Bringt der Einsatz eines RTH dem Trauma-Patienten einen Überlebensvorteil?

Ein Beitrag von PD Dr. Peter Hilbert-Carius (Halle/Saale) und PD Dr. Jürgen Knapp (Bern/Schweiz):

Weinlich M et al. Competitive advantage gained from the use of helicopter emergency medical services (HEMS) for trauma patients: Evaluation of 1724 patients. Injury 2018. doi: 10.1016/j.injury.2018.12.018.

Alle in der Luftrettung tätigen Kollegen und diejenigen, die überzeugt sind, dass durch die Luftrettung einen Outcome-Verbesserung unserer Patienten möglich ist, sind natürlich begeistert, wenn man das Abstract und die Schlussfolgerung gelesen hat: durch den Einsatz der Luftrettung wird beim Trauma-Patienten ein signifikant höheres Krankenhausüberleben erreicht. Also mal wieder eine Arbeit, die „schwarz auf weiß“ das zeigt, wovon viele so überzeugt sind. Weitere Arbeiten zu diesem Thema sind unter anderen:

Biewener a et al. Impact of Helicopter transport and hospital level on mortality of polytrauma patients. J Trauma 2004; 56:94-8

Frankema SPG et al. Beneficial effect of helicopter emergency medical services on survival of severely injured patients. Br J Surg 2004; 91:1520-6

Thomas SH et al. Helicopter transport and blunt trauma mortality: a multicenter trial. J Trauma 2002; 52:136-45

Andruszkow H et al. Ten years of helicopter emergency medical services in Germany: Do we still need the helicopter rescue in multiple traumatised patients? Injury 2014; 45S:S53-8

Andruszkow H et al. Survival benefit of helicopter emergency medical services compared to ground emergency medical services in traumatized patients. Crit Care 2013; 17:R124

Aber – wie immer – lohnt sich ein genauer Blick auf die Daten der Studie:

Im Zeitraum von 2009 bis 2013 wurde alle Traumapatienten des Universitätsklinikums Frankfurt, welche in das TraumaRegister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (TR-DGU) gemeldet wurden, dahingehend untersucht, ob ein Überlebensvorteil für die mittels Rettungshubschrauber zum Universitätsklinikum transportierten Patienten nachweisbar war. Methodisch wurde hierzu zunächst ein univariater Vergleich durchgeführt, gefolgt von einer multiplen logistischen und multiplen linearen Regression.

Wie sehen nun die Ergebnisse aus? Von den im Titel der Arbeit genannten 1.724 Patienten wurden nur 183 (11%) Patienten mit dem RTH ins Universitätsklinikum eingeliefert! Die per RTH eingelieferten Patienten unterschieden sich in folgenden Parameter signifikant von den bodengebundenen eigelieferten Patienten:

Also beim ersten Blick auf die Mortalität ein klarer Überlebensvorteil beim Einsatz des RTH.

Bei der multiplen logistischen Regression ergab sich für den Transport mit dem RTH ein Überlebensvorteil mit einem p-Wert von 0,014. Alle anderen in der Regression erfassten Variablen (Alter, GCS, RRsyst, Schädelhirntrauma mit AIS≥3, Verletzungsschwere mit ISS>9) zeigten jedoch im Vergleich zum RTH-Transport hochsignifikante p-Werte (p<0,001, bzw. SHT p=0,003). In diesem Model hat also der RTH-Transport den „kleinsten“ statistischen Einfluss auf das Überleben, jedoch immerhin statistisch signifikant.

Ähnlich sieht es bei der multiplen linearen Regression aus. Hier ist der RTH-Transport mit einem p=0,043 als Einflussfaktor auf das Überleben gerade an der Signifikanzgrenze. Alle anderen betrachteten Faktoren (Alter, GCS, RRsyst, SHT, Thoraxtrauma, Abdominaltrauma, Extremitäten-Trauma mit jeweils von einem AIS ≥3 und Gesamt -ISS >9) scheinen jedoch mit p-Wert ≤0,001 (Ausnahmen: Thoraxtrauma mit einem p=0,011 und der ISS >9 mit einem p=0,002) einen deutlich größeren Einfluss zu haben. Auch in diesem statistischen Model ist der Einfluss des RTH-Transportes auf das Überleben gerade noch nachweisbar.

Ferner stellen die Autoren im Ergebnisteil – leider ohne Angabe von Daten – fest, dass jegliche prähospitale Intervention am Patienten die Überlebenswahrscheinlichkeit reduziert.

Welche Fragen fallen beim detaillierten Blick auf die Daten auf?

Warum ist die Zuweisungsrate per RTH so extrem gering? 183 Trauma-Patienten per RTH über den Zeitraum von 5 Jahren bedeutet, dass weniger als ein (schwer)verletzter Patient pro Woche per RTH zugewiesen wird.

  • Wieso sind die per RTH zugewiesenen Patienten offensichtlich deutlich weniger vom Trauma beeinträchtigt als die bodengebunden transportierten Patienten (siehe Tabelle oben)?
  • Wieso ist die Intubationsrate in der RTH-Gruppe mit 8% so niedrig, insbesondere im Vergleich zur bodengebundenen Gruppe mit 30%?
  • Wieso erhalten in der RTH-Gruppe nur 21% der (schwer)verletzten Patienten eine „Sedierung“ (korrekterweise sollte es Analgosedierung heißen)?
  • Wieso wird in den Tabellen bei den aufgeführten Körperregionen von ISS ≥3 gesprochen?

Der ISS errechnet sich aus den Quadraten der AIS-Werten der 3 schwerstverletzten Körperregionen. Hier müsste also korrekterweise in den Tabellen AIS ≥3 stehen.

Weiterhin erscheint das in dieser Studie evaluierte Kollektiv der Trauma-Patienten, das per RTH in ein großes universitäres Traumazentrum zugewiesen wird, nicht repräsentativ. Ein möglicher Grund hierfür mag die Tatsache sein, dass der in Frankfurt vom Bundesministerium des Inneren (BMI) betriebenen RTH „Christoph 2“ ärztlich vom BG Unfallkrankenhaus Frankfurt besetzt wird. Somit ist zu vermuten, dass ein Großteil der durch den RTH versorgten Traumapatienten und besonders die Schwerverletzten in diese Klinik transportiert wurde.

Auch das Ergebnis, dass jegliche präklinische Intervention die Mortalität erhöht, verwundert und könnte eigentlich zur Abschaffung des Notarztsystems herangezogen werden, da laut Studie, die Patienten die besten „Chancen“ hatten, welche ohne Intervention mit kurzer präklinischer Zeit in das Uniklinikum transportiert wurden. Hierzu muss man aber feststellen, dass bei den im Untersuchungszeitraum von 5 Jahren per RTH aufgenommenen (schwer)verletzten Patienten gerade einmal 15 invasive Maßnahmen präklinisch vorgenommen wurden: 14 endotracheale Intubationen und eine einzige Thoraxdrainage. Eine unglaublich geringe Anzahl, was die Validität dieser Aussage natürlich sehr in Frage stellt.

Zusammenfassend muss also leider konstatiert werden, dass die vorliegende Arbeit die Frage, ob der Einsatz des RTH einen Überlebensvorteil für den Trauma-Patienten bringt, nicht beantworten kann, so sehr man sich das auch wünscht.

4 thoughts on “Bringt der Einsatz eines RTH dem Trauma-Patienten einen Überlebensvorteil?

  1. Team! Danke -überhaupt- für den intelligenten Input. Danke für die hier aufgeführten Schlussfolgerungen! Und; Danke für die Diskussion. Sehr uneitel – und gerade deswegen; ziemlich sexy!

    1. Vielen Dank für das Lob!
      Natürlich sind wir auch vom RTH überzeugt, aber diese Arbeit „stärkt“ den Einsatz der Luftrettung nicht, auch wenn es die Intention gewesen sein mag.

  2. Bedeutet das nicht, das die Patienten im Heli nicht so schwer betroffen waren wie die bodengebunden transportierten.

    1. Genau das ist das Problem, ein Blick auf die abgebildete Tabelle lässt vermuten, dass die RTH-Patienten weniger schwer betroffen waren

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