Asystolie nach Sugammadex

Gastbeitrag von von Jürgen Knapp und Dominique Engel, Bern         Sugammadex ist inzwischen ein weit verbreitetes und beliebtes Medikament zur schnellen Reversion der neuromuskulären Blockade durch Rocuronium und Vecuronium. Es gilt als sehr sicheres Medikament. Dennoch werden zunehmend seltene, aber schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse wie Bradykardie und Asystolie dokumentiert. Diese treten typischerweise innerhalb weniger Minuten nach der Verabreichung auf und können bei ausbleibender Intervention zu Herzstillstand führen.

Eine gute Übersicht hierzu bietet folgende Publikation:

Kapoor MC

Cardiovascular adverse effects of sugammadex

J Anaesthesiol Clin Pharmacol 36: 469-70 (2020)

 

Häufigkeit & Klinisches Bild

  • Sehr selten, aber potenziell lebensbedrohlich.
  • Geht meist mit ausgeprägter Bradykardie einher, gelegentlich nicht auf Atropin ansprechend.
  • Der Beginn ist oft plötzlich, innerhalb von Minuten nach der i.v.-Gabe.

 

Einige typische, exemplarische Fallberichte:

Fierro et al. (2021): Hypotonie, Bradykardie, Asystolie bei älterem Patienten

Fierro C et al.

Severe hypotension, bradycardia and asystole after Sugammadex administration in an elderly patient

Medicina 57, 79 (2021)

 

Lohmeier & Powers (2022): Plötzliche Asystolie bei jungem, adipösem Patienten

Lohmeier SJ, Powers D

Sugammadex-associated asystole in young obese patient: Case report

Oral Maxillofac. Surg. Cases 8, 100271 (2022)

 

Akkaya et al. (2014): Asystolie nach 4 mg/kg, Atropin-responsiv

Bilgi M, Demirhan A, Akkaya A, Tekelioglu UY, Kocoglu H

Sugammadex associated persistent bradycardia

Int J Med Sci Public Health 2014;3:372-374

 

Sanoja (2019): Extreme Bradykardie und Herz-Kreislaufstillstan bei 60jährigem Patiente ohne schwere Vorerkrankungen

Sanoja, Ivanna A. MD; Toth, Kenneth S. MD, PhD.

Profound bradycardia and cardiac arrest after Sugammadex administration in a previously healthy patient: A case report.

A&A Practice 12: 22-24 (2019)

 

 Identifizierte Risikofaktoren für Patienten

Risikofaktor Erläuterung
Kardiovaskuläre Vorerkrankungen Bradykardie, AV-Block, ischämische Herzkrankheit → reduzierte Herzreserven.
Hohes Alter Erhöhte vagale Aktivität, verlangsamter Stoffwechsel, höhere Empfindlichkeit.
Kinder mit angeborenen Herzfehlern Instabile Autonomregulation, empfindliches Reizleitungssystem.
Adipositas Veränderte Pharmakokinetik, Überdosierung trotz korrekter Berechnung möglich.
Hohe oder schnelle i.v.-Dosis Kann plötzliche vagale Reizung und Bradykardie/Asystolie auslösen.
Elektrolytstörungen Hypokaliämie, Hypokalzämie etc. destabilisieren die Herzleitung.
Begleitmedikamente β-Blocker, Calciumantagonisten, Opioide verstärken die Herzverlangsamung.
Niedrige Ausgangsherzfrequenz (<60/min) Erhöhtes Risiko für übermäßige vagale Reaktion.

 

Mögliche Mechanismen

  • Vagale Stimulation: Plötzliche parasympathische Dominanz → Bradykardie/Asystolie.
  • Reizung des kardialen Reizleitungssystems bei empfindlichen Patienten.
  • Hypersensitivitätsreaktionen: In seltenen Fällen auch durch allergische Reaktionen bedingt.

 

Klinische Empfehlungen

  1. Risikostratifizierung:
    • Anamnese, Medikamente, Elektrolytstatus und Herzfrequenz vorab prüfen.
  2. Verabreichungshinweise:
    • Nicht als Bolus, sondern langsam (über 10–30 Sekunden) applizieren.
  3. Überwachung:
    • Kontinuierliches EKG-Monitoring für mindestens 5–10 Minuten.
  4. Notfallvorsorge:
    • Atropin und Adrenalin sollten sofort verfügbar sein.
  5. Alternative Strategien:
    • Bei Hochrisikopatienten ggf. Neostigmin erwägen.

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