Prähospitale Bluttransfusion bei Trauma-Patienten

Ein Gastbeitrag von T. Grübl:                Ein erheblicher Letalitätsfaktor bei Trauma-Patienten ist das Verbluten innerhalb der ersten Stunde nach der Verletzung (Golden Hour of Shock). Daher wird bisweilen im Sinne einer schnellen chirurgischen Versorgung das sog. „Load-and-Go“-Prinzip präferiert. In der jüngsten Vergangenheit rückten flankierende Behandlungskonzepte wie die prähospitale Bluttransfusion in den Fokus. Die Vorhaltung von Blut- und Gerinnungsprodukten im prähospitalen Umfeld ist jedoch aufwändig und ressourcenfordernd, weshalb eine Kosten-Nutzen-Analyse obligat erscheint. Aus Deutschland mit seinem speziellen notärztlichen System und der im Vergleich zu USA und UK deutlich geringeren Inzidenz an penetrierenden Verletzungen fehlen jedoch genaue Daten.

Die Kollegen um Christoph Jänig untersuchten hierzu kürzlich retrospektiv über 320.000 Einsätze von Rettungshubschraubern (RTH) an 37 RTH-Stationen in Deutschland im Zeitraum von 2015 bis 2020 auf die Häufigkeit einer möglichen Indikationsstellung zur (prähospitalen) Bluttransfusion

 

Jänig C, Willms C, Schwietring J et al.

Patients at Risk for Transfusion – A six-year multicentre analysis of more than 320.000 Helicopter Emergency Medical Service missions

J Clin Med 2023; 12: 7310

 

Hierzu wurde von den Patienten der rSIG-Score (Reversed Schock Index; rSIG = (RRsys/HF) × GCS) der ersten dokumentierten Vitalzeichen am Unfallort ermittelt. Der rSIG-Score stellt einen validen Vorhersagewert (AUROC von 0,842; Sensitivität 0,79; Spezifität 0,77) für die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Massivtransfusion (³10 EK/24h) dar. Bei einem rSIG £ 9,52 werden Patient als transfusionspflichtig eingestuft.

Aus 10.650 polytraumatisierten von 89.093 Trauma-Patienten wurden in der vorliegenden Studie n=2.982 (4,7%) Patienten identifiziert, bei denen entlang des rSIG-Scores eine Massivtransfusion wahrscheinlich und somit ein potenzieller Nutzen einer frühzeitigen Bluttransfusion bereits während der prähospitalen Behandlung erwartbar gewesen wäre. Das entspräche etwa 13 Transfusionen pro RTH pro Jahr.

Konkret handelte es sich zu 59% um Verkehrsunfälle und zu 14% um Stürze aus einer Höhe von mehr als 3m. Bei den umschriebenen Patienten lagen bei 80% Schädel-Hirn-, bei 61% Thorax-, bei 41% Extremitäten-, 33% Becken- und bei 33% Abdominal-Traumata vor.

Patienten unter 18 Jahren sowie Patienten mit isoliertem Schädel-Hirn-Trauma wurden ausgeschlossen, da hier der rSIG-Score zu stark beeinflusst wird. Ebenfalls wurden Patienten bei denen primär der Tod festgestellt wurde (0,7%) ausgeschlossen, da die ausschlaggebende Ursache vor Ort i.d.R. nicht exakt validierbar ist.

Die Einsatzzeiten schlüsselten sich wie folgt auf: Status 4 bis Status 8 Median 48min (95%-CI 20-60min), Status 7 bis Status 8 Median 18min (95-CI 12-38min) und Status 3 bis Status 8 Median 62min (95-CI 50-71min). 80% der Patienten wurden an der Einsatzstelle intubiert, 26% erhielten Katecholamine und bei 17% wurde eine Thoraxdrainage etabliert. Trotz oder auch aufgrund der aufgezeigten Maßnahmen (Intubation mit Reduktion der GCS vs. Kreislaufstabilisierung durch Volumen- und Katecholamintherapie) sank der mediane rSIG bei Status 4 von 4,31 bis Status 8 auf 3,78 (p<0,001).

Informationen über die Schockraumphase des aufnehmenden Krankenhauses hinaus lagen nicht vor. Bei 7,8% aller im Vergleichszeitraum deutschlandweit dokumentierten Patienten im DGU-Traumaregister kam es jedoch noch in der Notaufnahme zur Transfusion von mindestens einem Erythrozytenkonzentrat.

Die hier präsentierte Studie gibt also weitere Hinweise auf die potenzielle Anwendungshäufigkeit von Blutprodukten bereits während der prähospitalen Behandlungsphase von polytraumatisierten Patienten. Speziell Rettungsmittel die häufig mit Schwerstverletzten (v.a. unkontrollierbare Blutungen) oder besonderen Einsatzlagen (lange Transportzeiten bei bspw. Unfällen außerhalb eines urbanen Umfeldes, Massenanfall von Verletzten, Unmöglichkeit eines Patiententransportes bei Bedrohungslagen o.ä.) konfrontiert werden, können die Vorhaltung von Blut- und Gerinnungsprodukten also durchaus rechtfertigen.

Weitere Studien sollten den genauen Effekt dieser erweiterten Maßnahme näher untersuchen und auch Nachteile wie verzögerte Transfusionskomplikationen berücksichtigen.

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