Eintreffzeit bei Verkehrsunfall

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:

Die Anzahl der bei Verkehrsunfällen Verletzten in Deutschland ist glücklicherweise seit Jahren kontinuierlich rückläufig (von mehr als 500.000 Personen im Jahr 2000 auf aktuell deutlich weniger als 400.000). Dennoch sterben aktuell pro Monat zwischen 200 und 350 Menschen auf deutschen Straßen. Der gesamtgesellschaftliche Schaden hierdurch ist enorm, da häufig junge Personen sterben: Zwei Drittel der Verkehrstoten sind jünger als 65 Jahre!

Dies zeigt, wie wichtig nach wie vor die Bemühungen im rettungsdienstlichen und medizinischen Bereich sind, die Versorgung Patienten nach Verkehrsunfällen zu verbessern. Eine sehr interessante Arbeit zur Bedeutung der Eintreffzeit des Rettungsdienstes bei Verkehrsunfällen wurde aktuell im JAMA Surgery veröffentlicht.

Byrne JP et al. Association Between Emergency Medical Service Response Time and Motor Vehicle Crash Mortality in the United States. JAMA Surg 2019; doi:10.1001/jamasurg.2018.5097

 Kurze Zusammenfassung:

  • populationsbasierte Studie
  • Untersuchungszeitraum1.2013 bis 31.12.2015
  • ausgewertet wurden die Daten aus 49 US-Bundesstaaten mit fast 240 Millionen Einwohnern (75% der gesamten US-amerikanischen Bevölkerung)
  • mehr als 2,2 Millionen Rettungsdiensteinsätze zu Verkehrsunfällen in 2268 Landkreisen
  • untersucht wurde der Zusammenhang zwischen der medianen Eintreffzeit des Rettungsdienstes bei Verkehrsunfällen und der Sterblichkeit von Patienten nach Verkehrsunfällen
  • die mediane Eintreffzeit betrug 9 min (Interquartilenabstand: 7-11 min)
  • wenn die Eintreffzeit des Rettungsdienstes ≥12 min betrug, war die Sterblichkeit um den Faktor 1,95 (95%-Konfidenzintervall 1,72-2,22) höher als bei Eintreffzeiten <7 min
  • die Daten wurden an möglicherweise beeinflussende Faktoren angepasst. Dazu gehören die Ländlichkeit des Einsatzortes (städtisch, vorstädtisch, ländlich, Wildnis), die Zeit am Einsatzort, die Transportzeit, die Entfernung des Einsatzortes von einem Level 1 oder Level 2-Traumazentrum, die Verfügbarkeit von Rettungshubschraubern in einem Einsatzradius von 25 Meilen sowie der Verkehrsgesetzgebung im jeweiligen Bundesstaat (Geschwindigkeitsbegrenzungen, Verpflichtung zum Anlegen des Sicherheitsgurts, Verbot des Schreibens/Lesens von SMS, Möglichkeit des Führerscheinentzugs nach Fahren im alkoholisierten Zustand)
  • auch nach Anpassung an diese Faktoren zeigte sich ein nahezu linearer Zusammenhang zwischen der Eintreffzeit des Rettungsdienstes und der Sterblichkeit von Verkehrsunfallopfern:
    • bei Eintreffzeiten von 7-8 min um den Faktor 1,24 (95%-KI: 1,15-1,34) höher als bei <7 min
    • bei Eintreffzeiten von 9-11 min um den Faktor 1,33 (95%-KI: 1,23-1,44) höher als bei <7 min
    • bei Eintreffzeiten von ≥12 min um den Faktor 1,46 (95%-KI: 1,32-1,61) höher als bei <7 min
  • daraus ergibt sich, dass 13% aller Todesfälle nach Verkehrsunfällen hätten verhindert werden können, wenn die Eintreffzeit des Rettungsdienstes innerhalb der vorgegeben Frist von <7min im städtischen Bereich und <10 min im ländlichen Raum gewesen wäre
  • interessanterweise zeigte die Versorgungszeit vor Ort und die Transportzeit keinen signifikanten Zusammenhang mit der Sterblichkeit der Patienten. Dies steht in klarem Widerspruch zu Ergebnissen einer großen Studie für penetrierendes Trauma, wo der möglichst schnelle Transport in die Klinik ohne prähospitale Versorgung (z.B. im Polizeifahrzeug oder Privatfahrzeug) mit einem besseren Behandlungsergebnis assoziiert war.
  • Wandling MW et al. Association of prehospital mode of transport with mortality in penetrating trauma: a trauma system-level assessment of private vehicle transportation vs ground emergency medical services. JAMA Surg 2018; doi:10. 1001/jamasurg.2017.3601

Fazit für die Praxis:

  • Dass die Patienten offensichtlich von einem möglichst schnellen Eintreffen des Rettungsdienstes und nicht so sehr einem möglichst schnellen Kliniktransport profitieren, zeigt, wie wichtig bei Verkehrsunfällen schnelle und professionelle prähospitale Notfallmedizin für die Patienten ist.
  • Wenn man die Zahlen aus dieser US-amerikanischen Studie auf Deutschland übertragen würde, würde dies bedeuten, dass bei einer Eintreffzeit des Rettungsdienstes bei schweren Verkehrsunfällen <7 min im städtischen Bereich bzw. <10 min im ländlichen Raum pro Monat in Deutschland mehr als 30 Todesfälle aufgrund von Verkehrsunfällen verhindert werden könnten. Da in den USA aber nicht in allen Bundesstaaten eine Helmpflicht für Motorradfahrer gilt und ebenso nicht überall eine Anschnallpflicht für Fahrzeuginsassen, ist dort sicher die Häufigkeit an schweren Schädel-Hirn-Traumen und Mittelgesichtstraumen noch deutlich höher als in Deutschland. Da insbesondere diese Patienten von einer schnellstmöglichen rettungsdienstlichen Versorgung profitieren, ist die Übertragbarkeit sicher nicht 1:1 möglich.
  • Dennoch geht aus den dargestellten Zahlen die enorme Bedeutung der Eintreffzeit bei Verkehrsunfällen sowie die Bedeutung einer guten rettungsdienstlichen Infrastruktur und Leitstellendisposition hervor.

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