Zeit bis zur Amiodaron-Gabe bei Reanimation

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz: 

 Aktuell wurde wieder eine interessante Studie zum Einsatz von Medikamenten bei prähospitaler Reanimation veröffentlicht.

Wissa J et al. Time to amiodarone administration and survival outcomes in refractory ventricular fibrillation. Emergency Medicine Australasia 2021; doi: 10.1111/1742-6723.13841

Kurz zusammengefasst:

Methodik:

  • erwachsene Patienten mit prähospitalem Herz-Kreislauf-Stillstand
  • Untersuchungszeitraum: Januar 2015 bis Dezember 2019
  • Rettungsdienstbereich des Queensland Ambulance Service in Australien, der eine Bevölkerung von 5 Millionen Menschen versorgt
  • Beobachtungsstudie mit prospektiv erhobenen Daten aus dem dortigen Reanimationsregister

Ergebnisse:

  • insgesamt wurden in dieser Zeit 10.846 Patienten von den Paramedics reanimiert, 2.654 davon hatten einen defibrillierbaren Rhythmus und bei 502 von diesen wiederum kam es nach dem internationalen Algorithmus zur kardiopulmonalen Reanimation bis zur Gabe von Amiodaron
  • 69% der Herz-Kreislauf-Stillstände traten bezeugt ein, in 84% lief eine Laien-Reanimation bei Eintreffen des Rettungsdienstes
  • die Eintreffzeit des Rettungsdienstes betrug im Median 8 min (Interquartilenabstand: 6-11 min)
  • die durchschnittliche Zeit vom Eintritt des Herz-Kreislauf-Stillstandes bis Amiodaron appliziert wurde betrug 25 min, Range zwischen 4 und 83 min, die mediane Zeit betrug 24 min (Interquartilenabstand: 19-31 min), damit 16 min nach Eintreffen des Rettungsdienstes.
  • in einer univariante Analyse wurden zunächst die beiden Gruppen an Patienten „Krankenhausaufnahme mit ROSC“ und „kein ROSC“ miteinander verglichen und alle Variablen, die ein p<0,2 aufwiesen (also sich deutlich zwischen den beiden Gruppen unterschieden) in die multivariante logistische Regressionsanalyse aufgenommen. Dazu gehörten das Alter der Patienten, Geschlecht, die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes, Durchführung einer Laien-Reanimation, Zeit bis zum iv-Zugang, Zeit bis zur Applikation von Amiodaron und die Anzahl der notwendigen Defibrillationsversuche
  • In einer multivarianten logistischen Regressionsanalyse konnte nun unter Berücksichtigung dieser beeinflussenden Faktoren gezeigt werden, dass mit jeder Minute, die das Amiodaron später appliziert wird, die Wahrscheinlichkeit, das Ereignis zu überleben, um 7% sinkt.
  • als Cut-off-Wert konnte 23 min nach Eintritt des Herz-Kreislaufstillstandes identifiziert werden

Diskussion:

  • die Ergebnisse müssen selbstverständlich sehr vorsichtig interpretiert werden. Zum einen ist die Studienpopulation für eine Reanimationsstudie sehr klein und zum andere konnten viele weitere beeinflussenden Faktoren wie z.B. Begleiterkrankungen der Patienten und die Post-Resuscitation-Care nicht berücksichtigt werden, da sie im Register nicht erfasst werden. Zudem muss bedacht werden, dass es umso wahrscheinlicher ist, dass ein Patient Amiodaron erhält, je länger die Reanimation andauert und damit eine längere Zeit bis zur Gabe von Amiodaron logischerweise mit einem schlechteren Outcome vergesellschaftet ist. Zwar konnte dies über die Berücksichtigung der Anzahl der Defibrillationen in der Regressionsanalyse etwas „herausgefiltert“ werden. Die praktische Erfahrung zeigt aber, dass mit fortgeschrittener Reanimation die Anzahl der „Schocks“ als Surrogatparameter für die Dauer der Reanimation meist nicht mehr so sauber herangezogen werden kann.

Fazit:

  • Dennoch erlaubt diese kleine Studie ein paar Hinweise für die Praxis. Zum einen: Reanimationspflichtige Patienten brauchen natürlich vor allem eine effektive und korrekte Thoraxkompression, effektive Ventilation und eine möglichst schnelle Defibrillation. Aber auch die Medikamentengabe muss schnell erfolgen, wenn sie dem Patienten was bringen soll. Dies passt auch zu den Ergebnissen des PARAMEDIC2 trials, in der die Adrenalin-Gabe mehr als 15 min nach Eintreffen des Rettungsdienstes erfolgte

2 thoughts on “Zeit bis zur Amiodaron-Gabe bei Reanimation

  1. In der Diskussion werden die Limitationen der Studie sehr gut erläutert und besprochen!! Danke dafür!

    Dennoch steht dann im Fazit „Aber auch die Medikamentengabe MUSS schnell erfolgen, wenn sie dem Patienten was bringen soll.“.

    Genau diese Schlussfolgerungen lässt sich aber NICHT SICHER aus der Studie ableiten (auch wenn theoretische Überlegungen eher dafür sprechen mögen), daher ist die harte Formulierung „MUSS“ hier m.E. irreführend und ein Beispiel für „spin“ (https://bit.ly/2UwpFXk).

    Auch der Versuch eines Rückschlusses aus anderen Studien zum Adrenalin auf die Amiodarongabe hilft hier kaum weiter….

    1. Sehr geehrter Herr Breithardt,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie haben vollkommen recht, dass die Formulierung mit „muss“ hier zu hart gewählt ist, wenn man die Formulierung ähnlich wie in Leitlinien gewichtet („Muss“=Klasse I-Empfehlung). Besser wäre die Formulierung: Auch bei der Reanimation darf der Aspekt der Zeitverzögerung bis zur Applikation von Medikamenten nicht vernachlässigt werden. Eine frühere Applikation von Amiodaron (<23 min nach Eintritt des Herz-Kreislauf-Stillstandes) könnte das Outcome der Patienten möglicherweise verbessern.
      Auf die PARAMEDIC2-Studie werden hingegen keine Rückschlüsse gezogen, sondern es sollte lediglich erwähnt werden, dass als Grund für das überraschend schlechte Behandlungsergebnis in dieser Studie immer wieder die Verzögerung der Gabe von Adrenalin diskutiert wird und die Gabe hier eventuell zu spät erfolgt, um noch irgend einen positiven Effekt zu zeigen.

      Freundliche Grüße
      Jürgen Knapp

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