Teil 3: Was gibt es Neues aus der Kardiologie für die Notfallmedizin?

Ein Beitrag von PD Dr. Jürgen Knapp, Bern/Schweiz:

Mit der Frage, ob der „NSTEMI“-Patient (oder besser „nicht-okklusiver Myokardinfarkt“, NOMI-Patient) im Rahmen der Herzkatheter-Intervention mit Heparin behandelt werden sollte, beschäftigte sich eine große retrospektive Kohortenstudie aus China.

Chen JY et al. Association of Parenteral Anticoagulation Therapy With Outcomes in Chinese Patients Undergoing Percutaneous Coronary Intervention for Non–ST-Segment Elevation Acute Coronary Syndrome. JAMA Internal Med 2019; 179:186-94; doi:10.1001/jamainternmed.2018.5953

  • retrospektive Kohortenstudie an 5 Kliniken in China
  • Studienzeitraum: 2010 bis 2014
  • n=8.197 konsekutive NSTEMI-Patienten, die einer Herzkatheter-Intervention unterzogen wurden
  • 804 Patienten konnten letztlich ausgewertet werden, 1.393 Patienten mussten ausgeschlossen werden, überwiegend weil sie erst nach der Katheter-Intervention eine parenterale Antikoagulationstherapie (PACT) bekamen.
  • verglichen wurden also letztlich 2.115 Patienten, die in der Zeit zwischen Diagnosestellung und der Herzkatheter-Intervention neben der dualen Plättchenhemmung eine parenterale Antikoagulationstherapie mit niedermolekularem Heparin oder Fondaparinux erhalten haben (Gruppe PACT), mit 4.689 Patienten, die erst während der Herzkatheter-Untersuchung leitliniengemäß mit 70-100 IU Heparin/kg antikoaguliert wurden (Gruppe non-PACT).
  • hinsichtlich der Krankenhaussterblichkeit (0,3% in der PACT-Gruppe und 0,1% in der non-PACT-Gruppe und der Rate an Myokardinfarkten (0,3% in beiden Gruppen) gab es keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen
  • aber es waren signifikant mehr schwere Blutungsereignisse in der PACT-Gruppe: 2,5% im Vergleich zu 1,0% in der non-PACT-Gruppe
  • auch im Langzeit-Outcome nach ein und drei Jahren gab es keinen Unterschied in der Sterblichkeit

Soll man also auf eine parenterale Antikoagulationstherapie mit Heparin oder Fondaparinux bis zur Herzkatheter-Untersuchung zuwarten? Das kann leider anhand dieser Daten nicht beantwortet werden. Dafür hat die Studie zu viele Schwächen:

  • es handelt sich nur um eine retrospektive Beobachtungsstudie, so dass zahlreiche Faktoren die Entscheidung zur parenteralen Antikoagulationstherapie und das Blutungsrisiko beeinflusst haben können.
  • bei den PACT-Patienten fand die Intervention, obwohl sie einen signifikant höheren GRACE-Score hatten, bei 45% erst nach >72 Stunden statt, d.h. sie lagen auch mehr als 3 Tage parenteral antikoaguliert und mit doppelter Plättchenhemmung auf der Station; bei den non-PACT-Patienten war das nur bei 16% der Fall
  • bei den PACT-Patienten wurde nur bei 81% über die A. radialis kathetert, bei den non-PACT-Patienten dagegen bei 89% (p<0,001) mit dem entsprechend geringeren Blutungsrisiko aufgrund der besseren Komprimierbarkeit

Fazit:

Mit der momentan noch meist sehr unkritischen Gabe von Heparin beim NSTEMI bereits prähospital oder vor einer eventuellen Katheterintervention setzt man den Patienten einem doch erheblichen Blutungsrisiko aus ohne dass er hinsichtlich der Myokardinfarktrate oder Mortalität davon profitiert.

4 thoughts on “Teil 3: Was gibt es Neues aus der Kardiologie für die Notfallmedizin?

  1. Danke an Professor Knapp für seine Ausführungen zu den neuen Erkenntnissen aus der Kardiologie. Man muss wirklich beachten, dass bei retrospektiven Studien es immer zu Verzerrungen kommen kann. Ich möchte auch mal Medizin studieren.

  2. Vielen Dank für den Beitrag zum Thema Kardiologie in der Notfallmedizin. Mein Bruder hat Sonografiegeräte begutachtet, da er Biomedical Engineering studiert. Gut zu wissen, dass Patienten Heparin verabreicht wird, um sie keinem unnötigen Blutungsrisiko auszusetzen.

  3. Danke für diesen Überblick zu den Neuerungen in der Kardiologie. Unglaublich, dass durch die Gabe von Heparin beim NSTEMI der Patient so einem Blutungsrisiko ausgesetzt wird, ohne das die Mortalität dadurch sinkt. Ich bin interessiert an dieser Diskussion, deshalb werde ich weiter dazu recherchieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.