Editorial: Schacher S. Wellbeing in der Notaufnahme – Wie kann uns unsere Arbeit wieder guttun?

Hier finden Sie als „Teaser“ das Editorial „Wellbeing in der Notaufnahme“ von Schacher et al.

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Wenn es um Arbeiten in der Notaufnahme geht, liest man in den Medien häufig über „Gewalt in Notaufnahmen und an Rettungskräften“. Dies lässt Notaufnahmen als gefährlichen und unattraktiven Arbeitsplatz erscheinen, auch wenn es immer mehr Initiativen zu De-Eskalation und Respekt für Gesundheitsberufe gibt. In den angloamerikanischen Ländern, die ganz ähnliche Probleme haben, versucht man einen anderen Ansatz, der schon früher greifen soll: Die Förderung von „Wellbeing“ – Wohlbefinden am Arbeitsplatz. In Großbritannien hat das Royal College of Emergency Medicine bereits 2019 ein „Wellness Compendium“ für die Notfallmedizin veröffentlicht [1]. Die hier enthaltenen Inhalte haben nichts mit Massagesesseln und Duftkerzen zu tun, sondern es geht darum, in einer herausfordernden Arbeitsumgebung die seelische und körperliche Gesundheit der Mitarbeiter*innen zu erhalten. Denn im Sinne des psychologisch-soziologischen Phänomens der emotionalen Übertragung, auch Gefühlsansteckung genannt, können Mitarbeiter*innen, die ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können (z. B. essen, trinken, Toilettengang, echte Pausen, planbare Arbeitszeiten), auch nicht mehr adäquat auf die Bedürfnisse von Patienten eingehen. So wird manche Frage von Patient*innen als ungerechtfertigte Anspruchshaltung wahrgenommen. Vielfach wird nicht erkannt, dass Menschen ihre Ängste und Sorgen als Wut ausdrücken, da Wut ein „sichereres“ Gefühl als Angst ist. Aggressivität bei Patient*innen kann aus Angst und dem Gefühl des Ausgeliefertseins in der für sie ungewohnten Umgebung Notaufnahme entstehen, verstärkt durch Schmerz und Sorge. So entsteht Stress auf beiden Seiten. Daher sollte uns allen die Förderung von Wellbeing – Wohlbefinden am Arbeitsplatz Notaufnahme – am Herzen liegen. Wellbeing wurde 2021 ins Wörterbuch der Begriffe zur Gesundheitsförderung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen und wird dort als positiver Zustand beschrieben, der Wohlbefinden und Lebensqualität umfasst sowie die Fähigkeit von Menschen und Gesellschaften, einen sinnvollen Beitrag zur Welt zu leisten. „Das Wohlbefinden einer Gesellschaft lässt sich daran ablesen, inwieweit sie widerstandsfähig (resilient) ist, Handlungskapazitäten aufbaut und bereit ist, Herausforderungen zu meistern“[2]. In den USA hat der General Surgeon Vivek H. Murthy als Leiter des öffentlichen Gesundheitswesens im Dezember 2022 ein Rahmenprogramm zu Wellbeing am Arbeitsplatz herausgegeben und dieses Thema neben Burnout bei Gesundheitspersonal als eine der fünf Haupthandlungsfehler des amerikanischen Gesundheitswesens der kommenden Jahre definiert. In der Einleitung schreibt er über seine Eltern: „Ihre Arbeit bot ihnen nicht nur einen Gehaltsscheck, sondern auch Sinn, Würde und Gemeinschaft. Die Verbindung zwischen ihrer Arbeit und ihrer psychischen Gesundheit und ihrem Wohlbefinden war eindeutig. […] ihre Arbeit ermöglichte es ihnen, ihre Familie zu ernähren, Kontakte zu anderen zu haben und einen Sinn zu finden. Ihre Arbeit half ihnen zu gedeihen.“ Anschließend bewertet er die aktuelle Lage:

„Die COVID-19-Pandemie hat das Wesen der Arbeit und die Beziehung vieler zu ihrer Arbeit verändert. Die Verbindung zwischen unserer Arbeit und unserer Gesundheit ist noch deutlicher geworden. Heute machen sich immer mehr Arbeitnehmer Sorgen, wie sie über die Runden kommen, mit chronischem Stress zurechtzukommen. Sie kämpfen darum, die Anforderungen von Arbeit und Privatleben in Einklang zu bringen. Der Tribut für ihre psychische Gesundheit wird immer größer. Die Pandemie hat auch bei vielen Arbeitnehmern ein Umdenken ausgelöst. Arbeitnehmer sehen es nicht mehr als akzeptabel an, ihre Gesundheit, ihre Familie und Gemeinschaften für die Arbeit zu opfern.“ [3] Dieser treffenden Einschätzung bleibt wenig hinzuzufügen. Und auch der „Berufsstolz“ als Schlagwort für Sinnhaftigkeit und Motivation im Beruf ist in den letzten Jahren in der Pflege und in der Medizin verloren gegangen. Der Psychologe Martin Egerth und der Intensivpfleger Benjamin Walder haben in einem Vortrag auf die Bedeutung dieser Empfindung hingewiesen: „Berufsstolz ist wie eine Pflanze. Es startet mit einem kleinen Samen in der Ausbildung. Schon hier braucht es die richtige Grundlage für Wachstum. Wenn im Berufsalltag der richtige Nährboden, einepsychologisch sichere Umgebung und gegenseitiger Respekt und Wertschätzung vorhanden sind, dann wird daraus etwas Wertvolles und Schönes“ [4]. Neben der Schulung interpersoneller Kompetenzen, insbesondere in der Kommunikation,flachen Hierarchien und der Wahrnehmung der Mitarbeiter*innen durch Führungskr.fte als Person und nicht nur als Arbeitskraft, setzen sie vor allem auf tragfähige Teambeziehungen.

Diese entstehen aber nicht durch einmalige Rafting- und Klettertouren, sondern durch regelmäßige Teambesprechungen, einen achtsamen Umgang miteinander sowie Respekt, einer gelebten Sicherheits- und Fehlerkultur und einem echten Interesse am Gegenüber. Den enormen Wert des Teams betont auch ein leitender Arzt einer Notaufnahme in einem Post auf Linkedin: „Diese Teams, diese Momente, die gemeinsamen Bestrebungen für unsere Patienten*innen, die vormals unser Interesse am Fach und für die Medizin geweckt haben, jahrelang Motivator für Weiterentwicklung waren, sind jetzt das ,Sonnenlicht‘ in der Tristesse des Alltages – Danke an und für jede(n) einzelnen Kollegen*in, Moment“ [5]. Die Arbeit in der Notaufnahme ist chaotisch – in ein und derselben Schicht kann man von der Bürokratie genervt sein, sein Team lieben, gestresst sein, sich über den ständigen Mangel an Personal und Material ärgern – gleichzeitig die Patientenversorgung sehr schätzen und aus ihr große Befriedigung ziehen. Teile unserer Arbeit können großartig sein, während andere eine enorme Herausforderung darstellen. Das, was uns Freude macht, muss auch wieder ins Bewusstsein rücken – wir dürfen nicht den negativen Aspekten das Feld überlassen. Denn Freude an der Arbeit hat direkte Auswirkungen auf das individuelle Engagement, die Sicherheit und Zufriedenheit von Mitarbeiter*innen und Patient*innen, die Pflegequalität sowie auf die Gesamtleistung in Team und Organisation [6]. Die Verantwortung für Wellbeing und die Stärkung der Resilienz liegt allerdings nicht beim einzelnen Mitarbeitenden, sondern ist eine Aufgabe von Gesellschaft und Politik, zuvorderst der Führungsstrukturen im Gesundheitssystem [7].

Daher wünschen wir uns vom Herausgeberteam der Notaufnahme up2date, dass „Wellbeing in der Notaufnahme“ im deutschen Gesundheitssystem ankommt. Damit alle in ihren Teams in einer sicheren Arbeitsumgebung möglichst stressfrei mit Stolz und Motivation ihrer sinnvollen Arbeit – der Versorgung der Notfallpatienten –

nachgehen können.

Ihre Herausgeber*innen der Notaufnahme up2date

Sylvia Schacher – Michael Bernhard – Frank Eifinger – Ingo Gräff – Thomas Henke – Philipp Kümpers – Bernhard Kumle – Dominik Michalski – Benjamin Ondruschka –Martin Pin

Literatur s. 10-1055-a-2046-6312

One thought on “Editorial: Schacher S. Wellbeing in der Notaufnahme – Wie kann uns unsere Arbeit wieder guttun?

  1. Vielen Dank für den wertvollen Beitrag. wer seine eigenen Bedürfnisse wahrnimmt und achtet, ist in der Lage, die seiner PatientInnen zu erkennen. Well being wird in den nächsten herausfordernden Jahren in der Notfallmedizin einer der bedeutendsten Aspekte für die Personalbindung werden.

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