Prähospitale Bluttransfusion als Überbrückung bis zur definitiven Blutungskontrolle im Krankenhaus

Ein Gastbeitrag von Sebastian Weber, Ulm             Verbluten ist eine der führenden vermeidbaren Todesursachen nach Trauma. Externe Blutungen können in der prähospitalen Versorgung gut durch manuelle Kompression oder Anwendung des Tourniquets gestoppt werden. Im Gegensatz dazu können innere Blutungen, sog. non-compressible torso hemorrhage (NCTH), prähospital schlecht oder nur mit fortgeschrittenen, invasiven Techniken zumindest temporär kontrolliert werden. Hierfür bedarf es einer raschen definitiven Blutungskontrolle. Definitive Verfahren zur Blutungskontrolle (chirurgisch-operativ, endoskopisch und/oder endovaskulär) können jedoch ausschließlich im Krankenhaus durchgeführt werden. In der prähospitalen Versorgung stehen deshalb die temporäre Blutungskontrolle in Verbindung mit Aufrechterhaltung bzw. Stabilisierung des Kreislaufs hämorrhagischer Patient: innen im Vordergrund, um den Transport in eine geeignete Zielklinik zu ermöglichen. Die Rolle der prähospitalen Bluttransfusion als Therapiesäule des hämorrhagischen Schocks ist hierbei von besonderem Interesse aktueller wissenschaftlicher Forschung in der  Notfallmedizin.

Weilbacher et al. vom Universitätsklinikum Heidelberg haben dazu kürzlich eine Auswertung ihrer Erfahrungen zur prähospitalen Bluttransfusion durch das dort eingesetzte sog. Medical Intervention Car (MIC) in Frontiers in Medicine veröffentlicht.

 Weilbacher, F. et al.

Prehospital blood transfusion—experience from a specialized prehospital response vehicle—a retrospective cohort study.

Front. Med. 12, 1666713 (2025)

Methodik
Studiendesign
Retrospektive, monozentrische Kohortenanalyse im Versorgungsbereich eines spezialisierten, ärztlich besetzten Rettungsfahrzeuges (sog. MIC= „Medical Intervention Car“) in Deutschland (Heidelberg) im Zeitraum vom 19. August 2019 bis 30. September 2024.

Es wurden alle Patient: innen, die im Beobachtungszeitraum durch das MIC versorgt worden sind UND prähospital mind. ein Erythrozytenkonzentrat erhielten, in die Auswertung eingeschlossen. Patient: innen aus Sekundäreinsätzen wurden ausgeschlossen.

57 Patient: innen mit Hämorrhagie erhielten im Studienzeitraum prähospital eine Bluttransfusion. Der Stichprobenumfang entspricht etwa 11 Bluttransfusionen pro Jahr in diesem Anwendungsbereich.

  • 79 % (n= 45) traumatische Ursache, 21 % (n= 12) nicht-traumatische Ursache
  • 81 % (n= 46) männlich
  • Trauma-Kohorte: 51 % (n= 23) stumpfes Trauma, 49 % (n= 22) penetrierend; 56 % (n= 25) befanden sich in einem traumatischen Herz-Kreislauf-Stillstand (TCA)
  • Nicht-Trauma-Kohorte: 58 % (n= 7) GI-Blutung, 42 % (n= 5) OHCA mit eCPR

Ergebnisse

  • Patienten, die das Krankenhaus erreichten, erhielten häufiger Fibrinogen (90 % vs. 47 %; p = 0.003), Tranexamsäure (93 % vs. 47 %; p < 0.001) und Kalzium (67 % vs. 33 %; p = 0.028) als diejenigen, die am Einsatzort verstarben
  • Es besteht eine signifikante Korrelation zwischen einem niedrigeren pH-Wert bzw. höheren Blutzuckerlevel bei Aufnahme und einem verlängerten Transfusionsbedarf in den ersten 24 h nach Krankenhausaufnahme
  • 67 % (n= 30) in der Trauma-Kohorte erreichten das Krankenhaus, davon überlebten wiederum 63 % (n= 19) bis zur Krankenhausentlassung
  • 18 % (n= 4) der Patient: innen mit traumatischen Herz-Kreislauf-Stillstand (TCA) überlebten bis zur Krankenhausentlassung (im Vergleich: 5 % TCA-Überlebensrate aus Daten des Deutschen Reanimations- bzw. Traumaregisters; CAVE: deutlich geringere Fallzahl in vorliegender Studie)
  • 83 % (n= 10) in der Nicht-Trauma-Kohorte erreichten das Krankenhaus, davon überlebten wiederum 33 % (n= 3) bis zur Krankenhausentlassung mit gutem neurologischen Outcome
  • Die mittlere Anzahl transfundierter Erythrozytenkonzentrate betrug 4 Einheiten
  • 50 % der Patient: innen in der Trauma-Kohorte, die präklinisch eine Bluttransfusion erhielten und das Krankenhaus erreichten, brauchten in den ersten 24 h keine weitere Bluttransfusion
  • Keine mit der Transfusion assoziierten unerwünschten Ereignisse

Limitationen

  • Retrospektives Design
  • Geringe eingeschlossene Fallzahl (n= 57) → hypothesengenerierend
  • Geringe Generalisierbarkeit, da ressourcenintensiv (Ausbildung, Logistik, Material)

Schlussfolgerung(en)

  • Der strukturierte und frühzeitige präklinische Einsatz von spezialisierten Rettungsteams (hier: MIC-Team) kann die Versorgung von Patient: innen mit traumatischer und nicht-traumatischer Hämorrhagie verbessern.

  • Spezialisierte prähospitale Rettungsteams können das Überleben in der frühen Versorgungsphase beeinflussen und somit die Chance auf eine definitive Blutungskontrolle im Krankenhaus ermöglichen.

  • Prähospitale Bluttransfusionen sollten nicht isoliert, sondern im Kontext eines erweiterten (invasiven) Behandlungsspektrums (z.B. Gefäßzugänge, REBOA, PERT) betrachtet werden.

  • Die reversible Ursachen (SHOT) des traumatischen Herz-Kreislauf-Stillstandes (TCA) müssen standardisiert und konsequent abgearbeitet werden. Hypovolämie muss hierbei explizit beachtet und behandelt werden.

  • Klinische Teams, die solche komplexen Patient:innen zur Weiterversorgung (im Schockraum) übernehmen, müssen darauf vorbereitet sein („Code RED“).

  • Standardisierte Handlungsprotokolle sind für die prähospitalklinische Bluttransfusion und weitere (begleitende) invasive Interventionen (eCPR, REBOA, PERT) bzw. Substitutionstherapien (Fibrinogen, Kalzium, Tranexamsäure) unbedingt erforderlich und entscheidend. Dies verbessert die Vergleichbarkeit und ermöglicht wissenschaftliche Analysen, um in der Zukunft eine nationale Handlungsempfehlung für die prähospitale Bluttransfusion in Deutschland entwickeln zu können.

  • Aktuell ist es nicht möglich, auf Grundlage bestehender empirischer Verfahrensanweisungen (Standard Operating Procedures) definitive, allgemeingültige Handlungsempfehlungen abzuleiten. Weitere prospektive Studien sind zu diesem Thema erforderlich, um Wirksamkeit und Sicherheit zu bewerten.

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