Tranexamsäure und intracranielle Blutung

Ein Gastbeitrag von H. Lier, Köln.          Weltweit erleiden pro Jahr rund 3,4 Millionen Patienten eine intrakranielle Blutung (ICB); dies führt jährlich zu rund 2,89 Mio. Todesfällen [10]: damit ist die ICB ist für etwa 5% der jährlichen Todesfälle weltweit [5] verantwortlich. Bei einer ICB korreliert das Ausmaß der Hämatomzunahme unabhängig sowohl mit dem Grad der funktionellen Behinderung als auch mit der Sterblichkeit [10]. Theoretisch könnte Tranexamsäure (TXA) als Antifibrinolytikum ein geringere Hämatomzunahme bewirken.

2020 erschien die prospektive, doppel-blinde, randomisierte, Placebo-kontrollierte STOP-AUST-Studie, die an 13 Schlaganfallzentren in Australien, Finnland und Taiwan die Gabe von TXA vs. Placebo an 100 Patienten innerhalb von 4,5 Stunden nach Symptombeginn untersuchte [5]. Es fand sich kein signifikanter Unterschied in Anzahl oder mittleren Hämatomzunahme innerhalb von 24h, funktioneller Beeinträchtigung in 3 Monaten, thrombembolischen Komplikationen oder Tod in 7 bzw. 90 Tagen. Tatsächlich waren die „odds ratios“ (OR) für Versterben bei TXA größer als 1, d.h. TXA tendenziell (aber nicht signifikant) schlechter (Tod nach 7d: Placebo 4/50 Pat. [8%] vs. TXA 6/50 Pat. [12%] ® OR 1,43 [95%CI 0,29–7,12], p=0,66; Tod nach 90d: placebo 8/50 [16%] vs. TXA 13/50 [23%] ® OR 2,38 [95%CI 0,66–8,67], p=0,19). Lediglich in der Subgruppe mit Therapiebeginn innerhalb von ≤ 3h gab es einen positiven Trend (OR 0,44 [95%CI 0,16–1,19]; p=0,10).

Aufgrund dieses positiven Trends bei frühem Therapiebeginn hat die Autorengruppe eine neue Studie (STOP-MSU) durchgeführt, die die Gabe von TXA innerhalb von 2h nach Symptombeginn untersucht [10]:

Yassi N et al.

Tranexamic acid versus placebo in individuals with intracerebral haemorrhage treated within 2 h of symptom onset (STOP-MSU): an international, double-blind, randomised, phase 2 trial.

Lancet Neurol 2024 – online ahead of print

Setting:

  • prospektiv, doppel-blind, randomisiert, Placebo-kontrolliert
  • 24 Krankenhäuser und 1 mobile “stroke unit“ in Australien, Finnland, New Zealand, Taiwan und Vietnam
  • 201 Patienten mit akuter, spontaner ICB und Therapiebeginn innerhalb von 2h nach Symptombeginn

Intervention:

  • 1g TXA über 10 Min + 1g TXA über 8h (n=103) vs. Placebo (NaCl 0,9%; n=98)

Ergebnis:

  • kein Unterschied in der Anzahl der Patienten mit Hämatomzunahme: Placebo 37/97 Pat. (38%) vs. TXA 43/101 Pat. (43%) ® OR 1,31 (95%CI 0,72 bis 2,40), p=0·37
  • kein Unterschied in der absoluten Hämatomzunahme in ml: Placebo 1,2 (–0,2 bis 7,6; n=91) vs. 1,2 (0,1 bis 9,3; n=99)
  • kein Unterschied im neurologischen Ergebnis nach 90 Tagen [mRS-Score]: Placebo 4 (2 bis 5) vs. TXA 3 (2 bis 5) ® OR 0,83 (95%CI 0,60 bis 1,14)
  • kein Unterschied bei Sterblichkeit
    • nach 7d: Placebo 8/98 Pat. (8%) vs. TXA 8/103 Pat. (8%) ® OR 1,08 (95%CI 0,35–3,35)
    • nach 90d: Placebo 15/98 Pat. (15%) vs. TXA 19/103 Pat. (18%) ® OR 1,61 (95%CI 0,65–3,98)
  • kein Unterschied bei schweren thromboembolischen Komplikationen (Schlaganfall, Herzinfarkt, Lungenembolie): Placebo 1/98 Pat. (1%) vs. TXA 3/103 Pat. (3%)

Schlussfolgerung der Autoren: “The evidence to date does not support the use of tranexamic acid in intracerebral haemorrhage. Results of larger ongoing phase 3 trials and future individual patient meta-analyses will be required for definitive recommendations.”

 

Kommentar:

Eine Meta-Analyse aus 25 Publikationen mit insgesamt 20.146 Patienten (veröffentlicht bis August 2022) [9] differenzierte

  • bei ICB (3 bzw. 4 Studien): etwas reduzierte Hämatomzunahme, aber keinen signifikanten Unterschied in neurologischem Ergebnis oder Sterblichkeit;
  • bei subarachnoidaler Blutung (3 bis 9 Studien): keinen signifikanten Unterschied in neurologischem Ergebnis oder Sterblichkeit sowie keinen signifikanten Unterschied im Auftreten von tiefen Beinvenenthrombosen (aber OR 1,08; 95%CI 0,51-2,30) oder ischämischem Schlaganfall / TIA (aber OR 1,20; 95%CI 0,83-1,72);
  • bei Schädel-Hirn-Trauma (SHT) (3 bis 6 Studien): reduzierte Hämatomzunahme, aber keinen signifikanten Unterschied in neurologischem Ergebnis oder Sterblichkeit sowie keinen signifikanten Unterschied im Auftreten von Lungenembolien (aber OR 1,22; 95%CI 0,45-3,27) oder Krampfanfällen (aber OR 1,11; 95%CI 0,92-1,36).

Die Betrachtung der derzeit-vorliegenden Daten aus randomisiert-kontrollierten Studien zu TXA bei ICB ergibt kein einheitliches Bild (siehe Abb.):

grün: Vorteil durch TXA; rot: Nachteil durch TXA; gelb: kein Unterschied. STOP-AUST [5]; STOP-MSU [10]; TICH-2 [8]; TICH-NOAC [7]; TRAIGE [3].

Die aktuelle Meta-Analyse von ausschließlich randomisiert-kontrollierten Studien zu TXA bei SHT mit 11.299 Patienten aus 11 Studien (veröffentlicht bis 31. Sept 2023) [11] schlussfolgert, das durchgehende Fehlen einer reduzierten Sterblichkeit und das durchgehend schlechte klinisch-neurologische Ergebnis behindern die Anwendung von TXA bei SHT, eine frühzeitige Gabe könne ggf. die Hämatomzunahme positiv beeinflussen.

Eine mögliche Erklärung dieser unterschiedlichen Ergebnisse zeigte bereits 2022 eine Untersuchung bei isoliertem SHT [6]: die, vom Polytrauma bekannten, unterschiedlichen Aktivierungsgrade der Gerinnung (Hypo– vs. Hyperfibrinolyse) sind auch beim (isolierten) SHT vorhanden, aber mit erheblichen zeitlichen Überschneidungen. Ein Antifibrinolytikum wie TXA kann somit nur in einem sehr kurzen Zeitfenster sinnvoll wirken; wann genau im Einzelfall dieses Zeitfenster auftritt, ist unklar. Auch scheinen Patienten mit SHT eine höhere Rate des Phänotyps „fibrinolytic shutdown“ zu haben als solche ohne SHT (25% vs. 18%; p<0,0001 bei [4]; 68,7% vs. 63,5%, p=0,054 bei [2]; 65,3% bei [1]; CAVE: jeweils einmalige Blutabnahme bei Aufnahme im Krankenhaus).

Schlussfolgerung: Nach gegenwärtiger Erkenntnis verbessert TXA bei ICB / SHT weder das Überleben, noch das neurologische Ergebnis. Sowohl für die Häufigkeit einer Hämatomzunahme, wie auch für das absolute Hämatomausmaß gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Das Auftreten thromboembolischer Nebenwirkungen ist nicht auszuschließen. Bei isoliertem SHT sollte aktuell keine TXA verabreicht werden. Bei schockierten, polytraumatisierten Patienten, die u.a. auch ein SHT haben, soll TXA gegeben werden.

 

Literatur

  1. Durbin S, Brito A, Johnson A et al. (2024) Association of fibrinolysis phenotype with patient outcomes following traumatic brain injury. J Trauma Acute Care Surg 96:482-486. DOI: 10.1097/TA.0000000000004122.
  2. Favors L, Harrell K, Miles V et al. (2024) Analysis of fibrinolytic shutdown in trauma patients with traumatic brain injury. Am J Surg 227:72-76. DOI: 10.1016/j.amjsurg.2023.09.034.
  3. Liu J, Nie X, Gu H et al. (2021) Tranexamic acid for acute intracerebral haemorrhage growth based on imaging assessment (TRAIGE): a multicentre, randomised, placebo-controlled trial. Stroke Vasc Neurol 6:160-169. DOI: 10.1136/svn-2021-000942.
  4. Meizoso JP, Moore HB, Moore EE et al. (2022) Traumatic brain injury provokes low fibrinolytic activity in severely injured patients. J Trauma Acute Care Surg 93:8-12. DOI: 10.1097/TA.0000000000003559.
  5. Meretoja A, Yassi N, Wu TY et al. (2020) Tranexamic acid in patients with intracerebral haemorrhage (STOP-AUST): a multicentre, randomised, placebo-controlled, phase 2 trial. Lancet Neurol 19:980-987. DOI: 10.1016/S1474-4422(20)30369-0.
  6. Nakae R, Murai Y, Wada T et al. (2022) Hyperfibrinolysis and fibrinolysis shutdown in patients with traumatic brain injury. Sci Rep 12:19107. DOI: 10.1038/s41598-022-23912-4.
  7. Polymeris AA, Karwacki GM, Siepen BM et al. (2023) Tranexamic Acid for Intracerebral Hemorrhage in Patients on Non-Vitamin K Antagonist Oral Anticoagulants (TICH-NOAC): A Multicenter, Randomized, Placebo-Controlled, Phase 2 Trial. Stroke 54:2223-2234. DOI: 10.1161/STROKEAHA.123.042866.
  8. Sprigg N, Flaherty K, Appleton JP et al. (2018) Tranexamic acid for hyperacute primary IntraCerebral Haemorrhage (TICH-2): an international randomised, placebo-controlled, phase 3 superiority trial. Lancet 391:2107-2115. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)31033-X.
  9. Xiong Y, Guo X, Huang X et al. (2023) Efficacy and safety of tranexamic acid in intracranial haemorrhage: A meta-analysis. PLoS One 18:e0282726. DOI: 10.1371/journal.pone.0282726.
  10. Yassi N, Zhao H, Churilov L et al. (2024) Tranexamic acid versus placebo in individuals with intracerebral haemorrhage treated within 2 h of symptom onset (STOP-MSU): an international, double-blind, randomised, phase 2 trial. Lancet NeurolDOI: 10.1016/S1474-4422(24)00128-5.
  11. Zhang M, Liu T (2024) Efficacy and safety of tranexamic acid in acute traumatic brain injury: A meta-analysis of randomized controlled trials. Am J Emerg Med 80:35-43. DOI: 10.1016/j.ajem.2024.03.005.

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