Tränengas-Einsatz – relevant für die Notfallmedizin?

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:

In den vergangenen Monaten kam es in Wiesloch und in Zürich zu zwei Todesfällen nach dem Einsatz von Tränen-/Reizgas durch die Polizei bei Personen, die massiv randaliert haben bzw. Polizisten angegriffen hatten.

Früher wurde als Reizgas oft Substanzen auf Acetonbasis verwendet (v.a. CN-„Gas“, Chloracetophenon), die jedoch aufgrund der nachgewiesenen Gesundheitsgefahren durch CS-„Gas“ abgelöst wurden (Chlorbenzylidenmalodinitril, strenggenommen beides keine Gase sondern Aerosole). Zunehmend werden nun Sprays auf Basis von Oleoresin Capsicum (OC), sogenannte Pfeffersprays eingesetzt, da sie hinsichtlich des Wirkungseintritts Vorteile bieten. Der Reizstoff in OC-Sprays wird aus Chillischoten gewonnen und gilt bei hoher Wirksamkeit als nicht giftig und umweltfreundlich.

Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 konnten insgesamt 10 Fälle identifiziert werden, bei denen der Einsatz von Tränengas ursächlich oder zumindest „mitursächlich“ für den Tod eines Patienten war. Folgende Tabelle bietet eine Übersicht über diese Fälle.

Reizgase

Diese Studie zeigt zweierlei:

  • Auch das moderne Pfefferspray (OC) scheint mit relevanten Gesundheitsgefahren verbunden zu sein.
  • Es scheint ein paar assoziierte Faktoren für letale Verläufe nach Tränengaseinsatz zu geben:
    • bekanntes Asthma bronchiale
    • psychiatrische Vorerkrankung/psychomotorischer Erregungszustand/psychisch auffälliges Verhalten

Tierexperimentell wurde gezeigt, dass Asthma-kranke Meerschweinchen unter der Einwirkung von Tränengas schwerere Symptome entwickeln und häufiger sterben als gesunde Vergleichstiere.

Ebenfalls im Tierversuch wird die LD50 für Kokain unter der Einwirkung von Capsaicin, das in Pfeffersprays (OC) enthalten ist, reduziert.

Ob ein psychomotorischer Agitationszustand oder eher die Einwirkung von stimulierenden Drogen (Kokain, Methamphetamin) ein prädisponierender Faktor für tödliche Verläufe nach Tränengaseinsatz ist, ist in der Literatur durchaus umstritten.

Welche Konsequenzen können wir notfallmedizinisch daraus ziehen?

  • Sicherheit! Sowohl Sicherheit vor weiteren Angriffen als auch Sicherheit vor der Exposition des Rettungsdienstpersonals mit dem Pfefferspray, das sich am Patient und dessen Kleidung befindet. Es gibt einen Fallbericht, in dem die Anästhesistin den Intubationsversuch des Patienten abbrechen musste, weil ihre Augen sehr stark zu tränen begannen und sie nichts mehr sehen konnte. Handschuhe und Schutzbrille tragen!
  • Patient in gut belüfteten Bereich verbringen, unbedingt aus dem kontaminierten Raum evakuieren.
  • Patient sollten nach Tränengaseinsatz nicht gefesselt in Bauchlage gelagert werden, um die Atemarbeit nicht zusätzlich zu erschweren. In Rücksprache mit der Polizei – wenn irgend möglich – Rückenlage.
  • Kontaminierte Kleidung entfernen und Haut mit viel Wasser und Seife abwaschen/duschen!
  • Kontaktlinsen entfernen
  • angefeuchteten Sauerstoff nutzen
  • Bei Atemproblemen: beta2-Mimetika inhalativ
  • Medikamentöse Sedierung und Stressabschirmung
  • Bei Notwendigkeit der Intubation: auf schwierigen Atemweg vorbereitet sein! CAVE: Exposition des Intubierenden, ggf. für diesen Wasser zum Ausspülen der Augen bereithalten
  • Weitere symptomatische Therapie und Intensivüberwachung bis zur Besserung der Symptome
  • ggf. augenärztliches Konsil

Literatur

Toprak S, Ersoy G, Hart J, et al. The pathology of lethal exposure to the Riot Control Agents: Towards a forensics-based methodology for determining misuse. J Forensic Legal Medicine 2015; 29: 36-42

Mendelson JE, Tolliver BK, Delucchi KL, et al.: Capsaicin, an active ingredient in pepper sprays, increases the lethality of cocaine. Forensic Toxicol 2010;28:33e7


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One thought on “Tränengas-Einsatz – relevant für die Notfallmedizin?

  1. Die Frage beantwortet sich anhand der Tabelle ja wohl von selbst. Sicher haben einige Personen zum Teil selber schuld. Es gibt aber auch Fälle, wo irgendwelche Kevins aus Spaß Pfefferspray in Lüftungssysteme von Schulen gesprüht haben oder in eine Menge gesprüht haben.

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