Ein Gastbeitrag von Ferdinand Maier, Ulm Durch die Einleitung einer Narkose kann es zu einem Blutdruckabfall (Postintubationshypotonie, PIH) kommen. Ursächlich dafür sind sowohl eine Vasodilatation bedingt durch die verwendeten Anästhetika als auch eine Vorlastsenkung aufgrund der Überdruckbeatmung. Die Inzidenz der PIH wird bei Traumapatienten mit bis zu 60% angegeben. Trotz der Häufigkeit einer endotrachealen Intubation (ETI) bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma sind die Prävalenz sowie potenzielle Präventionsmaßnahmen für eine PIH bei dieser Patientengruppe unbekannt.
Darüber hinaus wird das Problem durch verschiedene Medikamente zur Durchführung einer Rapid Sequence Induction (RSI), die sich jeweils unterschiedlich auf die Hämodynamik auswirken können, sowie durch ein Fehlen standardisierter RSI-Techniken weiter aufrechterhalten.
Dabei ist die Hypotonie ein bekannter Risikofaktor für eine erhöhte Sterblichkeit bei Traumapatienten und Patienten mit einem isolierten Schädel-Hirn Trauma (SHT, engl: traumatic brain injury – TBI), weshalb die Frage nach der optimalen Kreislaufunterstützung vor einer ETI zunehmend bedeutsam wird.
Aus diesem Grund führten Anand et al. eine prospektive single-center Beobachtungsstudie bei allen erwachsenen Traumapatienten mit isoliertem SHT und der Notwendigkeit einer ETI durch, die zwischen 2019 – 2022 an einem Level-1 Traumazentrum behandelt wurden:
Anand T, Hejazi O, Conant M, Joule D, Lundy M, Colosimo C, Spencer A, Nelson A, Magnotti L, Joseph B.
Impact of resuscitation adjuncts on postintubation hypotension in patients with isolated traumatic brain injury
Die Studie zielte darauf ab, Prävalenz, Risikofaktoren und Hilfsmittel zur Prävention oder Minimierung einer PIH zu bestimmen.
Methoden:
Einschlusskriterien:
- Alter > 18 Jahre mit isoliertem stumpfen SHT (diagnostiziert in der Computertomographie (CT))
- Fehlen von schweren extrakraniellen Verletzungen (andere Körperregionen mit einem Abbreviated Injury Scale (AIS) < 3
- Notwendigkeit einer ETI
Ausschlusskriterien:
- Patienten mit Herzstillstand bei Einlieferung
- Patienten, die nicht mit folgenden Medikamenten eine RSI erhalten haben: Etomidat, Propofol, Ketamin, Succinylcholin, Rocuronium
Die Blutdruckmessungen wurden von 15 Minuten vor bis 15 Minuten nach ETI dokumentiert. Für die Analyse wurden die Patienten in 2 Gruppen eingeteilt: Diejenigen, die eine PIH entwickelt haben und solche, die keine PIH (No-PIH) entwickelt haben.
Eine PIH wurde wie folgt definiert:
- (A) Abfall des systolischen Blutdrucks (SBP) auf 80 mmHg oder weniger oder ein Abfall des SBP um ≥ 20 % gegenüber dem Ausgangswert
- (B) Rückgang des mittleren arteriellen Blutdrucks (MAP) auf ≤ 60 mmHg
- (C) bei Patienten mit bestehender Hypotonie (SBP ≤ 90 mmHg vor ETI) mit zusätzlicher Senkung des SBP ≥ 5 mmHg
- (D) Verabreichung oder Erhöhung der Infusionsrate von Vasopressoren
Ergebnisse
Patientencharakteristika
Insgesamt wurden 490 Patienten eingeschlossen:
- Männlicher Anteil 70,6%
- Durchschnittsalter ± SD 42 ± 22 Jahren
- 304 (62%) Patienten mit PIH, alle mit erfolgreicher ETI
- 186 (38%) Patienten ohne PIH
- zum Zeitpunkt der ETI trat kein Herzkreislaufstillstand auf
Zwischen den beiden Studiengruppen gab es hinsichtlich Alter, Geschlecht, Ethnie und Body-Mass-Index (BMI) keinen statistisch signifikanten Unterschied.
Patientencharakteristika vor ETI (PIH-Gruppe vs. No-PIH Gruppe):
- niedrigerer SBP (Mittelwert, 122 vs. 139 mmHg, p < 0,001)
- höherer Schock-Index (Herzfrequenz geteilt durch SBP) mit 0,9 vs. 0,7; p < 0,001
- niedrigerer Glasgow-Coma-Scale (GCS) (Median, 4 vs. 8, p < 0,001)
- höherer AIS (Median, 5 vs. 4, p < 0.001)
Herzkreislaufstillstand und Mortalität (PIH-Gruppe vs. No-PIH Gruppe):
- höhere Rate an präklinischem Herzkreislaufstillstand (65 Patienten (21%) vs. 15 Patienten (8,1%), p < 0,001)
- höhere Rate an Herzkreislaufstillstand nach ETI (46 Patienten (15,1%) vs. 2 Patienten (1,1%), p < 0,001)
- höhere 24-Stunden Mortalität (50 Patienten (16,4%) vs. 15 (8,1%) Patienten, p = 0,008)
- höhere Krankenhaus Mortalität (130 (42,8%) Patienten vs. 42 Patienten (22,6%), p < 0,001)
Infusion/Transfusion vor ETI (PIH-Gruppe vs. No-PIH Gruppe):
- keinen Unterschied in der Infusionsmenge normaler Kochsalzlösung (Mittelwert, PIH 156 ml ± 422 vs. No-PIH 193 ml ± 546, p = 0,398)
- weniger häufig hypertone Kochsalzlösung 3%ig (HTS) erhalten (PIH 27% vs. No-PIH 38.7%; p = 0.007) und geringere Infusionsmenge (± SD, 111 ml ± 206 vs. 150 ml ± 209, p = 0,02)
- häufiger Erythrozytenkonzentrate (EK) erhalten (PIH 18,8% vs. No-PIH 7,5%, p < 0,001)
Katecholamingabe (PIH-Gruppe vs. No-PIH Gruppe):
- häufigere Gabe von Vasopressoren (37 Patienten (12,1%) vs. 12 Patienten (6,5%), p = 0,04), davon am häufigsten Adrenalin (32 Patienten (10,5%) vs. 10 Patienten (5,4%), p = 0,048)
Intubationsmedikamente:
- es gab keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Art und Dosierung der Medikamente (Etomidat, Propofol, Ketamin, Succinylcholin, Rocuronium)
- am häufigtsen wurden Etomidat (88%) und Succinylcholin (83,3%) verwendet
Anwendung einer multivariaten Regressionsanalyse:
- Vasopressoren und HTS vor ETI waren signifikant mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer PIH-Entwicklung unabhängig vom Schweregrad des SHT verbunden (adjusted Odds Ratio (aOR) , 0,310; 95% Konfidenzintervall (KI), 0,102-0,944; p = 0,039 und aOR, 0,393; 95% KI, 0,219-0,706; p = 0,002)
- Die Verabreichung von kristallinen Lösungen und die Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten vor ETI zeigten keinen protektiven Effekt auf eine PIH (aOR, 1,474; 95% KI, 0,730-2,977; p = 0,279 und aOR, 1,350; 95% KI, 0,747-2,443; p = 0,320)
- Auch in den Subgruppenanalysen (Ausschluss aller Patienten mit präklinischem Herzkreislaufstillstand und Entwicklung einer PIH sowie Patienten, die nach PIH Definition A + B und C + D untersucht wurden) war die Gabe von Vasopressoren und HTS vor ETI mit einer signifikant geringeren PIH Entwicklung assoziiert
Bei Patienten in der No-PIH Gruppe war die Wahrscheinlichkeit einer Krankenhausentlassung deutlich höher als bei Patienten mit PIH (29,6 % vs. 10,2 %, p < 0,001 bzw. 24,2 % vs. 15,1 %, p = 0,012).
Schlussfolgerung:
Nahezu zwei Drittel der Patienten mit einem isolierten SHT und Notwendigkeit einer ETI entwickelten eine PIH. Die Gabe von Vasopressoren und HTS war mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für Entwicklung einer PIH verbunden. Die Gabe von Kristallinen (normale Kochsalzlösung) und EKs hatten keinen protektiven Effekt auf das Auftreten einer PIH. Aufgrund der schädlichen Auswirkungen einer vorübergehenden Hypotonie sind das frühzeitige Erkennen und Präventivmaßnahmen von größter Bedeutung. Es sind weitere Studien erforderlich, um ein besseres Verständnis der PIH-Inzidenz bei Traumapatienten in anderen Zentren zu bekommen.