Was ist die Behandlung der Wahl bei proximaler Humerusfraktur?

Ein Gastbeitrag von Ulf Harding, Wolfsburg        Das British Medical Journal bringt zur Weihnachtszeit jedes Jahr interessant Studien mit oftmals überraschenden Erkenntnissen. So sei an dieser Stelle an die wegweisende Parachute Studie (https://www.bmj.com/content/363/bmj.k5094) aus 2018 erinnert, die uns der Antwort auf die Frage, ob ein Fallschirm beim Sprung aus einem Flugzeug einen Überlebensvorteil bietet, einen Schritt näher gebracht hat.

In diesem Jahr präsentieren Razaeian und Kollegen von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und dem Brigham and Women’s Hospital in Boston, USA, eine Arbeit zur Behandlung proximaler Humerusfrakturen.

Razaeian S. et al.

Nonsensus in the treatment of proximal humerus fractures: uncontrolled, blinded, comparative behavioural analysis between Homo chirurgicus accidentus and Macaca sylvanus.

BMJ 2020; 371: m4429

http://dx.doi.org/10.1136/bmj.m4429

Proximale Humerusfrakturen sind mit 6% der Frakturen bei Erwachsenen nicht selten und betreffen in ca. 70% Patienten über 60 Jahre. Durch die steigende Lebenserwartung steigt auch die Inzidenz dieser Frakturen. Allerdings besteht kein einheitliches Vorgehen bezüglich eines optimalen Behandlungsansatzes, die Evidenzlage deutet aber darauf hin, daß eine konservative Behandlung ein vergleichbares funktionales Outcome wie eine operative Behandlung unter Vermeidung der operationstypischen Risiken haben könnte. Dennoch steigen die Zahlen an operativen Versorgungen in den letzten Jahren sowohl in Deutschland als auch den USA an.

Da Leitlinien und Expertenkonsens fehlen wurde in dieser Arbeit versucht, anhand von Expertenbefragungen mittels Fallpräsentationen aus dem Hannover Humerus Registry Empfehlungen abzuleiten. In einer verblindeten Vergleichsstudie wurden folgende Fragen zu den Fällen gestellt:

  1. Empfohlene Behandlung: konservativ oder operativ?
  2. Bei operativer Behandlung: Welches Verfahren?
  3. Welches Outcome würden sie nach einem Jahr erwarten? (Skala bis 100 Punkte)

Befragt wurden ein Expertenpanel von 10 Unfallchirurgen aus Deutschland und den USA mit besonderer Expertise in Chirurgie der oberen Extremitäten sowie eine Gruppe von fünf Berberaffen aus Thüringen.

Die Ergebnisse:

 

Während die Experten überwiegend zu einer operativen Behandlung neigten, zogen die Berberaffen ein konservatives Vorgehen vor. Die Interrater-Reliabilität war insgesamt in der Expertengruppe höher als bei den Berberaffen. Eine Subgruppenanalyse nach Patientenalter zeigte in der besonders betroffenen Gruppe der über 65-jährigen Patienten jedoch ein gleich schwaches Ergebnis der Interrater-Reliabilität bei Experten und Berberaffen. Was die Vorhersage des Outcomes betraf, zeigten sich in beiden Gruppen schwache Ergebnisse. Interessant ist, dass es sich in allen präsentierten Fälle um Fälle mit einem konservativen Vorgehen handelte, die zu einem guten klinischen Outcome geführt haben.

Limitationen:

Die Autoren diskutieren die Limitationen ihrer Arbeit, zu denen neben Interessenkonflikten in beiden Gruppen und geringer Gruppengröße die Auswahl der verwendeten Belohnungen für die Affen gehörten.

Fazit:

  • Auch über die menschliche Spezies hinaus kann kein Konsens bezüglich der optimalen Behandlung einer proximalen Humerusfraktur gefunden werden.
  • Trotz hoher Vorhersagewahrscheinlichkeit bezüglich des Outcomes scheinen Berberaffen nicht ausreichend qualifiziert, um Chirurgen in der Entscheidungsfindung zu beraten.
  • Es lohnt sich immer, skeptisch zu sein und die Methodik einer Studie zu lesen, auch wenn die Zusammenfassung der Ergebnisse auf news-papers.eu präsentiert wird ! 😉

    Gesegnete Weihnachten

 

© alle Abbildungen bmj.com

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