Hypo- und Hyperglykämie und die Behandlung des ketoazidotischen oder hyperglykämischen Komas gehören zum Handwerkszeug jedes Notfallmediziners. Um so besser, dass Kalscheuer und Kollegen jetzt in „Der Internist“ eine wirklich lesenswerte Übersichtsarbeit genau zu diesen Themenkomplexen geschrieben haben:
Kalscheuer H et al. Diabetologische Notfälle Hypoglykämie, ketoazidotisches und hyperglykämisches Koma. Internist 2017; 58:1020–1028
Hier eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:
- Hypoglykämie:
- binnen vier Wochen berichten 83% der Patienten mit Typ 1 Diabetes mellitus (T1DM) und 46% mit Typ 2 Diabetes mellitus (T2DM) von einer Hypoglykämie, davon in 14% in einem solch schwerem Ausmass, dass Hilfe von aussen notwendig wurde
- drei Studien (ACCORD, ADVANCE, VADT) haben gezeigt, dass eine zu strenge Glucoseeinstellung mit niedrigem HbA1c das Risiko für Hypoglykämien steigert und die kardiovaskuläre Mortalität erhöht.
- Definition Hypoglylkämie ist unklar/uneinheitlich
- leichte Hypoglykämie kann von Patient selbst behandelt werden
- bei schwerer Hypoglykämie benötigt der Patient von außen Hilfe
- andere Unterteilung in asymptomatische, symptomatische und schwere Hypoglykämie
- Pseudohypoglykämie: bei chronisch hyperglykämischen Patienten können bereits normwertige Glucosewerte zu hypoglykämischen Symptomen führen
- Grenzwert liegt bei 70 mg/dl [3,8 mmol/l] (Umrechnung mg/dl in mmol/l = Faktor 18)
- Symptome der Hypoglykämie: Herzrasen, Unruhe, Schwitzen, Heißhunger, Konzentrationsprobleme, Verwirrtheit, Krampfanfälle, Bewusstseinsstörung
- cave: gestörte Hypoglykämiewahrnehmung bei T1DM
- cave: ß-Blocker können beim T2DM die Hypoglykämiewahrnehmung stören
- cave: C2-Konsum und Insulintherapie (Mechanismus der Hypoglykämiegegenregulation fehlt (bei 4% aller alkoholintoxikierter Patienten in der Notaufnahme liegt auch eine Hypoglykämie vor)
- Ursachen von Hypoglykämien: u.a. Insulinsekretanaloga, Insulin, andere Medikamente der Diabetestherapie, ß-Blocker, ACE-Hemmer, Lebererkrankungen (z.B. fortgeschrittene Leberzirrhose), Nebennierenrindeninsuffizienz, Dumping-Syndrom
- Nebenwirkung einer Hypoglykämie: arrhythmogenes Potential, ggf. Blutdruckentgleisungen, Hypokaliämien, verlängerte QT-Zeit
Exkurs Glucosestoffwechsel:
- endogene Glycogenolyse und Gluconeogenese in der Leber, geringe Gluconeogenese auch in Niere
- sinkende Glucosewerte hemmen die Insulinsekretion aus den ß-Zellen des Pankreas
- hepatische Gluconeogenese wird dann gehemmt und endogene Glucoseproduktion steigt
- Subtrat der Gluconeogenese: Produkte der Lipolyse und der Proteolyse in Fett- und Muskelgewebe
- Abfall des Insulinspiegels stimuliert Sekretion des Glucagon: Glycogenolyse in der Leber wird stimuliert
- Fällt der Glucosespiegel weiterhin werden folgende Hormone freigesetzt: Kortison, Adrenalin, Noradrenalin und Wachstumshormon (sympthatoadrenerge Gegenregulierung)
Therapie bei Hypoglykämie:
- 20 g Traubenzucker p.o. bei vigilanten Patienten
- Glukagonbolus bei Träger eine Glukagonpumpe (ggf. bereits durch trainierte Angehörige
- bei vigilanzgestörten Patienten: 20 g Glucose (= 50 ml G40%; auf sichere periphervenösen Zugang achten, denn cave bei Paravasat droht Weichteilnekrose), bei Restitution der Vigilanz: orale Glucoseaufnahme, sonst Glucoseinfusion
- cave: gerade bei Sulfonylharnstoffen und langwirksamen Insulinen ist eine stationäre Aufnahme und Überwachung aufgrund von prolongierten Hypoglykämien von bis zu 72 h zu prüfen
Wow toller Artikel, so habe ich das noch garnicht gesehen! Viele Grüße aus Berlin!