Ein Gastbeitrag von Ulf Harding, Wolfsburg Wir kennen es von Sportlern und Musikern: Kurz vor einem Wettkampf bzw. einer Aufführung findet ein Aufwärmen und Einspielen statt, oftmals verbunden mit einer Teamansprache durch Trainerin oder Trainer, Dirigent oder Dirigentin.
Aber wie sieht es in der Medizin aus? Maßnahmen und Interventionen, die wir durchführen, können zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen und dennoch findet kaum ein Coaching oder Aufwärmtraining statt. Könnte auch uns ein „warm-up“ vor einer Prozedur helfen, bessere Ergebnisse zu erzielen?
Eine Arbeitsgruppe um Stephen Flynn von der Harvard Medical School präsentiert im British Medical Journal eine Arbeit, die dieser Frage nachgeht:
Flynn SG, Park RS, Jena AB et al.
Coaching inexperienced clinicians before a high stakes medical procedure: randomized clinical trial
Methode:
In dieser prospektiven, randomisierten Studie wurde untersucht, ob ein Coaching von unerfahrenen Klinikern unmittelbar vor einer geplanten endotrachealen Säuglingsintubation die Versorgung verbessern kann.
Die Studie wurde vom 01.08.2020 bis 30.04.2022 am Boston Children’s Hospital durchgeführt. Teilgenommen haben 153 Auszubildende im Bereich der Anästhesie aus 10 regionalen Ausbildungsprogrammen. Die Teilnehmenden wurden randomisiert in zwei Gruppen: eine Gruppe erhielt ein 10-minütiges Training am Phantom durch Expertinnen und Experten bis eine Stunde vor einer elektiven Säuglingsintubation (≤12 Monate, ASA I-III). Die Auswahl des Intubationsequipments (Laryngoskoptyp und –technik (direkte vs. Videolayngoskopie)) erfolgte durch die Expertinnen und Experten. Die Kontrollgruppe erhielt die gewohnte Ausbildung „on the job“ ohne zusätzliches Training. Im Anschluss füllten die Teilnehmenden einen Fragebogen (NASA-TLX) zur empfundenen kognitiven Belastung aus. Primäres Outcome war die first-pass-success Rate der endotrachealen Intubationen. Sekundäre Outcomes waren Komplikationsraten, kognitive Belastung, Zeit bis zur Intubation, Visualisierung der Glottisebene (nach Cormack-Lehane) und technische Schwierigkeiten.
Ergebnisse:
- First pass success 91,4% (212 von 232) in der Interventionsgruppe vs. 81,6% (231 von 283) in der Kontrollgruppe.
- Das „just-in-time“-Training führte zu einer signifikanten Verbesserung der Versorgung, zu kürzerer Dauer bis zur Intubation, besserer Visualisierung der Glottisebene und weniger technischen Problemen.
- Die kognitive Belastung wurde in der Interventionsgruppe als geringer eingeschätzt.
- In der Interventionsgruppe traten weniger Komplikationen (2,75% vs. 4,71%) auf.
Fazit:
Die Autor:innen der Studie kommen zum Schluss, dass kurze Trainings und „Aufwärmübungen“ den Arbeitsfluss nicht behindern und die Trainierenden nicht zusätzlich belasten. Da es sich um eine single-centre Studie handelt, sollten weitere Untersuchungen folgen. „Just-in-time“-Training kann helfen, die first-pass Rate bei Säuglingsintubationen zu verbessern und die kognitive Belastung Auszubildender zu verringern.