WOMAN trial: TxA bei peripartalen Blutungen

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp aus Bern:

Ein sehr schöner und interessanter Beitrag ist mit dem WOMAN trial erschienen:

WOMAN Trial Collaborators: Effect of early tranexamic acid administration on mortality, hysterectomy, and other morbidities in women with post-partum haemorrhage (WOMAN): an international, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2017. online first


  • Peripartale Blutungen (peripartale Hämorrhagien, PPH) gehören zu den gefürchtetsten Notfallsituationen in der Geburtshilfe.
  • Weltweit stirbt alle 4 min eine Frau an dieser Komplikation, und damit ist die PPH mit einem Anteil von 25% die häufigste mütterliche Todesursache.
  • In Europa und den USA steht sie mit einem Anteil von 13% hinter hypertensiven Erkrankungen (16%) und Thromboembolien (15%) an dritter Stelle. Die Wahrscheinlichkeit, unter der Geburt eine akute lebensbedrohliche Blutung zu erleiden, lag zur Jahrhundertwende bei 1:1000 Geburten; aktuell hat sie sich in Industrienationen um mehr als eine Zehnerpotenz auf 2,6–11,4% erhöht.
  • Hauptursache der zunehmenden Häufigkeit in Industrienationen ist die steigende Rate an Atonien. Dies wiederum ist Folge einer großzügigen Anwendung von Oxytocin zu Geburtseinleitung und Wehenunterstützung, einer dadurch bedingten Rezeptorsättigung sowie einer steigenden Rate an Schnittentbindungen.
  • Im Jahr 2000 wurde durch die Vereinten Nationen als eines der Millenniumsziele definiert, die maternale Mortalität bis zum Jahr 2015 um 75% zu senken. Dieses Ziel konnte allerdings nicht erreicht werden.
  • Die Hyperfibrinolyse ist seit Langem als eines der Schlüsselelemente der PPH erkannt. Hier sind die pathophysiologischen Hintergrunde von traumainduzierter Koagulopathie und PPH sehr ähnlich (zelluläre Hypoperfusion, Schock, Freisetzung von „tissue factor“, Thrombomodulin, „plasminogen activator inhibitor“, Zerstörung der endothelialen Glykokalyx mit Freisetzung von Syndecan-1).
  • Daher ist die Gabe von Tranexamsäure (TXA) bei PPH bereits in vielen Kliniken fester Bestandteil des SOP.

Der WOMAN trial:

  • Der aktuell veröffentlichte WOMAN trial untersuchte nun den Nutzen der Gabe von TXA im Hinblick auf Sterblichkeit und Hysterektomierate bei PPH.
  • sehr groß angelegte randomisierte, doppel-blinde und Placebo-kontrollierte Studie: 193 Kliniken in 21 Ländern
  • zwischen 2010 und 2016 wurden 20.060 Patientinnen >16 Jahre mit PPH eingeschlossen (vergleichbare Größe wie CRASH-2 Studie)
  • Anmerkung: die Studie war zunächst auf 15.000 Patientinnen ausgelegt. Da sich jedoch während der Studie zeigte, dass der Entschluss zur Hysterektomie oft zum gleichen Zeitpunkt wie die Randomisierung fiel, und damit die Gabe von TXA zwar noch einen Einfluss auf die Sterblichkeit haben konnte, aber nicht mehr auf die Hysterektomie-Rate, wurde die Studiengröße auf 20.000 Patientinnen vergrößert.
  • die Diagnose der PPH wurde anhand der klinischen Einschätzung gestellt, Einschlusskriterium war analog zur CRASH-2-Studie die Unsicherheit des behandelnden Arztes, ob TXA eingesetzt werden soll oder nicht.
  • Protokoll: 1 g TXA (über ca. 10 min), bei Persistieren der Blutung nach 30 min oder erneuter Blutung innerhalb der ersten 24 h nochmalige Gabe von 1 g TXA
  • ausgewertet werden konnten 10.036 Patientinnen, die TXA erhielten, und 9.985 Placebo-Patientinnen
  • primärer Outcome-Parameter war ein zusammengesetzter Endpunkt aus Tod oder Hysterektomie innerhalb von 42 Tagen
  • hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied: 5,3% (534) in der TXA-Gruppe vs. 5,5% (546) in der Placebo-Gruppe (p=0,97)
  • ABER: die Sterblichkeit aufgrund der Blutungskomplikation betrug in der TXA-Gruppe 1,5% (155/10.036) und in der Placebo-Gruppe 1,9% (191/9.985), relatives Risiko 0,81, 95%-Konfidenzintervall: 0,65–1,00 (p=0,045)
  • besonders deutlich war die Reduktion der Sterblichkeit in der Gruppe der Patientinnen, die TXA innerhalb von 3 h nach der Geburt erhielten: 1,2% (89) vs. 1,7% (127), relatives Risiko 0,69, 95%-Konfidenzintervall: 0,52–0,91, p=0,008
  • im Hinblick auf die andere Todesursachen (z.B. Sepsis, Eklampsie, Lungenembolie) zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen
  • die Hysterektomie-Rate als weiterer Endpunkt zeigte ebenfalls keinen signifikanten Unterschied: 3,6% (358) in der TXA-Gruppe vs. 3,5% (351) in der Placebo-Gruppe
  • es zeigte sich kein Unterschied in der Rate der thrombembolischen Komplikationen (tiefe Venenthrombose, Lungenembolie, Myokardinfarkt, Schlaganfall) zwischen den Gruppen
  • Während in der CRASH-2-Studie die Sterblichkeit bei Gabe von TXA >3 h nach dem Trauma im Vergleich zu Placebo erhöht war (relatives Risiko 1,44, 95%-Konfidenzintervall: 1,12-1,84), war dies im WOMAN-trial nicht der Fall: relatives Risiko 1,07 (0,76-1,51) bei Gabe von TXA >3 Stunden nach Geburt, brachte allerdings auch keinen Nutzen mehr.
  • interessantes Nebenergebnis der Studie: etwa ein Drittel der Patientinnen starb innerhalb der ersten 3 h nach Randomisierung und somit Diagnosestellung der PPH

Was bedeuten die Ergebnisse des WOMAN-trials im Zusammenhang mit der weiteren Studienlage zur PPH für unseren klinischen Alltag?

  • Eine besonders wichtige Rolle kommt der Hebamme zu, die durch den engen Kontakt zur schwangeren bzw. frisch entbundenen Frau die Blutungssymptomatik schnell erkennen muss.
  • Die Kompensationsmechanismen der schwangeren Frau sind zu beachten, die über einen gewissen Zeitraum eine zirkulatorisch stabile Situation trotz Blutung vortäuschen können.
  • Eine Tachykardie nicht als Nebenwirkung des Oxytocins oder der emotionalen Situation „abtun“.
  • Die Durchbrechung einer evtl. vorliegenden Hyperfibrinolyse muss frühestmöglich in der Blutungstherapie geschehen.
  • Die laborchemische Diagnose der Hyperfibrinolyse durch Nachweis von D-Dimeren oder Thrombin-Antithrombin-Komplexen oder ein Abwarten, ob die applizierten Uterotonika „doch noch wirken“, oder „nochmal eine höhere Dosis eines Uterotonikums ausprobieren“ ist daher in der Akutsituation nicht indiziert
  • Haupttodesursache bei PPH: „too little is done too late“!
  • Entsprechend der aktuellen Datenlage kann die Gabe von 1 g TXA bei der klinischen (!) Diagnosestellung der PPH empfohlen werden.
  • CAVE: International ist eine PPH zwar definiert als ein Blutverlust >500 ml nach vaginaler Entbindung und >1000 ml nach Kaiserschnitt. ABER: Der Blutverlust wird nachgewiesenermaßen bei PPH um 30-50% unterschätzt! Also eher von einem doppelt so hohen Blutverlust ausgehen wie geschätzt. Entscheidend ist der klinische Eindruck und – wie in CRASH-2 und in der WOMAN-Studie allein schon die Unsicherheit des behandelnden Arztes „Soll ich TXA geben oder nicht?“
  • Bei persistierender Blutung sollte die Dosierung von 1 g nach 30–60 min ggf. wiederholt werden.
  • Aber: Eine zu großzügige Indikationsstellung für TXA muss vermieden werden. TXA ist trotz des günstigen Nebenwirkungsprofils ein Medikament. Eine „gießkannenartige“ Verteilung eines Medikaments ist sicher nicht ratsam.

Abbildung: Das Taj Mahal wurde vom fünften Großmogul Shah Jahan in Erinnerung an seine geliebte Frau, die Persische Prinzessin Arjuman Bano Begum, die auch Mumtaz Mahal genannt wurde, gebaut.  Sie hatte einen sehr großen Einfluss auf sein Leben und seine Politik und starb 1631 bei der Geburt des vierzehnten Kindes im Alter von 39 Jahren an einer PPH. Abb. PD Dr. J. Knapp.

Weitere Literatur:

Knapp J, Hofer S, Lier H: Anästhesiologisches Vorgehen bei peripartaler Blutung. Anaesthesist 2016, 65: 225-40

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