Nun zum zweiten Teil der sehr interessanten und absolut lesenswerten Übersichtsarbeit von Frau Prof. Spitzweg und Kollegen zum Thema Schilddrüsennotfälle :
Spitzweg C et al. Schilddrüsennotfälle. Thyreotoxische Krise und Myxödemkoma. Internist 2017, online.
Myxödemkoma:
- seltene Komplikation einer schweren Hypothyreose
- hohe Letalität von 20-25%
- „Koma“ liegt dabei selten vor (misleading wording)
- Diagnose gehäuft in Wintermonaten gestellt (s. Kälteexposition als Auslöser)
- häufiger ältere Frauen betroffen
- Ursache:
- zusätzliche (dann auslösende parallel vorliegende) Erkrankung (z.B. Infektionen, Herzversagen, zerebrovaskuläre Ereignisse, Trauma, Operation) bei eine meist schon länger bestehende, unerkannte Hypothyreose)
- zusätzliche Auslöser: Kälte, Narkotika (Opioide), Sedativa
- Ursache der zurgrundeliegenden Hypothyreose: Hashimoto-Thyreoditis, Strahlenthyreoiditis, 5% sekundäre Hypothyreose bei Hypophyseninsuffizienz, u.a.
- Symptomatik:
- Hypothermie
- neuropsychiatrische Symptome: Desorientiertheit, Halluzinationen, Depression, Vergesslichkeit bis Amnesie, Lethargie bis hin zum Koma sowie auch Kleinhirnsymptome (z.B. Ataxie, Adiadochokinese)
- Epilepsie
- Hyponatriämie
- klassisches Myxödem (aufgedunsenes Gesicht, geschwollene Hände, große Zunge, trockene, raue, kühle Haut)
- kardiovaskuläre Symptome: verlängerte QT-Zeit, Sinusbradykardie, AV-Block, diastolische Hypertonie, ggf. Hypotonie bei verminderter myokardialer Kontraktilität, vermindertem Schlagvolumen und Herzzeitvolumen, Perikard- und Pleuraergüss
- pulmonale Symptome: alveoläre Hypoventilation mit Hyperkapnie, Gefahr der Bronchopneumonie
- gastrointestinale Symptome: Obstipation bis hin zu paralytischem Ileus und Magenatonie
- cave: gleichzeitig auf auslösende Erkrankung achten (s.o.)
Diagnose:
- V.a. Myxödemkoma bei Patienten, die sich mit klassischen neuropsychiatrischen Symptomen mit gleichzeitiger Hypothermie, Hyponatriämie und/oder Hyperkapnie präsentieren
- klinischer Hinweis auf ein Myxödemkoma bei eingeschränkter Ansprechbarkeit:
- Thyreoidektomienarben
- Fremdanamnese/Arztbriefe mit Radiojodtherapie oder Hypothyreose, meist im Rahmen einer chronischen lymphozytären Thyreoiditis
- TSH erhöht und fT4 erniedrigt, Cave: schilddrüsenspezifische Antikörper sind in der Akutdiagnostik bedeutungslos
- weitere Laborwerte: Hyponatriämie (bei 50% d. Patienten vorliegend –> neuropsychiatrische Symptome), Hypoglykämie, LDH- und CK-Erhöhung
Therapie:
- Schilddrüsenhormonsubstitution:
- L-Thyroxin Startdosis 200–400 μg i.v. am 1. Tag, Erhaltungsdosis 1,6 μg/kg KG pro Tag entweder oral oder i.v. (Expertenmeinung und in amerikanischen Leitlinien beinhaltet)
- Ggf. zusätzlich L-T3 Startdosis 5–20 μg i.v., Erhaltungstherapie 2,5–10 μg alle 8 h
- Glukokortikoidsubstitution:
- Hydrocortison 200 mg/Tag (Stressdosis)
- Supportive intensivmedizinischeMaßnahmen:
- Intubation und Beatmung: möglichst frühzeitige Beatmung, unter Berücksichtigung eines nicht zu schnellen Ausgleichs der Hyperkapnie (Ausgleich Hyperkapnie und Hypoxie, Therapie einer Bronchopneumonie –> wenn vorliegt: Beginn einer Antibiose)
- Hypoglykämie: initial 50 ml einer 50%-igen Glukoselösung i.v., dann weiter nach Blutglukosewerten
- Hyponatriämie (Folge einer Wasserretention): alleinige Wasserrestriktion, kein schneller Ausgleich (Gefahr der pontinen Myelinolyse), also keine hochprozentige Natriuminfusionslösung notwendig (denn bei wiederhergestellter Schilddrüsenhormonwirkung an der Niere wird Natrium wieder rückresorbiert)
- Hypothermie:
- bei <31°C: langsame aktive Erwärmung durch Dialyse, angewärmte Infusionen etc., aber nicht mehr als 0,5 °C/h
- bei > 31 °C: nur passive Erwärmung durch warme Decken
- Hypotonie:
- Hydrocortison 200 mg/Tag über die ersten Tage, danach langsam reduzieren
- Katecholamine und Digoxin sind weniger wirksam; es besteht eine erhöhte Gefahr von Herzrhythmusstörungen
- Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung/auslösenden Ursache
Zur Hypothyreose siehe auch diese Post: Schlimm oder nicht schlimm ?