Airways 2-Studie

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:

Nach der PARAMEDIC 2-Studie wurde nun ebenfalls aus Großbritannien eine weitere hervorragende Studie zum Themenkomplex prähospitale Reanimation veröffentlicht. In der AIRWAYS 2-Studie wurde der Einfluss des Atemwegsmanagements auf das Behandlungsergebnis bei prähospitalem Herz-Kreislauf-Stillstand untersucht.

Benger JR et al. Effect of a strategy of supraglottic airway device vs tracheal intubation during out-of-hospital cardiac arrest on functional outcome. The AIRWAYS-2 randomized clinical trial. JAMA 2018; 320(8):779-91.

Die Studie kurz zusammengefasst:

  • Multizentrische, Cluster-randomisierte Studie
  • 4 Rettungsdienste in Großbritannien, die eine Gesamteinwohnerzahl von 21 Millionen notfallmedizinisch versorgen
  • Cluster-randomisiert bedeutet in diesem Fall, dass die insgesamt 1.523 Paramedics, die sich zur Teilnahme an der Studie bereit erklärt haben, randomisiert entweder in die Gruppe „endotracheale Intubation“ (ETI) oder die Gruppe „supraglottischer Atemweg“ (SGA) zugeteilt wurden, aus der sich der jeweils zu verwendende primäre Atemweg ergab: 764 Paramedics in der ETI-Gruppe, 759 in der SGA-Gruppe
  • alle Paramedics erhielten nach ihrer Randomisierung eine zusätzliche theoretische und einstündige simulatorbasierte praktische Ausbildung im Airwaymanagement der jeweils zugeteilten Gruppe
  • als supraglottischer Atemweg wurde ausschließlich die iGEL-Larynymaske der 2. Generation verwendet
  • nach zwei erfolglosen Versuchen in der jeweils zugeteilten Methode des Airwaymanagements durfte laut Studienprotokoll auf eine alternative Methode (SGA, nicht unbedingt iGEL) zurückgegriffen werden
  • jeder Paramedic durfte nach eigenem Ermessen (bei klinischen Gründen, z.B. schwierige Zugänglichkeit des Kopfes) von der ihm zugewiesenen Methode des Airwaymanagements abweichen und auch bereits primär die jeweils andere Methode der Atemwegssicherung verwenden
  • Studienzeitraum: Juni 2015 bis August 2017

Ergebnisse:

  • 9.296 Patienten konnten evaluiert werden
  • primärer Outcomeparameter: neurologisches Behandlungsergebnis bei Krankenhausentlassung bzw. nach 30 Tagen (je nachdem, was zuerst eintraf)
  • sekundärer Outcomeparameter: erfolgreiche Beatmung über das jeweils zugeordnete Device, Regurgitation, Aspiration, unbeabsichtigter Verlust des Atemwegs, Anteil der vor Ort verstorbenen Patienten
  • die wichtigsten Ergebnisse:
    • in der SGA-Gruppe hatten 311 von 4.882 (6,4%) Patienten ein neurologisch gutes Behandlungsergebnis, in der ETI-Gruppe 300 von 4407 Patienten (6,8%), damit kein statistisch signifikanter Unterschied.
    • vor Ort verstorbene Patienten: kein Unterschied
    • Aspiration und Regurgitation: kein Unterschied (in der SGA-Gruppe häufiger während der Beatmung nach Etablierung des Atemwegs, in der ETI-Gruppe ereignete sich diese Komplikation häufiger vor der Intubation)
    • erfolgreiche Etablierung des entsprechenden Atemwegs (≤2 Versuche): 79% in der ETI-Gruppe vs. 87,4% in der SGA-Gruppe, p<0,001, odds ratio 1,92 (95%-Konfidenzintervall 1,66-2,22
    • unbeabsichtigter Verlust des bereits etablierten Atemwegs (z.B. ineffektiv werden der Ventilation im Lauf der Reanimation; Leckage, die eine suffiziente Ventilation unmöglich macht etc.): 5% in der ETI-Gruppe vs. 10,6% in der SGA-Gruppe, p<0,001, odds ratio 2,29 (1,86-2,82)
    • das eigentlich spannende Ergebnis liefert aber die Sensitivitätsanalyse des primären Outcomeparameters (neurologisch gutes Überleben). Hier zeigt sich, dass in der Gruppe der Patienten, die primär mit einer ETI versorgt werden sollten, aber aus verschiedenen Gründen primär über eine iGEL ventiliert wurden (n=623) 5,3% neurologisch gut überlebten im Vergleich zu nur 2,0% der Patienten, die auch tatsächlich endotracheal intubiert wurden. Dazu passend die Daten aus der Gruppe der Patienten, die von einem Paramedic versorgt wurden, der primär den SGA verwenden sollte: wenn die iGEL auch tatsächlich primär zum Einsatz kam, überlebten 4,0% der Patienten gut; dagegen war dies nur bei 2,6% der Patienten der Fall, wenn sich der Paramedic statt dessen für die endotracheale Intubation entschied. Diese Differenz zwischen den Gruppen blieb aber unter dem im Vorhinein definierten klinisch relevanten Effekt.
  • Die Rahmendaten der prähospitalen Reanimation stimmen mit der PARAMEDIC 2-Studie überein:
    • sehr gute Eintreffzeiten des Rettungsdienstes von im Median 7 bzw. 8 min.
    • Sehr gute Laienreanimationsrate von 64,5 bzw. 63,0%. Etwa 24% der Patienten mit defibrillierbarem Rhythmus, 76% mit nicht-defibrillierbarem Rhythmus. Die 30-Tage-Überlebensrate (egal mit welchem neurologischen Ergebnis und ohne Berücksichtigung, ob überhaupt ein Atemwegsmanagement notwendig war) betrug 8,4% in der Gruppe der Paramedics, die für die ETI randomisiert waren, und 8,0% in der „SGA-Gruppe“
    • Die ROSC-Rate bei Krankenhausaufnahme 28,4% bzw. 30,6%
  • 18% der Patienten brauchten gar keine Form des Airwaymanagements (ETI bzw. SGA), weil sie so schnell ein ROSC hatten (erstaunlich!). Dies ist sicherlich auf die kurze Eintreffzeit und die hohe Rate an Laienreanimation zurückzuführen. Natürlich hatten diese Patienten dann auch eine hervorragende Chance auf ein gutes neurologisches Ergebnis, gingen aber trotzdem in die Analyse des primären Endpunktes ein. Anteilmäßig waren diese Patienten aber in beiden Studienarmen gleichermaßen vertreten.
  • Im Rahmen der Studie wurde als supraglottischer Atemweg nur iGEL-Larynxmasken der 2. Generation verwendet. Diese sind sehr einfach zu platzieren (deutlich einfacher als herkömmliche Larynxmasken) und weisen hinsichtlich der Komplikationsrate Vorteile gegenüber dem Larynxtubus auf. Siehe hierzu auch unser Blogbeitrag Larynxtubus – wirklich der beste alternative Atemweg in der Notfallmedizin?“ 
  • Aus der Studie geht nicht hervor, zu welchem Zeitpunkt eine Umintubation der mit einem SGA versorgten Patienten auf einen Endotrachealtubus stattfand.
  • Ebenfalls geht nicht hervor, ob
    • a) bei Versorgung mit einem SGA eine kontinuierliche Thoraxkompression durchgeführt wurde oder
    • b)die Thoraxkompression weiterhin synchronisiert mit der Beatmung erfolgte oder c) ob und bei welchem Anteil der Patienten mechanische Thoraxkompressionsgeräte zum Einsatz kamen.
  • nur bei 66 Patienten wurde die „compression fraction“ (also der Anteil der Zeit, du der Thoraxkompressionen stattfanden) ermittelt. Hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen.
  • es kam keine Videolaryngoskopie zum Einsatz, die auch in der prähospitalen Notfallmedizin inzwischen weit verbreitet ist und eine endotracheale Intubation auch unter schwierigen Lagerungsbedingungen deutlich vereinfacht
  • die Paramedics haben sich freiwillig zur Teilnahme an der Studie gemeldet, wurden extra geschult und wussten natürlich, welcher Gruppe sie angehören. Es ist davon auszugehen, dass sich derartig engagierte Mitarbeiter dann auch in den entsprechenden Techniken der Atemwegssicherung nochmals zusätzlich weitergebildet haben oder zumindest gedanklich damit beschäftigt haben
  • Angaben zur Platzierung einer Magensonde durch die iGEL finden sich nicht im Manuskript, vielleicht ließe sich dadurch die Rate der Regurgitationen während der CPR reduzieren.

Welche Frage beantwortet die Studie nicht? Was bedeuten die Ergebnisse der Studie für unsere Praxis?

  • die Studie hat nicht die Überlegenheit der ETI oder der SGA untersucht, sondern zwei unterschiedliche Strategien der Atemwegssicherung verglichen. Letztlich wurden auch in der Studie nur 72% der Patient mit dem Device versorgt, für das der behandelnde Paramedic eigentlich randomisiert war (es zählte lediglich die Intention, das entsprechende Atemwegs-Device einzusetzen).
  • für die Überlebensrate der Patienten mit gutem neurologischem Ergebnis bis zur Krankenhausentlassung bzw. bis 30 Tage nach der Reanimation, spielt die Art und Weise der Atemwegssicherung (primär konventionelle ETI oder primär iGEL) keine Rolle.
  • auch wenn die Ergebnisse der Sensitivitätsanalyse nur als Hypothesen-generierend angesehen werden dürfen, so verdichtet sich die Datenlage, dass in Reanimationssituationen, in denen bekanntermaßen ein hoher Workload für das Rettungsdienstpersonal besteht und mehrere zeitkritische Interventionen (Thoraxkompression, Ventilation, Defibrillation) gleichzeitig vorzunehmen sind sowie die Lagerungsmöglichkeiten und Zugangsmöglichkeiten zum Patienten oft sehr eingeschränkt sind auch und insbesondere im Hinblick auf die Handlungskompetenzen und die Ausbildung von Notfallsanitätern, die Strategie, einen einfach und sicher zu platzierende SGA wie die iGEL-Larynxmaske für den „Erstangriff“ einzusetzen, Vorteile haben könnte.
  • dass Paramedics die iGEL gegenüber der ETI anscheinend bevorzugen (mutmaßlich wegen der einfacheren und schnelleren Technik im prähospitalen Umfeld), lässt sich auch an dieser Studie erkennen: in 9,2% der Fälle haben Paramedics, die eigentlich die ETI wählen sollten, sich bereits primär für die iGEL entschieden (Entscheidung-BIAS!). Dagegen haben sich in nur 3,6% der Fälle Paramedics, die für die iGEL randomisiert waren, primär für die ETI entschieden. Letztlich wurden in 18% der Fälle mit einem „ETI-Paramedic“ doch ein SGA eingesetzt, umgekehrt dagegen nur in 3% der Fälle von einem „iGEL-Paramedic“ doch die ETI.

Ob sich der Strategie-Vorteil „primär iGEL“ tatsächlich statistisch signifikant beweisen lässt, müssen weitere Studien zeigen. Ebenso zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen eine Umintubation auf einen Endotrachealtubus stattfinden sollte (im Schockraum mit bester personeller und technischer Ausstattung?) und welche Methode der Thoraxkompression (mechanisch vs. manuell, kontinuierlich vs. synchronisiert) bei Verwendung des supraglottischen Atemwegs angewandt werden sollte.

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