Aortendissektion und das prähospitale Dilemma

showphoto.phpJeder der in der Notfallmedizin, ob nun prähospital oder in der Notaufnahme, arbeitet, kennt die gefürchtete Aortendissektion. Gefürchtet einerseits, da die Aortendissektion rasch tödlich enden kann, andererseits aber auch, da die Aortendissektion ein Chamäleon ist und nicht immer auf Anhieb zu erkennen ist. Gerade wurde ein sehr lesenswerte Fallserie zu akuten Aortendissektionen von Stephan Kurz und Claas Buschmann aus Berlin publiziert:

Kurz S, et al. Die akute Typ-A-Dissektion nach Stanford –Fallstricke und Implikationen für die notfallmedizinische Praxis. Der Notarzt 2016 online, DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0041-108258


Ein paar Informationen zur Aortendissektion:

  • Erstbeschreibung durch Frank Nicholls im Rahmen der Autopsie von König Georg II. 1761
  • Inzidenz: (3-)14 Fälle/100.000 Einwohner/Jahr (im Vergleich der akute Myokardinfarkt 300/100.000 Einwohner/Jahr, Verhältnis 1:(20)100
  • Typ A-Dissektion: 70%, Typ B-Dissektion: 30%
  • Einteilung: DeBarkey, Stanford
  • typisches klinisches Beschwerdebild: plötzlicher thorakaler Vernichtungsschmerz mit Ausstrahlung in den Rücken oder die Extremitäten
  • cave: auch atypische Verläufe möglich: schmerzlos, abdominelle Schmerzen, isolierte Hüftschmerzen, besonders muss geachtet werden auf unerklärliche Synkope, akut aufgetretendem Thoraxschmerz, Apoplex, akutem Herzversagen, Pulsdifferenzen, viszeralen Perfusionsstörungen (Chamäleon)
  • Schmerztypisierung: abrupter Schmerzbeginn 85%, thorakaler Schmerz: 79%, Rückenschmerzen: 46, abdominelle Schmerzen: 22%, wandernder Schmerz
  • Risiko: in bis zu 30-40% werden Aortendissektionen initial als akutes Koronarsyndrom fehlinterpretiert, 20% der Patienten versterben bevor sie das Krankenhaus erreichen, 24% versterben bei Operation im weiteren Verlauf (instabile sterben deutlich häufiger als stabile 32 vs. 17 %), 3-Jahresüberlebensrate nach OP 91%, 58% versterben bei konservativer Therapie, 3-Jahresüberlebensrate nach konservativer Behandlung 69%, Auftreten vor allen in Wintermonaten und Morgens zwischen 08:00-09:00
  • Ursachen: angeboren und erworbene Veränderungen der aortalen Intima und Media, vorwiegend langzeitig bestehende arterielle Hypertonie und Atherosklerose, Nikotinabusus, Drogenkonsum (zB Cocain, Crack, Amphetamine), hereditäre Erkrankungen [zB Marfan-Syndrom (Fibrillin-1Genmutation), Ehler-Danlos-Syndrom (Strg. Der Kollagen-III-Synthese), bei Turner-Syndrom ist bikuspide Aortenklappe mit 13-34% erheblich erhöht], Infektionen (Syphilis etc.), bikuspide Aortenklappe (familiär gehäuft) mit Aortenaneruysma und Dissektion assoziiert, traumatisch bedingte Aortendissektion, u.a.
  • Komplikationen: Aortenruptur mit Blutung in Pleuralraum, hämodynamisch relevanten Aortenklappeninsuffizienzen, Perikardtamponaden, Myokardischämie (Abhängen der Koronarostien), Cerebrale Ischämien/Endorganschädigungen, Krampfanfall, mesenteriale, renale Ischämie und Duchblutungsstörungen der Extremitäten und des Rückenmarks, u.a.

Die Autoren um Kurz und Buschmann der og Fallserie fassen zusammen: Die akute Aortendissektion muss im Rettungs- und Notarztdienst bei entsprechender klinischer Symptomatik bereits am Einsatzort in die differenzialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen werden. Hilfreich zur Abgrenzung kann der „Acute Aortic Dissection Detection Risk Score“ sein. In jede SOP Thoraxschmerz sollte die beidseitigen Blutdruckmessung etabliert werden. Eine prähospitale Antikoagulation sollte bei Verdacht auf eine akute Aortendissektion unterbleiben (Risiko der intraoperativen Blutungsproblematik). Der Transport sollte zur definitiven Versorgung bereits initial nach Voranmeldung in ein herz- bzw. thoraxchirurgisches Zentrum erfolgen.


Der „Acute Aortic Dissection Detection Risk Score“ wurde als Interpretationshilfe bei Thoraxschmerzen entwickelt (s. Abbildung)

ADD


Weiterführende Literatur:

  • Leick J, et al. „Standard operating procedures“ zur Diagnostik und Therapie des akuten Aortensyndroms. Kardiologe 2013; 7: 326-345
  • Nienaber CA, et al. Management of acute aortic dissection. Lancet 2015; 385: 800-11
  • Pape LA, et al. Presentation, Diagnosis, and Outcomes of Acute Aortic Dissection. 17-Year Trends From the International Registry of Acute Aortic Dissection. JACC 2015; 66: 350-358
  • Patel AY, et al. Acute type B aortic dissection: insights from the International Registry of Acute Aortic Dissection. Ann Cardiothorac Surg 2014;3(4):368-374
  • Ramanath VS, et al. Acute Aortic Syndromes and Thoracic Aortic Aneurysm. Mayo Clin
  • Proc 2009; 84: 465-481
  • Roggenbach J, et al. Typ-A-Dissektion. Principles of anesthesiological management. Anaesthesist 2011; 60: 139-151
  • Semsroth S, et al. Das akute Aortensyndrom. Med Klin Intensivmed Notfalmed 2014; 109: 371-384

Fotos: Mit freundlicher Genehmigung Prof. Dr. N. Hammer, Department of Anatomy, University of Otago, New Zealand, and special thanks to Chris Smith.

 

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