Täglich werden Notfallmediziner allerorts mit dem hypertensiven Notfall konfrontiert. Sozusagen ein häufig auftretender Notfall. Aber was machen? Prof. Gerd Bönner aus Freiburg hat hierzu eine exzellente Übersicht publiziert:
Bönner G. Der hypertensive Notfall. DMW 2017; 142: 1437-1445
Unterschieden werden:
1.Krisenhafter Blutdruckanstieg/Hypertensive Krise
- bedrohliche Symptome bei einer unkomplizierten Hypertonie
- unspezifischen Symptome:
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- innerer Unruhe
- unspezifisches Spannungsgefühl im Brustkorb
- spontanes Nasenbluten
- keine Endorganschädigungen; Gefährdung des Patienten: gering
- vielfältige Ursachen:
- 90 % aller Fälle bei primärer arterieller Hypertonie.
- 23 % der Fälle stellt hypertensive Krise die Erstmanifestation einer Hypertonie dar
- bei bekannter Hypertonie ca. 1 % pro Jahr
- bei Frauen häufiger als bei Männern
- psychischer Stress und Angst- und Panikzustände
- übermäßiges Selbstmessen des Blutdrucks (neurotischen Fehlverhalten)
- Hoffnungslosigkeit, Ängstlichkeit, Depression oder mangelnde Stressbewältigung
- Schmerzen (z.B. postoperativ)
- Rebound-Phänomen (Abbruch oder rascher Dosisreduktion einer bestehenden antihypertensiven Therapie mit Betablockern oder zentralen Antisympathotonika)
- vasokonstringierende Nasentropfen
- Drogenabusus (z.B. Kokain, Amphetamin)
- Alkoholmissbrauch
- seltene Grunderkrankunge: z.B. Phäochromozytom, Präeklampsie oder schwere renale Erkrankungen (Glomerulonephritiden und Autoimmunerkrankungen)
2. Hypertensive Gefahrensituation:
- wenn bei vorbestehenden Endorganschäden, oder
- kritischen Symptome
- Parästhesien
- innere Unruhe
- kardiale Rhythmusstörungen
- unmittelbare Übergang in einen hypertensiven Notfall möglich
3. Hypertensiver Notfall:
- akut erhöhter Blutdruck > 180/120 mmHg und
- akut induzierte Organschäden oder
- akutes Verschlechterung einer vorbestehenden Endorganschädigung
- häufiger bei: weiblichem Geschlecht, krankhafter Adipositas, bekannter koronarer Herzkrankheit, hoher Zahl von Antihypertensiva, therapeutischer Nonadhärenz des Patienten
Häufigkeit:
- ca. 9 % aller Hypertoniker erleben im Leben eine hypertensive Krise
- nur bei 2% aller hypertensionen Patienten wird ein akuter hypertensiver Notfall beobachtet
- Verhältnis von Krise zu Notfall 3:1
Basistherapie bei alleiniger Blutdruckspitze:
- Beruhigung und Aufklärung
- Entspannungsübungen (z. B. Tiefenatmung, autogenes Training)
- Kontrollmessungen in einem größerenzeitlichen Abstand
- bei 1/3 der Patienten nach 30 Minuten spontane Reduktion des Blutdrucks
- eine stationäre Einweisung bei alleiniger hypertensiver Krise nicht sinnvoll; Komplikationsrate bei ambulanter und stationärer Therapie unterschied sich nicht
- Basistherapie
- akute zusätzliche Gabe einer Tablette aus der bestehenden Medikation des Patienten
- selten ist die Akutgabe von Nitroglycerin (0,8 – 1,2 mg), Captopril (12,5 – 25 mg) oder Clonidin (0,075 – 0,150 mg) p. o. erforderlich
- keine unretardierten Kalziumantagonisten oder andere akut wirkende Vasodilatantien: Risiko einer unberechenbaren/zu rascher Blutdrucksenkung
- bei sympathischen Krise unter Kokain oder Amphetaminabusus: Benzodiazepine (sekundär: Phenoxybenzamin, Kalziumantagonisten und Nitroglycerin, evtl. auch Betablocker [Anm: Betablocker werden hier immer wieder kontrovers diskutiert!]
Basistherapie bei hypertensiver Krise mit Symptomen:
- Therapieziel von < 160/100 mmHg innerhalb von 1 – 2 Stunden
- Urapidil (25 mg p.o., evtl. auch 12,5 – 25 mg i. v.)
- Dosistitration der vorbestehenden Medikation oder Therapieerweiterung der oralen Medikation: mittelfristig (in 1 – 2 Tagen) langsame ambulante Blutdrucksenkung auf Werte < 140/90 mmHg
Basistherapie beim hypertensiven Notfall:
- akute Blutdruckanstieg > 180mmHg systolisch oder > 120mmHg diastolisch bei einem hypertensiven Notfall immer verbunden mit
- akut induzierten Organschäden oder
- akuter Verschlechterung vorbestehender Endorganschäden
- Ausmaß des raschen Blutdruckanstiegs ist evtl. wichtiger als die absolute Blutdruckhöhe
- Symptome:
- Verwirrtheit
- Bewusstseinsstörung
- Übelkeit und Erbrechen
- Krampfanfällen
- Sehstörungen
- Organspezifische Komplikationen:
- Zerebrale Komplikationen: 45 %, davon
- Insult: 24 %
- Enzephalopathie: 16 %
- intrakranielle Blutung: 5 %
- Kardiale Komplikationen: 49 %, davon
- Lungenödem: 23 %
- Herzinsuffizienz: 14 %
- akutes Koronarsyndrom: 12 %
- vaskuläre Komplikationen: 6%, davon
- Aortendissektion: 2 %
- Eklampsie: 4 %
- akutes Nierenversagen: selten
- Zerebrale Komplikationen: 45 %, davon
Letalität des hypertensiven Notfalls:
- Unbehandelt:
- 9 % binnen 5 Jahren nach Notfall (inkl. maligne Hypertonie)
- 2,5 % bei stationär versorgten unselektierten Patienten
- Risikofaktor: manifeste Niereninsuffizienz: 5-Jahresletalität 35%
Anamnese:
- vorbestehende Hypertonie, deren Dauer und Medikation
- frische Therapieänderung (z.B. Absetzen von Betablockern, Clonidin)
- Einsatz von blutdrucksteigernden Medikamenten in Begleitmedikation
- MAOHemmer
- Sympathomimetika
- Kontrazeption
- frühere Blutdruckkrisen
- psychische Probleme
- Ausmaß des Alkoholkonsums und evtl. Abstinenz (Entzug)
- Drogenkonsum (Kokain)
- Begleiterkrankungen
Freuen Sie sich auf weitere Teile der Serie Hypertensiver Notfall in den kommenden Tagen.
Lesen Sie den tollen Beitrag von Prof. Bönner:
Bönner G. Der hypertensive Notfall. DMW 2017; 142: 1437-1445