Einsatz mit Sondersignal: Wie häufig werden potenziell lebensrettende Maßnahmen durchgeführt?

Im August hatten wir in Zusammenarbeit mit  den Organisatoren des Hauptstadtkongresses der DGAI für Anästhesiolgie und Intensivtherapie drei Tickets für die Teilnahme an diesem virtuellen Kongress im Wert von je € 120,- ausgeschrieben und dafür aufgerufen Gastbeiträge für News-Papers zu schreiben.

Gastbeitrag von Dennis Rupp, Notfallsanitäter und Praxisanleiter Gießen-Land:       Jeder im Rettungsdienst Tätige kennt die Situation: Es erfolgt eine Alarmierung mit Sondersignal, während der Anfahrt kommt es zur einen oder anderen brenzligen Situation aufgrund anderer Verkehrsteilnehmer und am Ende stellt sich heraus, dass die Durchführung potenziell lebensrettender Maßnahmen nicht erforderlich war. Doch wie häufig kommt dieser Fall eigentlich vor?

Dieser Frage sind die US-amerikanischen Autoren einer Arbeit nachgegangen, die kürzlich in der Prehospital Emergency Care erschienen ist.
Jeffrey L. Jarvis, Vaughn Hamilton, Mike Taigman, Lawrence H. Brown (2020) Using Red Lights and Sirens for Emergency Ambulance Response: How Often Are Potentially Life-Saving Interventions Performed? Prehospital Emergency Care, DOI: 10.1080/10903127.2020.1797963
Methode:
  • Retrospektive Auswertung aller Einsätze aus 2018, die über das System eines nationalen Anbieters von elektronischer Dokumentationssoftware dokumentiert wurden
  • Definition und Identifikation potenziell lebensrettender Maßnahmen, die sowohl Interventionen als auch Medikamente und priorisierte Klinikanmeldungen (STEMI, Stroke, Sepsis, Trauma) umfassten
  • Ausschluss von Sekundärtransporten sowie von Einsätzen ohne Patientenkontakt, fehlender Dokumentation bezüglich des Anfahrtsmodus oder fehlender Angabe des Alarmierungsstichwortes
Ergebnisse:
  • In einem Konsensusprozess wurden 42 potenziell lebensrettende Maßnahmen identifiziert
  • Von 5.977.612 Alarmierungen wurde in 5.126.266 Fällen (85,8%) zu irgendeinem Zeitpunkt Sondersignal genutzt
  • 3.843.123 Einsätze wurden letztlich in die Untersuchung eingeschlossen und hinsichtlich der Maßnahmen ausgewertet
  • Nur in 6,9% der Fälle wurde eine potenziell lebensrettende Maßnahme durchgeführt
  • In 93,4% aller Fälle erfolgte keinerlei zeitkritische Intervention
Am häufigsten wurden potenziell lebensrettende Maßnahmen im Rahmen einer Reanimation durchgeführt (45%). Darauf folgen Maßnahmen beim diabetischen Notfall (37%). Die zehn häufigsten Interventionen umfassten:
    • Glukose                   – n=69.036 Einsätze
    • BLS-Atemweg        – n=62.898 Einsätze
    • Naloxon                  – n=56.351 Einsätze
    • Adrenalin                – n=47.128 Einsätze
    • Midazolam              – n=39.480 Einsätze
    • Intubation               – n=35.616 Einsätze
    • CPR                         – n=33.659 Einsätze
    • NIPPV                     – n=32.740 Einsätze
    • Absaugen               – n=29.256 Einsätze
    • Trauma-Alarm        – n=20.365 Einsätze
Fazit: Auch wenn es sich bei dieser Studie um eine Untersuchung aus den USA handelt, die zudem einige Limitationen aufweist, gibt sie doch einen guten Überblick darüber, dass die Durchführung potenziell lebensrettender Maßnahmen nur in einem geringen Teil der Einsätze erfolgt bzw. erforderlich ist. Dahingehend decken sich die Ergebnisse mit den Resultaten der Studie aus Graz, in der die Häufigkeit der Durchführung notärztlicher Maßnahmen untersucht wurde. Bei einem Zeitvorteil von durchschnittlich lediglich 1-4 Minuten, die durch die Nutzung von Sonder- und Wegerechten entstehen, bei gleichzeitig deutlich erhöhtem Unfallrisiko, kommt den Leitstellen eine wichtige Schlüsselfunktion zu: Die korrekte Identifikation von Einsätzen anhand einer strukturierten Notrufabfrage, in denen eine Alarmierung mit Sondersignal nur dann erfolgt, wenn daraus mutmaßlich auch eine entsprechende Intervention resultiert. Gleichzeitig sollte im Rahmen des Qualitätsmanagements genau dieses Vorgehen fortlaufend evaluiert und angepasst werden.

One thought on “Einsatz mit Sondersignal: Wie häufig werden potenziell lebensrettende Maßnahmen durchgeführt?

  1. Sondersignalbenutzung auf dem Patiententransport ins Krankenhaus

    Zum Thema Sondersignalbenutzung fällt mir etwas ganz anderes auf:
    vermehrt beobachte ich mit steigender Häufigkeit, dass der Rettungsdienst die Patienten unter Inanspruchnahme von Sonderrechten ins Krankenhaus transportiert – auch gerade dann, wenn kein Notarzt mit an Bord ist. Schaut man sich die Patienten in der Notaufnahme an, ist man überrascht, dass selbst kleinere Notfälle mit Sondersignal transportiert werden. Oft werden diese Patienten sogar nach einer kurzen ambulanten Versorgung entlassen. Meiner Empfindung nach, wird der Transport unter Sondersignal immer laxer indiziert. Betrachtet man das deutlich erhöhte Unfallrisiko, die Gefahr der „Gewöhnung“ der anderen Verkehrsteilnahmer an das Sondersignal und den Umstand, dass den anderen Autofahrern durch das Einsatzfahrzeug sämtliche Vorfahrtsrechte genommen werden, finde ich das eine bedrohliche Entwicklung. Sondersignal ist in einigen Fällen selbstverständlich notwendig und indiziert; stellt man sich jedoch einmal in die Nähe einer Liegendanfahrt eines Krankenhauses, wird man überrascht sein, wer da so alles mit Blaulicht transportiert wird.

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