Nach dem eher allgemeinerem Teil 1 und 2 der Pilzvergiftungen nun zu einigen speziellen Syndromen:
Romanek K, et al. Pilzvergiftungen: Symptome, Diagnostik und Therapie. Notfall Rettungsmed 2016; 19: 301-314
Unterschieden werden hier:
- Psilocybin-/halluzinogenes Pilzsyndrom
- Paxillus-Syndrom
- Amanita-/Amatoxin-/Phalloides-Syndrom („Knollenbl.tterpilzvergiftung“)
Psilocybin-/halluzinogenes Pilzsyndrom
Ursache: Kahlköpfe (Psilocybe-Arten, z.B. Spitzkegeliger Kahlkopf, Düngerlinge (Panaeolus-Arten), blauende Düngerling (Panaeolus cyanescens), Kubanische Kahlkopf (Stropharia cubensis) und mexikanische Kahlkopf (Psilocybe mexicana)
Pathophysiologie: 20 min nach Konsum der rohen oder getrockneten „magic mushrooms“: psychoaktiv wirkende Psilocybin und Psilocin
Symptomatik: Halluzinationen, Depersonalisationsgefühl, Synästhesien (ähnlich LSD), sympathikomimetische Effekten mit Mydriasis, erhöhte Temperatur, Hyperreflexie, Tachykardie und Hypertonie.
Therapie: symptomatische Therapie, Vermeidung von Lärm und Licht als psychische Provokationsfaktoren, bei Angstgefühl: Benzodiazepine, bei unangenehmen Halluzinationen: ggf. Neuroleptika
Paxillus-Syndrom
Ursache: wiederholtem Genuss des Kahlen Kremplings (Paxillus involutus)
Pathophysiologie: (bei wenigen Menschen) Antigen-Antikörper-Reaktion –> Agglutination von Erythrozyten führt zu schweren schweren immunhämolytischen Anämie führen
Symptome: starke Bauchkrämpfe, Flankenschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Atemnot, Schwäche bis zum Kreislaufkollaps, Hämolyse und Nierenversagen
Therapie: Aktivkohlegabe, intensivmedizinische Überwachung mit Substitution von Blutprodukten, Hämodialyse, in schweren Fällen eine Plasmapherese
Amanita-/Amatoxin-/Phalloides-Syndrom („Knollenblätterpilzvergiftung“)
Info: die wohl gefürchtetste Pilzvergiftung: wahrscheinlich 99% aller tödlichen Pilzvergiftungen sind auf Intoxikationen mit amatoxinhaltigen Pilzen zurückzuführen
Ursache: Knollenblätterpilzvergiftungen; Amatoxinhaltige Pilze: Amanita, Galerina und Lepiota: wichtigste Vertreter: Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides), Spitzkegelige/Weiße Knollenblätterpilz (Amanita virosa), Gifthäubling (Galerina marginata) und Fleischbräunliche Giftschirmling (Lepiota brunneoincarnata).
Letalität: Vor dem Zeitalter der Lebertransplantation, betrug die Sterberate zwischen 10 und 20%
Pathophysiologie: Amatoxine, zyklische Oktapeptide, binden im Zellkern an die RNA-Polymerase II binden und blockieren somit die DNA-Transkription, Amatoxin unterliegt enterohepatischen Kreislauf.‘
Antidot: Silibinin (Amatoxinaufnahme über das Gallensäuretransportsystem in die Hepatozyten wird gehemmt.
Symptomatik: triphasischen Verlauf auf: Latenzphase von mind. 6 bis max. 24 h, in der Regel ca. 10–12 h, dann gastrointestinale Phase: heftiges, wiederholtes Erbrechen und wässrigen Diarrhöen, abdominellen Krämpfen sowie massivem Wasser- und Elektrolytverlust über 6–9 h über, dann Phase der trügerischen Remission mit klinischer Besserung ca. 2 Tage nach Pilzmahlzeit, die hepatische Phase an: massive Leberzellschädigungmit Konzentrationsanstieg der Transaminasen und des Bilirubins, fulminantes Leberversagen mit schwerer Koagulopathie, hepatischer Enzephalopathie, hepatorenalem Syndrom, Kreislaufversagen und Tod.
Therapie:
- primäre Giftelimination durch Erbrechen oder (gastroskopische) Magenspülung denkbar, bei Ingestion <1 h zurückliegt (z. B. absichtliche, suizidale Ingestion).
- repetitive Gabe von Aktivkohle in einer Dosierung von 0,5–1 g/kgKG oder maximal 50 g als Einmaldosis ist aufgrund des enterohepatischen Kreislaufs des Gifts während des gesamten Vergiftungsverlaufs sinnvoll. Antidottherapie kann beendet werden, wenn die Transaminasenkonzentrationen nach 72 h weiterhin im Normbereich sind
- Antidottherapie bereits bei Verdacht auf Amatoxinvergiftung: Silibinin 5 mg/kgKG über 1 h, dann 20 mg/kgKG über 24 h i. v., ggf. Penicillin G in hoher Dosierung (24-stündlich 300.000–1.000.000 I.E./kgKG als kontinuierliche Infusion, maximal 40.000.000 I. E./24 h) als Antidot. Silibinin ist aber ein spezifischeres, nebenwirkungsärmeres und vermutlich auch effektiveres Antidot. Zusätzliche i. v.-Gabe von N-Acetylcystein ist diskutierbar, (aber nicht First-line-Therapie),
- aggressive Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution.
- ggf. zusätzliche erweiterte intensivmedizinische Maßnahmen (z.B. Substitution von Gerinnungsfaktoren, Hämodialyse bei Nierenversagen oder Laktatacidose, ggf. albuminbasierte Dialyseverfahren (z. B. MARS®-System) als Bridging-Technik –> Überbrückung bis zur Lebertransplantation).
- Lebertransplantation als Ultima-Ratio-Maßnahme
King’s-College-Kriterien zur Abschätzung der Letalität beim akuten Leberversagen:
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit benötigen folgende Patienten eine Lebertransplantation:
– partielle Thromboplastinzeit („partial thromboplastin time“, PTT) > 100 s (International Normalized Ratio [INR] > 6,5/Quick-Wert < 8%)
oder mindestens 3 der folgenden 5 Kriterien:
– Alter < 10 Jahre oder > 40 Jahre,
– Ätiologie unklar (nicht viral) oder durch Medikamente induziert,
– Auftreten von Ikterus mehr als 7 Tage vor Enzephalopathie,
– Serum-Bilirubin-Konzentration > 17,4 mg/dl,
– Prothrombinzeit > 50 s (INR > 3,5/Quick-Wert < 15%).