Kohlenmonoxid-Intoxikation

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:

Sie werden nachts mit dem RTH zu einem Hausbrand mit eingeschlossenen Personen gerufen. Nach der Landung werden Sie bereits von einem Feuerwehrmann herbei gewunken zu einem bewusstlosen Patienten, der eben aus dem Haus getragen wurde und aufgrund von Niederschlag und Kälte im Wohnzimmer des Nachbarhauses abgelegt wurde. Ihr initiales Assessment ergibt folgende Befunde:

A: frei, Nasenschleimhaut mit Ruß belegt

B: leichte Tachypnoe, sonst unauffällig

C: tachykard und hyperton

D: GCS 8, Pupillen isokor und seitengleich lichtreagibel

E: kleine Brandwunde am Arm (III°, 1% KÖF), mehrere Schürf- und Kratzwunden an den Beinen vermutlich durch das Schleifen über den Boden bei der Rettung durch die Feuerwehr.

Die CO-Messung des Pulsoxymeters zeigt eine initiale CO-Sättigung des Hämoglobins von 40% an (Anmerkung: das Foto ist erst nach ca. 30 minütiger Beatmung mit 100% Sauerstoff beim Einladen und „Ummonitorisieren“ in den RTH entstanden).

Sie entscheiden sich bei Verdacht auf CO-Intoxikation, bewusstseinsgetrübtem Patienten und Verdacht auf Rauchgasinhalation zur endotrachealen Intubation. Diese gelingt problemlos, bei der Laryngoskopie zeigen sich ebenfalls mit Ruß belegte Stimmbänder und Schleimhaut der oberen Trachea, was Ihren Verdacht auf massive Rauchgasinhalation bestätigt.

Sie entscheiden sich aufgrund Ihres Lehrbuchwissens bei CO-Intoxikation und bewusstseinsgetrübtem Patienten zum Transport in ein Zentrum zur hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO), was eine Flugzeit von ca. 60 min bedeutet. Aufgrund der langen Transportzeit und der damit zu erwartenden großen Verzögerung bis zur Messung des Zyanid-Spiegels bzw. der Laktatkonzentration und aufgrund des Hausbrandes als Quelle der Rauchgasintoxikation, entscheiden Sie sich vor Abflug noch zur Gabe von Hydroxycobalamin (Cyanokit®).

Während des Fluges haben Sie viel Zeit, sich über den Sinn der HBO-Therapie Gedanken zu machen.

Die Literatur-Recherche im Anschluss des Einsatzes überrascht Sie dann sehr: Es gibt keine klareEvidenz für die HBO-Therapie bei CO-Intoxikation. Die US-amerikanischen Leitlinien empfehlen mit einem Level B bei Patienten mit CO-Intoxikation eine HBO-Therapie oder eine normobare Sauerstofftherapie durchzuführen. Ferner stellen sie fest, dass es unklar ist, ob die HBO-Therapie einen Vorteil hinsichtlich neurokognitiver Spätschäden gegenüber der normobaren Sauerstofftherapie hat.

Wolf SJ et al. Clinical Policy: Critical Issues in the Evaluation and Management of Adult Patients Presenting to the Emergency Department With Acute Carbon Monoxide Poisoning. Ann Emerg Med 2017; 69:98-106

Die Empfehlungen in den aktuellen notfallmedizinischen Lehrbüchern dürfte am ehesten auf der randomisiert kontrollierten Studie aus 2002 beruhen. Hier wurden pro Gruppe 76 Patienten entweder mit 3 Sitzungen HBO innerhalb von 24 h oder mit normobarer Sauerstofftherapie (NBO) behandelt. Kognitive Spätschäden waren in der HBO-Gruppe signifikant seltener als in der NBO-Gruppe: 25% vs. 46%, p=0,007.

Weaver K et al. Hyperbaric oxygen for acute carbon monoxide poisoning. N Engl J Med 2002; 347:1057-67

Dagegen zeigt eine Cochrane-Metaanalyse aus 2011, in die neben der oben genannten Studie auch alle weiteren verfügbaren Studienergebnisse zur HBO-Therapie bei CO-Intoxikation eingingen, keinen signifikanten Nutzen für die HBO-Therapie. Insgesamt gingen in die Studie 1361 Patienten ein. Das odds ratio für neurologische Spätschäden betrug 0,75 für die HBO-Therapie mit einem 95%-Konfidenzintervall von 0,54-1,12.

https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD002041.pub3/media/CDSR/CD002041/CD002041.pdf

Eine Studie zeigte sogar für komatöse CO-intoxikierte Patienten ein schlechteres neurologisches Behandlungsergebnis, wenn sie mit 2 Sitzungen HBO behandelt wurden (n=101) als wenn sie nur einer Sitzung HBO (n=105) unterzogen wurden.

Annane D et al. Hyperbaric oxygen therapy for acute domestic carbon monoxide poisoning: two randomized controlled trials. Intensive Care Med 2011; 37:486-92

Fazit für die Praxis:

  • Entscheidend ist die möglichst hochkonzentrierte Gabe von Sauerstoff (beim spontanatmenden Patienten über Maske mit Reservoir und hohem Frischgasfluss bzw. bei gegebener Indikation zur Intubation mit einer FiO2100%) . Dies muss ununterbrochen geschehen.
  • Wenn die Entscheidung zur HBO-Therapie getroffen wird, muss die erste Sitzung innerhalb von 6 Stunden nach der Intoxikation geschehen, sonst besteht keinerlei Nutzen mehr.
  • Die Entscheidung für eine HBO-Therapie bedarf einer guten Nutzen-Risiko-Abwägung, da die Evidenz hierfür keine klare Empfehlung hergibt.
  • Die gilt insbesondere für CO-intoxikierte Patienten, die gleichzeitig schwere Verletzungen oder Verbrennungen erlitten haben, die in der Behandlung meist priorisiert werden müssen.
  • Auch die Verzögerung der Therapie einer möglicherweise zeitgleich vorliegenden Blausäure-Intoxikation (Entstehung von Zyanid-Verbindungen v.a. beim Verbrennen von Kunststoffen, also insbesondere bei Industrie- und Wohnhausbränden) durch den oftlangenTransportwegin ein HBO-Zentrum muss bedacht werden, insbesondere, wenn prähospital kein Hydroxycobalamin zur Verfügung steht.

Eine S2k-Leitlinine der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur Diagnostik und Therapie der Kohlenmonoxidvergiftung ist in Vorbereitung.

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