Ein gemeinsamer Gastbeitrag von Bernhard Gliwitzky (Maikammer), Jörg Brokmann (Aachen), Michael Müller (Freiburg) und Stephan Prückner (München) Eine Arbeitsgruppe aus der Universitätsklinik Basel um Professor Sabina Hunziger, Dr. Christoph Becker und Dr. Sebastian Groß haben eine wichtige Arbeit im New England Journal of Medicine Evidence zu Wunsch oder Ablehnung der Wiederbelebung in Kliniken publiziert:
Becker C, Gross S, Beck K, Amacher SA, Vencent A, Mueller j, Loretz N, Hunziker S
A Randomized Trial of Shared Decision – Making in Code Status Discussions
Insgesamt wurde in sechs Kliniken bei 2.663 Patientinnen und Patienten der Effekt einer gemeinsamen Entscheidungsfindung untersucht. Dabei kamen in der Arbeit sehr wichtige Ergebnisse heraus, die nach Ansicht der Autoren dieses Beitrages dringend auch in die Überlegungen bei einer prähospitalen Reanimation in Deutschland einbezogen werden müssen.
Laut Angaben des Deutschen Reanimationsregisters der DGAI nimmt die Gruppe der über 80-jährigen Patienten mit prähospitalem Herz-Kreislaufstillstand stetig zu. Im Jahresbericht 2023 des Deutschen Reanimationsregisters waren 32,7% der Patientinnen und Patienten über 80 Jahre alt. Nur noch ca. 20% aller reanimierten Patienten haben ein Kammerflimmern als ersten dokumentierten Herzrhythmus. Trotzdem zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass durch Notärzte und Rettungsfachpersonal gefühlt immer mehr reanimiert wird und das auch zunehmend Patientinnen und Patienten mit aussichtsloser Prognose unter Reanimation in Kliniken transportiert werden. Trotz vieler technischer Entwicklungen (mCPR, eCPR etc.), Verbesserungen bei der Laienreanimation etc., hat sich die Überlebensrate mit gutem neurologischem Ergebnis in den letzten zwei Dekaden jedoch nicht verbessert. Insgesamt haben laut Deutschem Reanimationsregister aus den Daten von 2022 nur 6,85% aller Patienten nach Reanimation die Behandlung mit einem guten neurologischen Ergebnis (CPC 1-2), überlebt.
Die Arbeit der Baseler Arbeitsgruppe zeigt nun sehr deutlich, dass die Reanimationsprognose bei Patientinnen und Patienten überschätzt und die Risiken unterschätzt werden. Durch entsprechende und fundierte Aufklärung der Patienten (hierzu wurde eigens eine Kommunikationshilfe zur Reanimationsentscheidung entwickelt) ändert sich der Wunsch bei Patientinnen und Patienten erheblich: in der Studiengruppe entschieden sich 49% gegen eine Reanimation, in der Kontrollgruppe ohne Aufklärung hingegen nur 38%.
Die Berücksichtigung individueller Werte und persönlicher Einstellungen als Entscheidungsgrundlage ist daher wichtig und dringend geboten. Patientinnen und Patienten müssen unseres Erachtens nach beispielsweise über die betreuenden Hausärzte oder auch andere Ärzte besser zu diesem wichtigen Thema aufgeklärt werden. Prozesse wie sie bei der vorausschauenden Versorgungsplanung (Advanced Care Planning, ACP) beschrieben sind, können hierbei unterstützen. Häufig wird die Reanimation bei Eintreffen von den Teams in Kliniken oder den präklinischen Teams unmittelbar begonnen und es wird im Verlauf nicht konsequent an der Evaluation des mutmaßlichen Patientenwillens gearbeitet, sodass während der Reanimation Unklarheit über das Therapieziel besteht. Bei Patienten, bei denen eine Aussicht auf einen guten Erfolg nicht gegeben ist, bzw. bei denen eine Ablehnung von Reanimationsmaßnahmen dokumentiert ist, muss rechtzeitig die Eskalation der Therapie vermieden und das Therapieziel im Sinne einer Palliation festgesetzt werden.
Dies sollte im Team kommuniziert und konsequent beachtet werden.
Folgende Kriterien können bei der Entscheidungsfindung neben einem dokumentierten Patientenwillen hilfreich und wegweisend sein.
- Unbeobachteter Kollaps
- Keine Reanimation durch Laien
- Primärer Herzrhythmus Asystolie
- Kein Rhythmuswechsel/ kein ROSC
- Ausschluss von behandelbaren Ursachen
- Alter und Co-Morbidität
- Begleitendes niedriges CO2 trotz effektiver Thoraxkompressionen
Diese Hinweise sollten zwingend in die Therapieentscheidungen einbezogen werden und auch im Falle einer bereits begonnenen Reanimation ein Abbruch der Maßnahmen erwogen werden. Ob eine Reanimation begonnen werden muss, richtet sich nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten. Auch wenn häufig in den ersten Minuten noch Unklarheit über den mutmaßlichen Patientenwillen besteht, sollte dieser im Verlauf der Reanimation evaluiert werden.
Die Prognose nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand ist nach wie vor schlecht. Risken wie z.B. ein schlechtes neurologisches Ergebnis ist bei den Menschen und Angehörigen häufig nicht präsent. Die Chancen auf einen guten Verlauf werden überschätzt [1].
Diese Thematik sollte auch während einer Reanimationsbehandlung, sofern es die Zeit erlaubt und alle wesentlichen Maßnahmen laufen, gemeinsam mit den Angehörigen besprochen werden. Hierzu sollten Notärzte und auch das Rettungsfachpersonal besser in der Kommunikation mit den Angehörigen geschult werden, um auch medizinischen Laien mit einfachen Worten die Situation sicher beschreiben zu können. Ebenfalls sind wir der festen Überzeugung, dass unsere Patienten im Rahmen der Krankenhausaufnahme zu diesem Thema konsequent aufgeklärt werden sollten und die Ergebnisse dokumentiert werden müssen, damit unnötige und nicht gewollte Reanimationsversuche unterlassen werden.
Gleichwohl gilt weiterhin, alles dafür zu tun, dass diejenigen Patienten, die – präklinisch oder im Krankenhaus – reanimiert werden müssen, eine realistische Überlebenschance haben und die Wiederbelebungsmaßnahmen nicht ablehnen, die bestmögliche Therapie erhalten.
Um dieser Patientengruppe eine realistische Chance zu bieten, müssen wir in Deutschland flächendeckend die Telefonreanimation durchführen und bei jedem vermuteten Herz-Kreislaufstillstand App-basierte Ersthelfersysteme aktivieren, sowie konsequent weiter Laien in Wiederbelebungsmaßnahmen trainieren. Das muss bereits in der Schule beginnen. Auch im Rettungsdienst müssen wir neue Strategien weiter untersuchen und bei positiven Ergebnissen schneller implementieren.
Interessante Ansätze gibt es einige. Hierzu zählen beispielsweise die Frage nach dem richtigen Druckpunkt, aber auch die Frage nach der richtigen Strategie bei therapieresistentem Kammerflimmern (Double Sequence Defibrillation). Wir werden sehen, was uns die neuen Leitlinien dazu mit auf den Weg geben.
Wir freuen uns über eine rege Diskussion zu diesem wichtigen Thema.
Literatur
Zumbrunn SK, Blatter R, Bissmann B, Amacher SA, Sutter R, Hunziker S: The prognosis after cardiac arrest: Evidence on the short- and long-term course. Dtsch Arztebl Int 2024; 121: 173–9
Bezüglich dieser Diskussion ist die medizinisch-ethische Richtlinie der SAMW (Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften) sehr interessant zu lesen (ab Seite 31). https://www.samw.ch/de/Publikationen/Richtlinien.html
Gruess Stefan
Muss das Personal in einem Pflegeheim reanimieren, obwohl eine Verfügung vorliegt? Darf nur der Arzt darüber entscheiden?
Oder darf aufgrund der Verfügung das Pflegehausperonal von einer Reanimation absehen?
Gruß Sandra
Auch für das Pflegepersonal gilt der Patientenwille.
Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer schreibt in den
Hinweisen und Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmachten
und Patientenverfügungen im ärztlichen Alltag „Sofern der Wille des Patienten bekannt ist, ist dieser auch in der Notfallsituation von allen Beteiligten zu beachten. Die Bindung an den Patientenwillen gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für das gesamte in Notfallsituationen involvierte Personal, z. B. für das pflegerische Personal.„
Dt. Ärzteblatt 115 Heft 52 (2018)
Moin!
Das ist ja schön und gut das die Ärztekammer das so sieht. Als Notfallsanitäter ist es dennoch verdammt dünnes eis. De jure ist die hM leider nach wie vor das nur Ärzte darüber entscheiden dürfen und NotSan nicht hinreichend ausgebildet sind eine juristische Fallentscheidung zu treffen.
Die Frage zielte auf das Personal im Pflegeheim, welches den Patienten und seinen Willen kennen sollte.
Wir haben zu dem Thema mal vorgeschlagen, Adrenalin bei offensichtlich frailen PatientInnen initial vorzuenthalten (um „ungewollten“ ROSC zu vermeiden), bis der mutmaßliche Patientinnenwille und vor allem auch die physiologische Reserve des Patienten erhoben sind:
https://www.resuscitationjournal.com/article/S0300-9572(24)00187-4/pdf
Leider wurde dieses Vorgehen von den Ethikern des ERC nicht befürwortet.