in Zukunft noch weiter beschäftigen wird, weil es viel diffiziler ist als z.B. eine medikamentöse Inhalation oder Blutdrucksenkung, die anschließend in ärztliche Behandlung gebracht wird. Zudem liegen uns kaum Daten vor, auf dessen Basis wir uns ein Bild über die Zuverlässigkeit oder Sicherheit der Transportverweigerung oder Transportverzicht machen können. Ein spannendes Thema!

      Mit freundlichen kollegialen Grüßen,
      Sarangi, Häske, Casu

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