V2iSiOn zur Alarmierung des non-trauma Schockraums – oder: warum es BATMAN einfacher hat als IRON MAN

Ein Beitrag von Prof. Philipp Kümpers, Münster

GOTHAM CITY – wenn Comissioner James Gordan die Hilfe von BATMAN anfordern will, ist das prinzipiell ganz einfach: er muss nur den überdimensionalen Suchscheinwerfer mit der aufgeklebten Fledermaus-Schablone in den Himmel richten und schon erscheint – für jeden Bürger und Schurken geleichermaßen sichtbar – das weltberühmte Bat-Signal.

DEUTSCHLAND – So ähnlich funktioniert das auch hierzulande, wenn ein schwerverletzter Patient nach einem Verkehrsunfall vom Rettungs- oder Notarztdienst in die Notaufnahme eines Krankenhauses eingeliefert werden muss. Aufgrund gut etablierter Alarmierungskriterien und -wege steht dort bereits ein komplettes Team zur Übernahme und Erstversorgung im Schockraum bereit. Der strukturierte Ablauf dieser Schockraumversorgung von Traumapatienten ist in Deutschland seit mehr als 20 Jahren etabliert und erfolgt gemäß einer nationalen S3-Leitlinie [1].

Für die Erstversorgung von vital gefährdeten Patienten ohne Trauma (Non-Trauma) Patienten, mit beispielsweise Atemweg- und Atmungsproblemen, Kreislaufschock oder neurologischer Symptomatik, bestehen keine vergleichbaren Strukturen, Leitlinien und Versorgungskonzepte auf nationaler Ebene. Insbesondere gibt es kein Bat-Signal, das für alle Mitarbeiter:innen der Notaufnahme schon von weitem sichtbar ist.

Nicht selten werden z.B. ältere Patienten mit kombiniertem B- und D-Problem als „AZ-Verschlechterung“ eingeliefert, ohne dass eine kritische Erkrankung vorab erkannt oder kommuniziert wurde. Das ist dramatisch, da davon auszugehen ist, dass etwa viermal so viele Non-Trauma Patienten mit im Vergleich zum Trauma doppelt so hoher Krankenhaussterblichkeit in Deutschland zu versorgen sind [2].

Um diesem Zustand Rechnung zu tragen hat die „AG Schockraum“ der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) in den letzten zwei Jahren ein strukturiertes Versorgungs- [3] und Ausbildungskonzept (ACiLS®) für kritisch kranke Non-Trauma Patienten erarbeitet und kürzlich auf der Jahrestagung der DGINA in Kassel vorgestellt.

MÜNSTER/DÜSSELDORF – Eine kürzlich im Scandinavian Journal of Trauma, Resuscitation and Emergency Medicine erschienene Publikation von Mitgliedern der AG Schockraum konnte nun eine weitere, bis dato ungeklärte Frage beantworten: welcher Non-Trauma Patient ist „kritisch“ und sollte gemäß Algorithmus im Schockraum behandelt werden?  Über diese Frage stolperten die Autoren um Prof. Philipp Kümpers erstmals Ende 2018, als sie das für die Notaufnahme des Universitätsklinikum Münster erdachte IRON MAN Protokoll (Interdisciplinary Resuscitation Room Management of Acutely ill Nontraumatic Patients) einführen wollten.

Rovas A, et al. Identification and validation of objective triggers for initiation of resuscitation management of acutely ill non-trauma patients: the INITIATE IRON MAN study. Scand J Trauma Resusc Emerg Med (2021) 29:160

Was wurde in der Studie gemacht? Basierend auf einer prospektiven Fallsammlung wurden zunächst von einer Expertenrunde drei verschiedenen Versionen, sog. Iterationen (im Folgenden IRON MAN Iteration 1 bis 3) generiert, die allesamt auf vom Rettungsdienst „mitgebrachten“ Vitalparametern sowie anamnestischen und demographischen Angaben beruhten. Die Iterationen unterschieden sich voneinander in Bezug auf die verwendeten Variablen, deren jeweiliger cut-off Werte und der zugrundeliegenden Logik. Der National Early Warning Score (NEWS) und der hierzulande bekanntere qSOFA Score dienten als Vergleich.

Durch die Verwendung mehrere Validierungskohorten konnten die Autoren zeigen, dass die IRON MAN Iteration 3 mit einer sehr hohen Sensitivität und Spezifität (beide >98%) deutlich besser die Notwendigkeit eine protokollbasierten Schockraumbehandlung vorhersagen konnte als z.B. der qSOFA (Sensitivität nur 12%). Konkret handelte es sich bei Iteration 3 um die „any-of-the-following“ Regel: Vasopressortherapie durch Rettungsdienst, Beatmung durch Rettungsdienst, RRsys <90 mmHg, initialer SpO2 <90% und GCS <15 Punkte. Passend zum IRON MAN Protokoll haben sich die Autoren für Iteration 3 das griffige Akronym V2iSiOn ausgedacht:

Unter insgesamt 80 potentiellen Non-Trauma Schockraumpatienten im Untersuchungszeitraum hätte die simulierte Anwendung der V2iSiOn Regel insgesamt nur 13 „falsche Alarme“ (over triage) ausgelöst und nur 1 Patient wäre „übersehen“ worden (under triage). Insgesamt handelte es sich bei dem Münsteraner Kollektiv von Non-Trauma Schockraumpatienten hauptsächlich um Patienten mit neurologischer (52,5%) und internistischer (42,5%) Hauptdiagnose. Gemäß Ersteinschätzung hatten diese Patienten überwiegend die MTS-Kategorien Orange (65%) und Gelb (28%), während Rot (4%) nur selten vorlag. Bei V2iSiOn-positiven Patienten war die Notwenigkeit einer Intensivtherapie (32,5 vs. 4,3%) und die Krankenhausmortalität (22,5 vs. 0,6%) deutlich höher als bei V2iSiOn-negativen Patienten.

Zusätzlich simulierten die Autoren den Einsatz der V2iSiOn Regel in den beiden non-trauma Schockraumstudien OBSERVE (Universitätsklinikum Leipzig) und OBSERVE-DUS (Universitätsklinikum Düsseldorf) [2, 4]. Hier bestätigte sich, dass V2iSiOn-positive Patienten im Schockraum deutlich mehr Interventionen benötigten (Vasopressorgabe, ZVK/Arterien-Anlage, Atemwegsmanagement, Beatmung) und eine deutlich höhere Mortalität aufwiesen (37 vs. 7% bzw. 31 vs. 8%).

Fazit für die Praxis: V2iSiOn stellt in den Augen der Autoren eine sinnvolle, und vor allem objektiveErgänzung zu den subjektiven ABCDE-Alarmkriterien dar. Diese sind zwar prinzipiell gut – sie werden aber nur in ca. 50% der Notaufnahmen eingesetzte [5] und geben den Mitarbeiter:innen eine tendenziell (zu) großen Ermessensspielraum. Beispiel: ein Patient mit 95% unter 6L O2 wird vermutlich an vielen ABCDE-Standorten nicht in den Schockraum triagiert (Sättigung ist ja wieder gut…). Die V2iSiOn Regel lässt der Triage-Pflegekraft aber keinen Entscheidungsspielraum, da ganz klar eine Schockraumindikation vorliegt (initiale Raumluftsättigung 75% bei AECOPD, CO2-Narkose, rascher Beginn NIV-Therapie notwendig…).

NEW YORK – Mit Hilfe von Bruce Banner und Thor erschafft Tony Stark (alias IRON MAN) im Avengers-Tower den Androiden VISION. Schnell entwickelt sich VISION zu einem wichtigen Mitglied im Team der AVENGERS. Ob die V2iSiOn Regel und das IRON MAN Protokoll ähnlich gut interagieren wie ihre ikonischen Vorlagen muss in weiteren prospektiven Studien analysiert werden. Es ist aber davon auszugehen, dass die V2iSiOn Regel – vielleicht ergänzt um wenige Tracer-Diagnosen wie z.B. STEMI und Stroke – den Ankündigungsprozess von kritisch kranken non-trauma Patienten erheblich verbessern wird. Bei Einsatz auf regionaler oder sogar nationaler Ebene hätten wir dann vielleicht endlich das Äquivalent zum gut funktionierenden Bat-Signal der Traumatologen.

To be continued…

  1. Hilbert-Carius P, Wurmb T, Lier H, Fischer M, Helm M, Lott C, Bottiger BW, Bernhard M: [Care for severely injured persons : Update of the 2016 S3 guideline for the treatment of polytrauma and the severely injured]. Anaesthesist 2017, 66(3):195-206.
  2. Bernhard M, Doll S, Hartwig T, Ramshorn-Zimmer A, Yahiaoui-Doktor M, Weidhase L, Petros S, Gries A: Resuscitation room management of critically ill nontraumatic patients in a German emergency department (OBSERvE-study). Eur J Emerg Med 2018, 25(4):e9-e17.
  3. Groning I, Hoffmann F, Biermann H, Pin M, Michael M, Wasser C, Kumle B, Bernhard M: The (PR_E-)AUD(2)IT scheme as a backbone for structured emergency care and documentation in critically ill nontraumatic patients. Notfall Rettungsmed 2021.
  4. Grahl C, Hartwig T, Weidhase L, Laudi S, Petros S, Gries A, Bernhard M: Early in-hospital course of critically ill nontrauma patients in a resuscitation room of a German emergency department (OBSERvE2 study). Anaesthesist 2021.
  5. Michael M, Bax S, Finke M, Hoffmann M, Kornstadt S, Kumpers P, Kumle B, Laaf T, Reindl M, Schunk D et al: Current analysis of the situation of nontraumatic resuscitation room management in Germany. Notfall Rettungsmed 2020.

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