Ein Gastbeitrag von Stefanie Maier, Ulm Bei einem prähospitalem Herz-Kreislauf-Stillstand (out-of-hospital cardiac arrest, OHCA) gehört die Etablierung eines Gefäßzuganges im Rahmen der Reanimation und die Verabreichung von u.a. Adrenalin zu den Standardmaßnahmen. Die Leitlinien empfehlen primär einen intravenösen (IV) Gefäßzugang zu legen und bei frustranem Versuch den Wechsel auf einen intraossären (IO) Zugangsweg zu erwägen.
Bislang gibt es wenig Studien, die statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen einem Gefäßzugangsweg und verbesserten Patientenergebnissen gezeigt haben. Es ist unklar, ob der Applikationsweg Einfluss auf die Medikamentenwirkung und damit auf die Mortalität und das klinische Outcome nach einem OHCA hat. In den letzten Monaten wurden zwei Studien veröffentlicht, die verschiedene Gefäßzugangswege bei einem nicht-traumatischen OHCA bei erwachsenen Patienten mit den klinischen Ergebnissen der Patienten verglichen haben und zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind:
Ko YC, Lin HY, Huang EP, et al.
Intraosseous versus intravenous vascular access in upper extremity among adults with out-of-hospital cardiac arrest: cluster randomised clinical trial (VICTOR trial)
Monaco T, Fischer M, Michael M, et al.
Impact of the route of adrenaline administration in patients suffering from out-of-hospital cardiac arrest on 30-day survival with good neurological outcome (ETIVIO study)
Ko et al. führten die multizentrische, prospektive, kontrollierte VICTOR Studie (Venous Injection Compared To intraOsseous injection during Resuscitation of patients with out-of-hospital cardiac arrest) durch. Es wurde eine Cluster-Randomisierung mit zweiwöchigen Zeiträumen von Juli 2020 bis Juni 2023 etabliert, in dem die teilnehmenden Rettungsdienstteams wechselnd einem IV- (Punktion der oberen Extremität) oder IO-Zugang (Humerus) zugewiesen wurden. Der primäre Endpunkt war das Überleben bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus. Die sekundären Endpunkte waren ein return of spontaneous circulation (ROSC), das Überleben bis zur Krankenhauseinweisung und ein gutes neurologisches Ergebnis bei der Krankenhausentlassung (Cerebral Performance Category Score (CPC) ≤ 2).
Monaco et al. führten eine Registerstudie des deutschen Reanimationsregisters durch (ETIVIO-Studie). Der primäre Endpunkt war die Krankenhausentlassung mit gutem neurologischem Ergebnis (CPC 1/2). Sekundäre Endpunkte waren ein ROSC während der prähospitalen Versorgung, Überleben bei Krankenhausaufnahme oder Aufnahme unter einer laufenden Reanimation, 24-Stunden-Überleben und Überleben bei Krankenhausentlassung oder 30-Tage-Überleben. Neben dem IV- und IO-Verabreichungsweg wurde in dieser Studie zusätzlich die endotracheale Gabe betrachtet, die seit 2010 keine Empfehlung mehr in den Leitlinien hat. Die Patienten wurden hinsichtlich der Art der Adrenalinverabreichung in vier Gruppen zusammengefasst: IV-Zugang, IO-Zugang, IO gefolgt von IV-Zugang (IO + IV) und ET gefolgt von IV-Zugang (ET + IV). Die Ergebnisse wurden nach der Risikoadjustierung durch Paarvergleiche für drei Gruppen analysiert: IV vs. IO, IV vs. IO + IV und IV vs. ET + IV. Zusätzliche wurde ein binäres, logistisches Regressionsmodell erstellt, dass neben der Krankenhausentlassung mit gutem neurologischem Ergebnis zusätzlich das Alter, die Adrenalindosis, den Koronarkathetereingriff und die milde therapeutische Hypothermie berücksichtigte.
Ergebnisse
Ko et al.:
- 1732 Patienten wurden in Studie aufgenommen (741 IO-Gruppe, 991 IV-Gruppe)
- Primärer Endpunkt: IO-Gruppe 79 (10,7 %) Patienten lebend entlassen vs. 102 (10,3 %) IV-Gruppe (Odds Ratio (OR) 1,04 (95%-Konfidenzintervall (CI) 0,76 – 1,42; p=0,81)
- Sekundäre Endpunkte:
- prähospital ROSC OR 1,23; 95%-CI 0,89 – 1,69; p=0,21)
- eine anhaltende Wiederherstellung des Spontankreislaufs OR 0,92; 95%-CI 0,75 – 1,13; p=0,44)
- CPC £2 OR 1,17; 95%-CI 0,82 – 1,66; p=0,39)
- Per-Protocol-Analysen: kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen
- Intracluster-Koeffizient: 0,01
- Post-hoc-Analyse der verallgemeinerten Schätzgleichungen zur Bewertung der Wirkung von Clustern: keine signifikanten Unterschiede
- Auch in spezifizierten Subgruppenanalysen auf der Grundlage des Intention-to-treat-Prinzips gleichbleibend kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Studiengruppen
Monaco et al.:
- Es wurden 37.106 Datensätze zwischen 1989 und 2020 in die Analyse einbezogen
- 688 Patienten hatten einen IV-Zugang, 1.303 einen IO-Zugang, 4.827 sowohl IO- als auch IV-Zugänge; 276 Patienten hatten sowohl eine ET- als auch eine IV-Therapie erhalten
- 20 Patienten hatten Adrenalin ausschließlich über einen ET-Zugang erhalten, 5 über einen ET- und einen IO-Zugang und 23 über eine Kombination aus ET-, IO- und IV-Zugängen
- In 964 Fällen wurde kein Applikationsweg dokumentiert
- Alle Gruppen wiesen vergleichbare RACA-Scores (ROSC-after-cardiac-arrest-Score) auf (Mittelwert ± SD 41,7 % ±1,9)
- Tatsächliche ROSC-Raten: Mittelwert ± SD 41,1 % ±4,7
- Primärer Endpunkt:
- IV-Gruppe zeigt signifikant bessere Ergebnisse als die IO-Gruppe (OR 2,43; 95%-CI 1,54 – 3,84, p<0,01) und als die IO + IV-Gruppe (OR: 1,33; 95%-CI: 1,12 – 1,59, p<0,01)
- kein signifikanter Unterschied zwischen IV und ET + IV (OR: 1,26; 95%-CI: 0,55 – 2,90, p=0,59)
- Sekundäre Endpunkte: In jedem Vergleich sprach die OR signifikant für IV gegenüber IO und IV gegenüber IO + IV, während kein statistisch signifikanter Unterschied für IV vs. ET + IV nachgewiesen werden konnte
- Binäres logistisches Regressionsmodell:
- hochsignifikanter Effekt des Gefäßzugangstyps (χ² = 67,744(3), p<0,001) mit einem ausreichenden Anteil an erklärter Varianz (Nagelkerke’s R²=0,433)
- Negative Effekte konnten für IO (Regressionskoeffizient (r.c.)=- 0,766, p=0,001) und IO + IV (r.c.=- 0,201, p=0,028) nachgewiesen werden, wobei ET + IV keinen signifikanten Effekt hatte (r.c.=0,117, p=0,770)
Fazit:
Die beiden Studien kommen bei unterschiedlichen Studiendesigns und Auswahl der Studienendpunkte zu verschiedenen Ergebnissen hinsichtlich eines Vorteils eines intravenösen gegenüber eines intraossären Gefäßzuganges.
Es bleibt weiterhin unklar, über welchen Applikationsweg die Medikamentengabe den größeren Nutzen auf die Mortalität und das klinische Outcome nach einem OHCA für die Patienten hat.
Die Daten von Monaco et al. zeigen, dass die seit 2010 aus der Leitlinie gestrichene endotracheale Applikation ebenfalls wieder an Bedeutung gewinnen könnte.
Ich finde es interessant, dass die Autoren der Studie um Monaco aufgrund ihrer Daten zu der Schlussfolgerung kommen, die ET-Gabe könnte wieder an Bedeutung gewinnen. Diese Registerstudie liefert dafür wenig Anlass.
Die Tatsache, dass es zwischen IV und IV+ET-Gabe keinen signifikanten Unterschied gibt lässt sich vermutlich durch die geringen Fallzahlen im Vergleich zu den IO-Patienten erklären. Den Einfluss, den die I.v.-Gabe bei IV+IO / IV+ET ausgemacht hat kann man im Nachhinein nicht mehr beurteilen, sodass es schwer fällt hier klar zu trennen, welche Intervention welchen Effekt hatte.
Der IO-Zugang könnte ein Surrogat sein für multimorbidere Patienten mit schlechterem Venenstatus und verspäteter Adrenalingabe. Dieser Bias müsste in einer prospektiven Studie untersucht werden.
In Anbetracht der Empfehlungen zum Airwaymanagement unter Reanimation hat der ET-Tubus nicht mehr den Stellenwert wie vor 25 Jahren, sodass die Verfügbarkeit in der Breite als Zugangsweg hinterfragt werden muss.
Bezüglich der Frage der optimalen Applikations-Route dürfte PARAMEDIC-3 interessante Ergebnisse liefern. Schade, dass der deutsche Rettungsdienst trotz hohem ärztlichen Personalanteil bisher keine vergleichbaren Trials realisiert.